Alexander Mosca Spatz

Pfad des Feuers


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kann der Erzbischof nicht einfach verschwinden lassen, dafür stehe ich im Orden zu hoch; außerdem kennt mich jeder innerhalb des Herrscherkreises Moréngards. Luciana ist ihm aus mir unerfindlichen Gründen außerordentlich wichtig, weshalb er es wohl lieber vermeiden würde, sie zu töten. Das einzig Logische scheint es daher zu sein, meinen Adepten zu töten, um mich aus der Bahn zu werfen … ein kluger Schritt, erkannte Aaron traurig und atmete tief durch.

      „Wie stehen die Chancen, dass er noch am Leben ist? Was genau ist geschehen?“

      Eric versuchte nach hinten zu sehen, um Aarons Gesichtsausdruck erkennen zu können, schaffte es aber nicht und ließ es wieder bleiben. Diesmal kam die Antwort nicht sofort.

      „Ich … ich weiß es ehrlich nicht, General. Es könnte sein, dass er noch lebt, doch genauso gut könnte Azard ihn schon ermordet haben. Es tut mir aufrichtig Leid.“

      Aaron schnaubte, dann ließ er Eric los und steckte leise fluchend das Schwert weg.

      „Dein Beileid kannst du dir sparen! Ich hätte dich fast umgebracht! Seltsam, dass ich erst jetzt Ragnirs Emblem erkenne, es hätte mir sofort auffallen sollen.“

      Aaron griff nach Erics Mantel und musterte die dunkelblaue Flamme, die auf den schwarzen Mantel gestickt war.

      „Was jetzt?“, fragte Eric.

      Aaron ließ Erics Mantel los, rieb sich die Schläfen. Er sah sichtlich angeschlagen aus, ließ es sich aber nicht anmerken – zumindest versuchte er es.

      „Wir statten Ragnir einen Besuch ab“, flüsterte er schließlich, bückte sich und hob die herausgerissene Seite aus dem Buch vom Boden auf, steckte sie sich zurück in die Manteltasche und schickte sich an, zu gehen. Bevor er die Gasse verließ, drehte er sich noch einmal um und deutete drohend auf Eric.

      „Ein Letztes noch, Eric …“

      „Und das wäre?“

      Aaron verzog seine Augen zu Schlitzen und seine Mundwinkel zuckten leicht.

      „Belüge mich … nie … wieder!“

      IV

      Sirian erwachte im stinkenden Wasser der Kanalisation.

      Seine Glieder schmerzten, sein ganzer Körper fühlte sich an, als stecke er in einer eisernen Jungfrau.

      Ich lebe noch …, dachte er erleichtert und kroch aus dem Wasser hinaus, zog sich mit letzter Kraft auf den rettenden Steinrand, der breit genug war, dass er sich auf ihn legen konnte; mit einem Ächzen legte er sich auf den Rücken, atmete tief durch und die Schmerzen in seinem Körper ließen ein wenig nach. Über ihm spiegelten sich die Reflektion der Fackeln im Dreckwasser, tanzten auf dem Tunnelgewölbe über ihm und Sirian schloss kurz die Augen, versuchte sich zu erheben, doch es gelang ihm nicht. Er spürte seine Beine nicht mehr.

      Was ist passiert? Ich muss auf meinen Kopf gefallen sein, als … als der Fremde mich in die Kanalisation geworfen hat! Er wollte mich vor Azard schützen, der uns im nächsten Augenblick gefunden hätte; Azard … er hat Melanie getötet!

      Mit einem Schlag waren die Erinnerungen wieder da und ruckartig setzte Sirian sich auf, ein stechender Schmerz schoss durch seinen Rücken; ein scharfes Knacken hallte durch die Kanalisation. Sirian verzog das Gesicht, seine Hände fuhren zu seinem Kreuz und er lehnte sich an die kalte Steinwand zu seiner Seite.

      Melanie war tot. Seine zum Sterben verdammte Schwester war ihm genommen worden, durch einen kaltblütigen Mord, an dem er schuld war.

      Ich habe ihr nie gesagt, dass sie sterben wird. Sie starb mit der Hoffnung wieder gesund zu werden. Sie starb in der Hoffnung, sie würde einmal aus der Hafenstadt herauskommen und ein schönes Leben führen …

      Er hatte es ihr nicht gesagt; woher hätte sie es wissen sollen?

      Und das nur, weil ich zu feige war, es ihr zu sagen. Sie wäre ermordet worden in dem Wissen, dass ihr damit ein viel schrecklicherer Tod genommen wird. Aber jetzt …

      Sirian erbebte, heiße Tränen schossen in seine Augen und er schloss sie, lehnte seinen Kopf an die kalte Steinwand.

