M.E. Lee Jonas

Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 01: Oma Vettel


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behaupten felsenfest, dass sie diese Hüte nur zur Ablenkung trage. Sie erzählen, sie hätten sie einmal ohne Kopfbedeckung im Auto gesehen und da hätten ihre weißen, schulterlangen Haare geblinkt und dabei die Farbe gewechselt! So wie diese bunten Discoleuchten. Da es jedoch unzählige dieser spektakulären Geschichten über Oma Vettel gibt, nehmen die Einwohner solche Berichte mittlerweile hin, ohne nach Beweisen zu suchen. So ranken sich mindestens einhundert verrückte und kuriose Märchen um Ophelia Vettel Penelopé Utherina Gräfin von Winterhardt, wie Oma Vettel mit richtigem Namen heißt. Die meisten Geschichten sind jedoch reine Fantasie, da die Wahrheit niemand kennt.

      Oma Vettel wohnt tatsächlich an einem verwunschenen Ort, denn sie ist eine mächtige Hexe. Dass sie damals diesen Ort als ihr Zuhause wählte, ist alles andere als Zufall, denn in Havelock befindet sich das Tor nach Xestha, dem dunklen Phad der mächtigen Schatten. Das ist der Teil des Zauberreiches, in dem die bösen Hexen leben und der für uns Menschen nicht sichtbar ist.

      Ja, ihr habt richtig gelesen!

      Diese nette alte Dame ist eine böse Hexe und ihr Name im Zauberreich ist Vettel. Keine andere Hexe heißt so, da jedes Wesen eines Zauberphads bei seiner Geburt einen eigenen, magischen Namen bekommt. In dem Moment, wenn ein Zauberwesen das Licht der Welt erblickt, erscheint sein Name im Spiegel der Tore und wird im Register des jeweiligen Phads eingetragen. Der weltliche Name, also der, den die Eltern für ihr Kind aussuchen, wird im Zauberreich nicht benutzt. Natürlich haben die Familien der beiden Phade auch Nachnamen, im Zauberreich sprechen sich jedoch alle nur mit dem Namen an, den der magische Spiegel ihnen zugeteilt hat.

      Da die Hexe nun in der realen Welt lebt und ihr Familienname nebst Titel viel zu lang ist, stellt sie sich bei ihren Freunden, wie sie gern alle Menschen bezeichnet, einfach als Oma Vettel vor. Warum das so ist und woher dieser eigensinnige Name stammt, bleibt ein Geheimnis. Über ihre Herkunft weiß niemand wirklich etwas, aber das ist den Einwohnern auch nicht mehr so wichtig. Als sie vor vielen, vielen Jahren dieses alte Haus kaufte, war sie gerade um die zwanzig Jahre alt und hatte nichts außer einem alten Reisigbesen und Timothey, ihren kleinen Sohn dabei. Begleitet wurden sie von Broaf, ihrem Diener. Die Einwohner erfuhren nur, dass sie eine Gräfin sei, deren Ehemann tödlich verunglückte und die nach dieser Tragödie in der Abgeschiedenheit von Havelock zur Ruhe kommen möchte. Das Anwesen, das sie kaufte, gehörte vorher einem reichen Unternehmer, der sich den Dorfbewohnern nie zeigte und es nur als Feriendomizil nutzte.

      Die junge Frau lebte sich schnell in die Gemeinde ein, blieb privat jedoch gern für sich. Ihr Sohn Timothey wuchs ganz normal mit den anderen Kindern von Havelock auf und verbrachte hier eine vollkommen unbeschwerte Kindheit. Er sprach mit niemandem darüber, dass seine Mutter anders ist. Timothey selbst hatte keine magischen Fähigkeiten und lehnte die Zauberei stets ab. Als er und seine Frau Cassy, die von der anderen Seite Neuseelands stammte, vor knapp fünf Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückten, trauerte die gesamte Ortschaft mit Oma Vettel mit. Doch die Zeit ließ die Wunden verheilen und der Alltag hat die Gemeinde längst wieder eingeholt.

      Kapitel 1

      Ein ganz normaler, ungewöhnlicher Geburtstag!

      Die Weihnachtsfeiertage mit ihren fröhlichen Paraden sind gerade vorüber und das Jahr 2004 wurde bereits außerordentlich freudig begrüßt. Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu und allmählich kehrt die gewohnte Routine in die kleine Ortschaft ein. Die Sonne zeigt sich schon seit zwei Wochen von ihrer besten Seite und alle Bewohner von Havelock freuen sich auf die allabendlichen Grillpartys, die abwechselnd in den wunderschönen Gärten der Einwohner oder am Strand stattfinden.

