M.E. Lee Jonas

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 01: Oma Vettel


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sie wieder einen dieser merkwürdigen Träume:

      Sie befindet sich in einem außergewöhnlichen Garten, in dem fantastische Blumen, Sträucher und Bäume wachsen. Der Duft dieser befremdlichen Gewächse ist schwer und betört sie auf angenehme Weise, während er sie an etwas längst Vergangenes erinnert. Eine tiefe Sehnsucht ergreift sie, ohne dass sie weiß, wonach. Verträumt legt sie sich auf die große Blütenschaukel, die zwischen zwei Bäumen mit exotisch anmutenden Früchten hängt, und sieht hinauf in den wolkenlosen Himmel. Plötzlich nimmt sie einen anderen, intensiven Geruch wahr, der ihr seltsam vertraut ist. Ein Aftershave, holzig und dennoch angenehm leicht. Vor ihrem geistigen Auge erscheint eine Gestalt, deren Gesicht sie nicht erkennen kann. Aber sie hat keine Angst vor ihr, sondern eher das Bedürfnis sie zu umarmen. Als sich der Gedanke wie eine flüchtige Wolke auflöst, wird der Geruch stärker. So als würde diese Person direkt hinter ihr stehen. Voller Vorfreude dreht sie sich um, kann jedoch niemanden entdecken. Da wird sie sehr traurig. Etwas völlig Unbekanntes ergreift sie. Ein schmerzliches Gefühl, das sie nur in ihren Träumen einholt. Heimweh. Doch da bemerkt sie einen Schatten.

      Neben ihrer Blütenschaukel entdeckt sie einen dunklen Kreis, der mit jeder Sekunde größer wird. Neugierig sieht sie zum Himmel und erkennt einen seltsamen Vogel, der hoch in der Luft seine Kreise zieht und dabei langsam zu Boden sinkt. Schützend legt sie ihre Hände vor die Augen, da die Sonne sie stark blendet.

      »Das ist das erste Mal, dass ich ein Lebewesen in diesem Garten sehe«, denkt sie versonnen und beobachtet fasziniert das Geschöpf, dessen Schatten sie mittlerweile umringt.

      Eine leichte Gänsehaut überströmt sie, während ihre innere Stimme sagt, dass sie wegrennen soll. Doch dieser Anblick fesselt sie, obgleich dieser Vogel mit jedem Meter, den er hinabsinkt, unheimlicher wird. Langsam und lautlos schwebt er zu Boden. Nun wird J.J. mulmig zumute. Als sie dann auch noch das Gefühl hat, dass sich neben ihr etwas bewegt, springt sie hoch und sieht sich hektisch um.

      Da brüllt eine hysterische Stimme los:

      »Jezabel, wach sofort auf! Hörst du mich? Er darf dich nicht sehen!«

      J.J. springt erschrocken hinter einen Busch und sieht zum Himmel. Als sie den Vogel sieht, erschaudert sie. Dieses gruselige Ding ist bereits so nah über ihr, dass sie die Umrisse klar und deutlich erkennen kann. Und was sie da sieht, gefällt ihr überhaupt nicht!

      Die Kreatur hat einen gewaltigen, spinnenähnlichen Körper, an dem sechs lange, haarige Beine hängen, deren Abschluss messerscharfe Klauen bilden. Mächtige, fledermausartige Schwingen tragen dieses Geschöpf lautlos durch die Luft, was dieses Szenario noch unheimlicher wirken lässt. Noch während J.J. nach einem Ausgang sucht, stößt diese fliegende Riesenspinnenfledermaus einen markerschütternden Schrei aus und stürzt sich auf sie.

      »Eine Spinne?«, flüstert sie entsetzt und versucht zu fliehen.

      Vor Angst kann sie sich jedoch kaum bewegen, außerdem rast ihr Herz und ihre Hände zittern.

      »So etwas Abscheuliches habe ich noch nie zuvor gesehen«, flüstert sie und schließt die Augen, in der Hoffnung, dass dieses Ding verschwindet.

      Da hört sie erneut diesen grauenvollen Ruf, der ihr versichert, dass es keine Einbildung ist. Als sie die Augen öffnet, sieht sie mit Grauen, dass das Monster auf sie stürzt, wie ein Falke, der seine Beute geortet hat. Aber das ist nicht alles. Auf der Kreatur sitzt eine kleine Gestalt, die Zügel in der Hand hält und die fliegende Spinne scheinbar steuert.

      »Was ist das nur?«, flüstert sie ängstlich, bevor sie sich endlich aus ihrer Starre löst und aus dem Garten rennt. Ihre innere Stimme gibt ihr eindringlich zu verstehen, dass dieses Ding sie auf gar keinen Fall finden darf! Also läuft J.J. so schnell sie kann, bis sie vor einem gruseligen Wald steht, um den sie normalerweise einen großen Bogen machen würde. Und auch jetzt beschließt sie, nicht hineinzurennen, sondern Schutz unter einer großen Baumwurzel zu suchen. Vor Anstrengung keuchend, sieht sie sich um.

      »Wo bin ich? Hier kommt mir nichts bekannt vor«, denkt sie verstört.