      Er erinnerte sich an das erste Gefühl, das er empfunden hatte, als er erfahren hatte, dass seine Schwester wahrscheinlich tot war … Erleichterung.

      Ich war erleichtert darüber, dass ich es ihr nicht mehr sagen musste … erleichtert darüber, dass ich ihr die Botschaft nicht würde überbringen müssen.

      Sirian schüttelte in stiller Agonie den Kopf, bedeckte die Hände mit dem Gesicht und die Tränen rannen seine Wangen hinab, durch seine Finger hindurch und fielen glitzernd auf den dreckigen Steinboden.

      Wie konnte er jemals wieder in den Spiegel sehen, wissend, dass er den Tod für seine Schwester noch schwerer gemacht hatte, als es ohnehin für sie gewesen wäre?

      Er weinte.

      Jedoch nicht wegen der Trauer oder wegen des Verlusts; sondern weil er nicht so empfand, wie er es als Bruder hätte tun sollen. Er sollte bestürzt sein über ihren Tod, sollte fluchen und weinen, weil er sie nicht hatte retten können. Stattdessen … blieb nur diese Leere und die Erleichterung, dass er niemals wieder mitansehen müsste, wie sie litt.

      Die Wahrheit war es, wegen der er weinte; nämlich, dass er seine Schwester schon lange aufgegeben hatte, bevor sie ermordet worden war.

      Ich war nicht für sie da, als sie mich am meisten brauchte; ich hätte es ihr sagen sollen, das weiß ich. Sie hätte es wissen wollen. Aber jetzt ist es zu spät.

      Sirian löste seine Hände von seinem Gesicht, hievte sich auf die Knie und mit einem Keuchen erhob er sich, ein weiteres Mal knackte sein Rücken. Irgendwo hier musste es einen Ausgang geben!

      Sirian hatte keine Ahnung, wie weit ihn das Wasser getrieben hatte; er könnte nun wahrlich überall in der Stadt sein.

      Ich muss Aaron warnen! Wenn dieser Mörder hinter mir her war, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auch bei Aaron auftaucht; Aaron hat Familie.

      Doch zuerst musste er sich irgendwo verstecken und sich kurz erholen, bevor er zu Aaron aufbrach.

      Aber wer würde mich schon aufnehmen? Keiner, der ein wenig Verstand hat, gewährt einem von Mördern Gejagtem Asyl …

      Sirian humpelte einige Schritte durch die Kanalisation und versuchte die schwarz werdenden Ränder seines Blickfelds zu ignorieren; seine Seite brannte höllisch und sein Rücken fühlte sich an, als sei seine Wirbelsäule ein gebrochener Ast.

      Endlich erreichte er eine alte Holztür, von der er hoffte, dass sie ihn nach oben bringen würde. Als er seine Hand auf die Klinke legte und sie herunter drückte, öffnete sich die Tür mit einem leisen Klicken und Sirian seufzte erleichtert.

      Der Letzte Herrscher hat mich wohl nicht ganz verlassen …

      Sirian torkelte die steinerne Treppe hinauf und verdrängte den Gestank nach Mist und Exkrementen, der von ihm ausging.

      Die Kanalisation und die darunterliegenden Katakomben waren eigentlich unzugänglich und wohlweislich verschlossen worden; kein Vertreter der Herrschaftsschicht wollte riskieren, dass die Schmuggler und Banditen die Kanalisation als Transportweg nutzten und sich so dem Zugriff der Gardisten entzogen. Der Letzte Herrscher hatte damit eigentlich weniger zu tun, seine Gefolgsleute wollten ihm nur alle entgegen arbeiten. So funktionierte der Staat Ascentás; ihr Gott gab nur Impulse und äußerte Wünsche – seltsamerweise strengte sich jeder nach Kräften an, jeden dieser Wünsche Realität werden zu lassen.

      Als er hinaus an die Luft trat, umschlang ihn die vollkommene Dunkelheit der Nacht.

      Weder regnete es, noch schneite es, die Luft war kühl und einen wunderbaren Augenblick lang fiel der Gestank von Sirian scheinbar ab. Der junge Adept atmete tief durch, legte den Kopf in den Nacken und lehnte sich an die Schwelle zur Kanalisationstür.

      Kurz fielen die Schmerzen von ihm ab, sein gehetzter Atem beruhigte sich und erst jetzt hatte er das Gefühl,