Franziska Frey
Ihr letztes Schriftzeichen
Ein Kulturkrimi
Impressum
Texte: © Copyright by Franziska Frey
Umschlag: © Copyright by Franziska Frey
Druck: epubli ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany 2016
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für meine geliebte chinesische Tochter LiLi, die 2015 im Alter von 21 Jahren an einem Hirntumor gestorben ist.
Du bist in Gottes Hand.
Inhalt
Tag 18 – Freitag – EPILOG.. 207
我必不撇下你,
也不丢弃你。
Niemals werde ich dir meine Hilfe entziehen,
niemals dich
im Stich lassen.
(Josua 1,5)
Prolog
Sie stützte die Hände ins Gesicht, die nass von ihren Tränen waren.
Was sollte sie machen?
Wie hatten sie sie gefunden?
Wie hatte sie IHN gefunden?
Es gab Milliarden...
Sie liebte ihn so sehr.
Es ging nicht, sie konnte es ihm nicht antun.
Aber sie konnte nicht mit ihm sein und nicht ohne ihn.
Warum nur, warum?
Tag 1 - Montag
LiLi summte leise vor sich hin, als sie ihren Kalligrafiepinsel in der selbst hergestellten schwarzen Tinte drehte. Vor ihr lag ein pergamentartiges längliches Papier, das sie bereits mit mehreren Schriftzeichen schwungvoll gefüllt hatte. Dies sollte ein besonderes Geschenk werden für ihre Freundin Johanna zum Geburtstag. Es war gar nicht einfach, den Psalmspruch in akzeptable chinesische Schriftzeichen zu übersetzen:
„Niemals werde ich dir meine Hilfe entziehen, niemals dich im Stich lassen.“ (Josua 1,5)
Das war der Konfirmationsspruch ihrer Freundin und LiLi gefiel er ausnehmend gut. Sie hatten mal über den Brauch, einen Bibelspruch zur Konfirmation zu bekommen, gesprochen, der einen das gesamte Leben als Leitlinie begleiten soll. Etwas Ähnliches hätte sich LiLi auch zur Firmung gewünscht, aber das gab es nicht. Dafür hatte sie eine Firmpatin, das war auch nicht zu verachten, sozusagen eine lebendige Leitlinie. Sie hörte die Tür ihres Appartements leise aufgehen, nahm ihre Augen aber nicht von ihrer Kalligrafie, da sie sich konzentrieren musste. Gerade malte sie das Zeichen für „Hilfe“ auf das Pergament, als ihr schwarz wurde vor Augen.
drei Stunden später
Kommissarin Günnur Meier starrte mit schreckgeweiteten Augen auf die junge Frau, die vor ihr auf dem Boden lag – oder besser, auf das, was von ihr übrig geblieben war.
Zu einem Mordopfer zu kommen, war für sie immer mit einer Portion Schrecken und natürlich auch Trauer verbunden. Blut war für sie, anders als für ihren berühmten Kollegen Klufti, dessen Fälle sie in den Büchern lachend und kopfschüttelnd verschlungen hatte, kein Problem. Als Problem erwiesen sich eher junge Opfer oder auch Frauen. Junge Menschen erregten im ersten Moment ihr Mitleid, weil sie das gesamte Leben noch vor sich gehabt hätten und einfach so viel Schönes verpassten. Bei Frauen regte sich Günnurs Gerechtigkeitssinn, vor allem, wenn sich herausstellte, dass der Frau brutale Gewalt angetan wurde. Hier war das Opfer eine junge Frau, also besonders dazu geeignet, Günnurs geballtes Mitleid zu haben. Berufsbedingt hatte sie glücklicherweise genügend Methoden, ihr eigenes subjektives Mitleid in konstruktive Arbeit umzulenken, um den Mord aufzuklären und somit dem Opfer posthum gerecht zu werden. Mehr konnte sie für diese armen Menschen nicht mehr tun.
Die Frau lag rücklings in einer Lache aus Blut, die Arme rechtwinklig weit von sich gestreckt und Günnur fühlte sich irgendwie an den gekreuzigten Jesus erinnert. Äußerlich sah sie unversehrt aus. Ungewöhnlich war die Masse von Blut vorne auf ihrer Bluse.
Torsten, der genau wie sie Überziehplastikschuhe und natürlich die obligatorischen Tatortgummihandschuhe trug, ging vorsichtig einen Schritt vorwärts und hob die Bluse, die blutverkrustet bereits Widerstand leistete, an. „Oh Gott!“, sagte er sofort leise. Günnur konnte nicht sehen, was ihn zu dieser Schreckensäußerung trieb, denn er stand mit seiner gesamten Körpermasse, und das war nicht wenig, vor der Leiche und versperrte ihr den Blick komplett. Als sie herumging, sah sie, was Torsten zu der Äußerung gebracht hatte: Die Frau hatte im Bauchraum zwei sehr tiefe kreuzförmige Schnitte, die sie anscheinend hatten verbluten lassen.
Günnur atmete tief durch. „Was ist denn hier nur passiert?“, fragte sie mit gedämpfter Stimme. Das sah fast nach einer Art theologisch motiviertem Mord aus – das Kreuz auf dem Bauch, die Lage des Opfers – , als ob jemand ein Zeichen oder einen Anstoß geben wollte,