      »Träume ich noch oder ist das real?«, keucht sie weiter, als sie plötzlich jemand von hinten an den Schultern packt.

      »Jezabel, wach sofort auf! Jetzt!«, ertönt eine grelle Stimme, als sie mit voller Wucht nach vorn geworfen wird. Vor Schreck schreit sie laut auf und versucht sich irgendwo festzukrallen, was ihr nicht gelingt. Sie überschlägt sich schreiend, bis sie hart auf ebenen Boden fällt und liegen bleibt. Schützend hält sie die Hände über den Kopf, während sie Angst hat, dass ihr Atem versagt.

      Da wird es plötzlich sehr hell und sie hört hektische Schrittlaute.

      »J.J., oh Gott! Alles in Ordnung mit dir? Sieh mich an«, spricht eine panische Stimme, die ihr durchaus vertraut ist. Als sie sicher ist, dass es sich wirklich um Zoé handelt, holt sie tief Luft und dreht sich langsam um. Vorsichtig öffnet sie die Augen. Erleichtert stellt sie fest, dass sie wieder in ihrem Zimmer ist, in dem kein Monster auf sie lauert.

      Zoé kniet neben ihr und sieht sie besorgt an.

      »Also, du hast mich vielleicht erschreckt! Ich dachte, ein Flugzeug ist in unser Zimmer gestürzt, so laut hat es geknallt. Komm, wir sollten nachsehen, ob du dich verletzt hast«, sagt sie aufgeregt und hilft J.J. auf. Die stöhnt und hält sich den Kopf, der nach dem Aufprall höllisch weh tut.

      »Ich hatte wohl einen schlechten Traum und bin aus dem Bett gefallen. Ich denke, mir geht es gut. Nur mein Kopf brummt ein bisschen.«

      J.J. setzt sich aufs Bett und begutachtet ihren Körper. Dieser Traum war realistischer als all die anderen, also sieht sie nach, ob sie sich bei dem Sturz verletzt hat. Aber sie findet weder blaue Flecken, noch andere Blessuren. Zoé setzt sich dazu und nimmt ihre Hand.

      »J.J., das ist alles mehr als gespenstisch. Du hast im Traum geschrien wie am Spieß und es war nicht das erste Mal, dass du das getan hast. Dann die unheimlichen Dinge, die dir ständig passieren. Du bist völlig fertig und ich weiß wirklich nicht mehr, wie ich dir helfen kann. Was belastet dich nur so sehr?«

      J.J. zuckt betroffen mit den Schultern.

      »Wenn ich das nur wüsste, Zoé. Es ist, als ob irgendetwas nach mir ruft. Etwas sehr, sehr Dunkles. Das Seltsame ist jedoch, dass es mir überhaupt keine Angst macht. Aber da ist immer noch jemand. Dessen Stimme ist mir vertraut, obwohl ich nicht weiß, zu wem sie gehört, oder wovor sie mich warnen will. Ich habe schon voll die Paranoia. Bin ich vielleicht besessen oder so was? Morgen gehe ich zur Schulschwester. Die hat bestimmt einen Rat.«

      Zoé nimmt ihre Freundin in den Arm und legt ihren Kopf auf deren Schulter.

      »Ich mache mir große Sorgen um dich, liebe J.J. Was hältst du davon, wenn ich heute Nacht bei dir schlafe? Dann hast du bestimmt keine Albträume! Ich lege mich vorne hin, so kannst du wenigstens nicht mehr herausfallen!«

      Ohne eine Antwort abzuwarten, stupst sie J.J. nach hinten und knipst die Nachttischlampe aus. Die liegt mit dem Gesicht zur Wand und lächelt heimlich über ihre Freundin. Die Gedanken an diesen merkwürdigen Traum beschäftigen sie allerdings so sehr, dass sie den kurzen Rest der Nacht wach bleibt.

      Am nächsten Morgen nimmt sie eine eiskalte Dusche und packt ihre Schulsachen zusammen. Heute hat sie Kunstunterricht, ihr Lieblingsfach. Sie schnappt ihre Kunstmappe und rennt hinter Zoé her, die unten im Flur bereits ungeduldig auf sie wartet.

      »Komm schon, J.J. Ich will noch frühstücken! Du weißt doch, dass ich ohne meine Cornflakes unausstehlich bin!«

      J.J. rennt zur großen Eingangstür und hält sie lächelnd auf. Sie macht einen Knicks und verbeugt sich tief. Zoé geht mit wedelnden, rosa Rastazöpfen an ihr vorbei und lacht. Bevor sie sich guter Dinge auf den Weg zum Schulgebäude machen, nimmt J.J. noch einen tiefen Zug der frischen Morgenluft. Den schrecklichen Traum versucht sie zu vergessen.

      Unterwegs sammeln sie William und Felder ein und gehen mit ihnen in den Speisesaal. J.J. geht zögerlich hinter ihren Freunden her und sieht sich nervös um. Der Leuchter wurde repariert und glänzt wieder stolz von der Decke. Trotzdem hat sie Angst, dass ihr wieder irgendetwas Blödes passiert,