Franziska Frey

Ihr letztes Schriftzeichen


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von aufgeregten Studenten empfangen, die fast allesamt asiatische Züge trugen. „Was ist passiert?“ „Ist was mit Zhang Li?“ „Ist sie verletzt?“ „Ist sie tot?“ „Können wir was machen?“ umschwirrten Günnur die Sprachfetzen der Menschen um sie herum.

      „Bleiben Sie erst mal ruhig!“, versuchten die beiden Kollegen auf die besorgten jungen Menschen einzuwirken und sie zurückzuhalten, sodass Günnur und Torsten mit einem Kollegen alleine in den Aufzug steigen konnten.

      „Ich komm mal lieber mit hoch, oben ist auch die Hölle los.“, sagte der und zuckte bedauernd mit den Schultern. „Bleibt ja nicht aus. In so einem großen Haus spricht es sich schnell rum, dass hier was passiert ist.“

      Als sie im fünften Stock aus dem Fahrstuhl stiegen, bot sich ihnen ein ähnliches Bild wie unten. Eine Traube von Studierenden stand sofort um sie herum und bombardierte sie ähnlich wie unten mit Fragen und Bemerkungen. Ein weiterer Kollege stand an einem provisorisch angebrachten Absperrband, sodass die Studierenden wenigstens nicht direkt zum Appartement der Toten vordringen konnten. Neben ihm saß ein junger Chinese auf dem Boden und weinte.

      „Gut, dass Sie kommen!“, raunte der Kollege ihr zu. „Das ist hier ein Taubenschlag, so viele Leute, wie hier wohnen. Und alle kennen die Tote und wollen was wissen. Und er“ – er deutete auf den Mann am Boden – „hat sie gefunden und jetzt natürlich einen Schock weg.“ „Arzt ist benachrichtigt?“ fragte sie. „Kommt in ein paar Minuten“, erwiderte ihr Kollege.

      Günnur stellte sich dem weinenden Mann kurz vor, strich ihm über die Schulter und versprach, kurze Zeit später zu ihm zu kommen.

      Als sie 20 Minuten später Hannah und Felix von der Spurensicherung benachrichtigt hatte und aus dem Appartement trat, saß er noch genauso da wie vorher und weinte nach wie vor. Der Arzt war noch nicht eingetroffen. Sie hockte sich zu ihm auf den Boden – obwohl das Linoleum weder warm noch sauber aussah – und atmete tief durch.

      „Es tut mir leid, dass Sie das als Erster sehen mussten“ sagte sie zu ihm gewandt. „So etwas gehört zu dem Schwersten, was ein Mensch ertragen kann.“ Er sah zu ihr, schluchzte und sagte: „LiLi war die Frau meines besten Freundes HaiPing. Wo ist er nur? Er wird das nicht ertragen, was da passiert ist. Wer macht so was? Er liebt seine Frau so sehr...“ Er wurde wieder von einem Weinanfall geschüttelt.

      Aus dem Augenwinkel sah Günnur, dass ein Arzt den Gang entlang kam. Zum Glück. Der junge Mann tat ihr unendlich leid. „Wo ist denn HaiPing?“ fragte sie ihn. „Ich weiß nicht...er hat vielleicht noch Uni. Ich hab ihn schon angeschrieben, dass er nach Hause kommen soll. Das wird er nicht ertragen...“ antwortete der. Er hieß ShenHui. Diese Namen führten schon jetzt dazu, dass Günnur eine leichte Verwirrung in sich spürte. Einmal Hui, einmal Hai, einmal vorne, dann wieder hinten... Die klangen alle so ähnlich. Und sie spürte, dass da noch eine Menge chinesischer Namen auf sie warteten. Sie würden eine Liste führen müssen, um die Namen auseinander halten zu können. Man müsste sich da mal schlau machen, um sich nicht zu blamieren.

      Sie sagte dem Arzt, der jetzt neben ihr stand, leise, dass er bitte möglichst bleiben sollte, bis der Ehemann der Toten wiederkäme. Wenn schon der Freund der beiden so heftig reagierte, wie dann erst der Ehemann?

      Torsten trat zu ihr und sagte: „Also, ich hab gar nichts gefunden, was nach einer Tatwaffe aussieht. Da müssen dann die Kollegen von der Spusi ran. Wie es scheint, müssen wir hier alle öffentlichen Räume erst mal absperren lassen, also die nächste Zeit kein Küche und kein Gemeinschaftsraum für die Bewohner dieser Etage...“

      Er grinste. „Man gut, dass die in ihren Appartements eigene Klos und Duschen haben, sonst würde es hier bald stinken...“ „Na, jetzt mach mal unsere Spusi nicht madig!“, sagte Günnur und stieß ihm in die Seite. „Die werden doch wohl hoffentlich innerhalb kürzester Zeit was rausfinden, bevor hier alle verdrecken oder verhungern!“

      Das ständige Gemurmel vor der Absperrung, das sie gar nicht mehr wahrgenommen hatten, wurde lauter, und als Günnur hinsah, bemerkte sie, dass eine Gasse gebildet wurde, durch die ein junger Mann hastete. Die Panik in seinen flackernden Augen war deutlich zu erkennen, als er auf Günnur und Torsten zustürzte und hervorstieß: „Wo ist LiLi? Was ist mit meiner Frau? Ich will zu ihr!“ „Geh da nicht rein!“ schluchzte ShenHui. „Es ist grauenvoll!“ und ein Schwall Chinesisch folgte.