      In Neuseeland ist jetzt Hochsommer. Es ist die Jahreszeit, in der man Oma Vettel im Ort selten zu Gesicht bekommt. Sie hat den Einwohnern erzählt, dass sie das warme Wetter in ihrem Alter nicht mehr so gut vertrage und sich deshalb lieber auf ihrer schattigen Veranda aufhalte. So bekommen die Einwohner in den Sommermonaten meistens nur ihren Diener Broaf zu sehen, wenn dieser mit dem Oldtimer der alten Dame, einem weinroten BMW, Baujahr 1939, die nötigsten Einkäufe erledigt. Broaf ist, ebenso wie Oma Vettel, als eigentümlicher Mensch bekannt, der selten redet. Er trägt immer einen schwarzen, akkurat gebügelten Frack und schwarze Lackschuhe, die so blank poliert sind, dass man sich darin spiegeln kann. Sein lichtes, graues Haar hat er stets sorgfältig zu einem Mittelscheitel gekämmt. Sicherlich wirkt er im ersten Moment wie der Hauptdarsteller aus einem alten Stummfilm, aber seine respektvolle Art verbietet den Einwohnern, sich darüber lustig zu machen. Wenn man Broaf grüßt, verbeugt er sich immer ganz leicht und erst daraufhin grüßt er zurück. So kennt man ihn hier seit vierzig Jahren.

      Heute hat es der Diener sehr eilig. Er parkt direkt vor dem Eingang des kleinen Lebensmittelladens und läuft eilig die zwei Stufen herauf. Er soll die Waren abholen, die Oma Vettel gestern Abend telefonisch bei Mr. Rippel bestellt hat.

      Broaf ist voller Vorfreude, denn heute ist ein ganz besonderer Tag!

      Jezabel, Oma Vettels kleine Enkelin, feiert heute ihren sechsten Geburtstag. Seit dem tragischen Autounfall ihrer Eltern lebt sie auf dem Anwesen ihrer Großmutter und wird von ihr behütet wie ihr Augapfel. Im Dorf sieht man das kleine Mädchen eher selten. Sie gilt bei den Einwohnern aber als äußerst intelligent und sehr kreativ. So hat sie bis jetzt jeden Malwettbewerb gewonnen und überrascht bei ihren seltenen Besuchen am Strand mit den außergewöhnlichsten Sandburgen und Muschelskulpturen.

      Das kleine Mädchen mit den langen, goldblonden Haaren hüpft schon den ganzen Morgen aufgeregt durch das üppig geschmückte Haus ihrer Großmutter. Wie viele Zimmer dieses eigentümliche Gebäude hat, weiß niemand so genau, da es sich ständig verändert. Im Moment, so schätzt man, gibt es so um die sechs Etagen plus Dachboden. Wobei das niemand nachgezählt hat. Wichtig ist nur, dass jeder Bewohner genügend Raum zum Leben und Wohnen hat. Darüber braucht man sich jedoch keine Gedanken zu machen, da das Haus für alle Bewohner gleich gut sorgt. Einen Keller gibt es natürlich auch. Dies ist allerdings der einzige Raum, der immer an derselben Stelle bleibt.

      Oma Vettel behauptet steif und fest, dass ihr Haus in der Pubertät sei, da es sich seit zwei Jahren fast monatlich verändert. Das kann für die Bewohner mitunter sehr anstrengend sein. So ist es schon passiert, dass Oma Vettel eines Nachts zwei Stunden im Haus umherirrte und die Toilette, die sich eigentlich in steter Tradition neben ihrem Schlafzimmer befindet, erst im Keller wiederfand. Daraufhin hat sie dem Haus eine solche Standpauke gehalten, dass es daraufhin vor lauter Scham wochenlang nur noch rote Tapeten getragen hat.

      Momentan findet man im Erdgeschoss einen riesigen Esssalon, eine gute Stube, eine überdimensionale Küche, ein Spielzimmer für Jezabel, ein Musikzimmer, drei Schlafzimmer und zwei Bäder im altenglischen Stil. Hier soll heute das große Geburtstagsfest stattfinden.

      Überall hängen riesige, blinkende Luftballontrauben, die ausgelassen über die ellenlangen Girlanden hüpfen. Ab und an passiert es, dass solch ein Ballon zerplatzt und dann Hunderte Bonbons verschiedenster Geschmacksrichtungen herabregnen. Jezabel versucht sie natürlich alle aufzufangen, obwohl ihre Taschen bereits randvoll gestopft sind. Sahnetoffee mag sie am allerliebsten. Das kleine Mädchen hüpft an den Wanderhortensien vorbei, die ihrem Namen heute alle Ehre machen. Schon seit einigen Stunden wandern diese Gewächse von einem Zimmer zum nächsten, um den geeigneten Platz für ihren großen Ballettauftritt zu finden. Im Esssalon stehen sie nun neben den schweren, dunkelgrünen Vorhängen und streiten wie die Kesselflicker, welche Farbe sie heute tragen sollen. Kirk, die Blume mit den größten Blüten, ist schon so sauer, dass sie ihr tiefes Dunkelrot nicht mehr verändern kann.

      Afrolino, der ewig schlafende Alligator, schwebt derweil gelassen durchs Haus und bläst glitzernde Sterne aus seinen Nasenlöchern. Diese schweben erst langsam, wie Konfetti durch den Raum, bis sie am Boden wie Knallerbsen zerplatzen, um sich schließlich in buntem Nebel aufzulösen. Sein lautes, ununterbrochenes Schnarchen, welches sonst schon früh am Morgen die anderen Bewohner gehörig nervt, geht heute in dem ganzen Trubel unter.

      Für die musikalische Untermalung sorgt ein Blumenorchester, das sich heute ausnahmsweise nicht im Garten, sondern in der Küche unter der Leitung von Florence, dem Sonnentrichterorakel, versammelt hat. Sie üben dort seit vielen Stunden und man kann behaupten, dass es sich gelohnt hat.