      HaiPing schien nicht wirklich zu hören, was ShenHui sagte und ihn auch nicht wirklich wahrzunehmen. Torsten hielt ihn an den Schultern fest. „Sie sind HaiPing?“, fragte er. Dieser nickte und wollte schon in Richtung Appartementtür gehen, als Torsten den Druck auf seine Schultern verstärkte. „Ich weiß nicht, ob das jetzt wirklich so gut ist, wenn Sie da rein gehen.“ versuchte er ihm ruhig zu sagen. „Mit Ihrer Frau ist etwas sehr Schlimmes passiert und ganz bestimmmt ist ihr Anblick jetzt nicht gerade gut für Sie.“

      „Ich will sie sehen und ich will wissen, was passiert ist!“, sagte HaiPing heftig und schüttelte Torstens Hand ab. Torsten und Günnur folgten ihm in das Zimmer, in der die tote LiLi lag. HaiPings schreiendes Weinen zu hören war grauenvoll für sie. Die Trauerqualen der Hinterbliebenen am Tatort waren auch für die beiden hartgesottenen Polizeibeamten immer wieder schrecklich zu ertragen und beiden schoss das Wasser sekundenlang in die Augen, als sie HaiPing sanft davon abhalten mussten, sich über seine Frau zu werfen und sie mit Küssen zu bedecken. Er sank vor seiner Frau auf den Boden, schlug die Hände vor die Augen und zitterte am ganzen Körper. Sein Freund ShenHui, der den dreien ins Zimmer gefolgt war, setzte sich neben ihn und nahm ihn fest in die Arme. HaiPing schluchzte etwas auf Chinesisch und ShenHui antwortete ebenfalls auf Chinesisch. Die beiden sahen sich äußerlich sehr ähnlich. Schwarze, glatte, kurz geschnittene Haare und beide trugen eine modische Brille. Günnur fand, dass es nicht einfach war, männliche Asiaten zu unterscheiden. Sie schienen alle ähnliche Gesichtszüge zu haben, hatten eine ähnliche Statur und Größe und wirkten auf sie seltsam alterslos. Es fiel ihr wirklich schwer, markante äußerliche Merkmale zu beschreiben. Wenn sie auch noch Nationalitäten unterscheiden müsste, wäre sie wohl hoffnungslos aufgeschmissen gewesen. Ob nun Chinese, Japaner, Vietnamese, Koreaner oder Thailänder, das verschwomm für sie alles zu einem äußerlichen Einheitsbrei. Ob es den Asiaten mit ihnen als Europäern wohl ähnlich ging? Nicht uninteressant, das herauszufinden im Laufe dieses Falles. Solange sie sich erinnern konnte, war das der erste Fall mit einer chinesischen Toten. In diesem Kulturkreis kannte sie sich überhaupt nicht aus. Mal sehen, was da auf sie zukam.

      Die zwei Freunde saßen immer noch auf dem Boden und schluchzten und redeten stoßweise miteinander oder vielleicht auch nebeneinander her. So genau konnte Günnur das nicht beurteilen, da war der Schock und da war das Chinesisch. „Passen Sie auf die beiden auf“, raunte sie dem Arzt zu. „Sie kriegen das hin! Und sagen Sie den beiden, dass ich sie morgen noch einmal kontaktieren werde.“

      Der Arzt hob den Daumen und die Augenbrauen. „Denke schon, dass ich das hinkriege, auch wenn es immer wieder Mist ist.“

      „Pffhhhh...“, seufzte Günnur tief, als sie mit Torsten das Appartement verließ. Sofort wurden sie auf dem Flur von den hinter der Absperrung stehenden Studierenden umringt. „Was ist passiert?“, „Was ist mit LiLi?“, „Ist sie tot?“, prasselten die Fragen auf sie ein. Günnur atmete tief ein und bevor sie zum Sprechen ansetzen konnte, kam Torsten ihr zuvor: „Ja, leider ist es so, dass Ihre Kommilitonin tot ist.“ In die darauf folgenden Entsetzensausbrüche sagte er etwas lauter: „Bedauerlicherweise müssen wir auf unbestimmte Zeit auch Ihre Gemeinschaftsräume sperren, also den Aufenthaltsraum und die Küche, aber bestimmt sind die anderen Etagen gerne bereit, für Sie etwas zusammenzurücken.“

      Es schien, als ob das eh niemand gehört hatte oder hören wollte, denn die nächsten Fragen stürzten schon auf sie ein: „Ist sie umgebracht worden?“ „Was ist mit HaiPing?“ „Ist unter uns ein Mörder?“ „Warum denn LiLi, die keiner Fliege was zu Leide tun konnte?“ „Können wir sie sehen?“

      „Wir können momentan noch nichts zu den genauen Todesumständen sagen. Das wird sich aber bestimmt bald ändern, wir arbeiten hart daran.“, beschwichtigte Günnur die Umstehenden.

      Im Erdgeschoss mussten sie noch einmal ähnliche Fragen