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in einem solchen Land war dieser Ort vergleichbar mit dem Herz eines Menschen. Und der höchste Krieger, der hier lebte, war seine Seele.

      … Der höchste Krieger, der hier lebte. Sara stutzte.

      „Sie ist verlassen? Also ist der Shaj der Nacht immer noch verschwunden?“

      „Nicht ganz verlassen.“ ertönte eine dunkle Stimme hinter ihnen. Ein sichtlich erleichterter Akosh trat aus dem Schatten. „Einige Diener und andere Untergebene haben sich in den hinteren Flügel zurückgezogen.“ Sein Blick fiel auf den Mondhengst. „Ein herrliches Tier, nicht wahr? Die Pferdebrüder werden ihm nachtrauern.“

      „Achte darauf, dass er gut versorgt wird.“ Lennys überreichte Akosh die Zügel. „Hast du alles erledigt?“

      „Natürlich.“ Er sah zur Festung hinauf. „Es ist ein seltsames Gefühl, wieder hier zu sein. Aber ein gutes.“

      „Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte?“

      „Rahor wartet.“ Die Stimme des Schmieds war ernst.

      „Er soll noch einen Augenblick Geduld haben. Du kannst gehen.“

      Der Mond beschien Vas-Zarac mit seinem silbernen Glanz und spiegelte sich in den sichelförmigen Beschlägen des Hauptportals. Es wäre ein faszinierendes Schauspiel gewesen, doch Sara hatte dafür keine Augen. Irgendetwas schien unaufhaltsam auf sie zu zu kommen, aber sie konnte das Gefühl der Beklemmung nicht so recht einordnen. Als Lennys sprach, verstärkte sich die Anspannung der Novizin mit jedem Wort.

      „In all den Jahren wurde noch keinem anderen Fremdländer außer Menrir die Ehre zuteil, die Räume der Burg zu betreten oder sie auch nur zu sehen. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Entscheidung, dich hierher zu bringen, große Zustimmung findet....“

      Sara wollte etwas sagen, doch Lennys winkte ab.

      „Nein, sag nichts. Es gibt vielerlei Gesetze in diesem Land, die Menschen wie dich betreffen. Ich kann weder dich noch mich darüber erheben. Menrir ist für uns ein Freund. Er darf sich hier einigermaßen frei bewegen und wird von den Sichelländern geachtet. Dich kennen sie nicht. Über Menrirs Taten wurde in Cycalas gesprochen, noch bevor er das erste Mal die Grenzen in unser Land überschritt. Von dir weiß hier niemand etwas. Sie werden dich nicht offen anfeinden, aber nur wenige werden dir wirklichen Respekt entgegenbringen. Ich möchte, dass dir das bewusst ist.“

      Saras Lippen bebten, doch sie sagte nichts.

      „Ich weiß nicht, wie oft wir uns in den nächsten Tagen sehen werden. Aber Akosh wird da sein, wende dich an ihn, wenn du etwas brauchst. Oder an Rahor. Du wirst ihn gleich kennenlernen.“ Sie nickte zur Burg hinüber. „Deine Unterkunft ist im hinteren Flügel. Man wird dich gleich hinbringen.“

      Endlich fand Sara die Sprache wieder. „Aber... ich dachte...dort lebt das Personal des Shaj?“

      „Richtig. Deshalb hast du auch Anspruch darauf, dort zu wohnen.“

      „Aber ihr sagtet doch, der Shaj sei zur Zeit gar nicht hier.“ erwiderte Sara. „Und außerdem... seid ihr meine Herrin. Niemand sonst.“

      Lennys schüttelte matt den Kopf.

      "Ich habe nichts anderes gesagt. Tu nicht so, als ob du es nicht längst wüsstest. Das ist meine Festung."

      Sara hörte kaum, wie Lennys nach dem Mann namens Rahor rief. Und sie schenkte dem cycalanischen Krieger, der gleich darauf neben ihnen auftauchte, noch nicht einmal einen interessierten Blick. Noch immer hallten Lennys' letzte Worte wie ein Donnerschlag in ihrem Kopf.

      Nun mischte sich dazu noch die heisere Stimme Rahors.

      „Keine Worte, die angemessen sind, unsere Erleichterung über eure wohlbehaltene Rückkehr auszudrücken, Herrin. Im Namen des Hauses Vas-Zarac und insbesondere der Cas heiße ich euch, die hochehrwürdige Shaj der Nacht, oberste Kriegerin Cycalas und Bewahrerin der Sichel willkommen zurück in ihrem Lande.“

      Ringsum erhob sich leises, zustimmendes Gemurmel aus der Dunkelheit.

      „Gerüchte über meinen Tod sollten nicht ernst genommen werden.“ erklärte Lennys ungehalten. „Wie kommt es, dass du und die anderen Cas sie nicht zerstreuen konnten?“

      Verlegen zuckte Rahor die Achseln. „Die Leute waren nur besorgt. Wirklich daran geglaubt hat sicher kein einziger. Wir haben immer wieder versucht, dem entgegenzuwirken. Doch es war schwierig, da auch wir nichts Genaues wussten. Ihr wart diesmal noch schweigsamer als sonst.“

      „Ein Vorwurf, Rahor? Ich hatte meine Gründe, euch nichts zu sagen. Und auch dein salbungsvoller Ton ändert nichts daran. Spar ihn dir also und rede wieder vernünftig mit mir.“

      Rahor lächelte erleichtert. „Ganz wie du wünschst. Wir sind wirklich froh, dass du zurück bist.“ Interessiert musterte er Sara.

      „Bring sie in ihr Quartier. Akosh hat dich ja hoffentlich darüber informiert. Mehr bleibt dir für heute nicht zu tun.“

      Den Bruchteil einer Sekunde lang sah Lennys Sara mit leisem Bedauern an, dann wandte sie sich ab und schritt allein die lange Treppe hinauf.

      Die Shaj der Nacht war nach Hause zurückgekehrt.

      Kapitel 2

      „Darf ich bitten?“ fragte Rahor freundlich. Er war groß und schlank und hatte ebenso schwarze Augen wie Lennys. Auch seine Haut war blass und genau wie seine Herrscherin trug auch er eine blitzende Sichel am Gürtel.

      Sara achtete nicht weiter auf ihn. Zu sehr waren ihre Gedanken mit den letzten Minuten beschäftigt. Lennys, die Shaj der Nacht und eine der drei Herrscher Cycalas'. War es wirklich so eine Überraschung? Die Ergebenheit der Sichelländer, die sie auf ihrem bisherigen Weg getroffen hatten, die Selbstverständlichkeit, mit der Lennys keinen Widerspruch duldete... ihre schwerwiegenden Entscheidungen, die sie ohne jegliche Rücksprache getroffen hatte... die Tatsache, dass sie das Privileg in Anspruch nahm, ein besonders wertvolles Pferd zu reiten, was an sich nur den höchsten Würdenträgern vorbehalten war... All das hatte im Grunde darauf hingedeutet. Und in ein oder zwei flüchtigen Momenten hatte sie, Sara, sogar einen Gedanken darauf verschwendet, dass Lennys mehr war als eine bloße Sichelträgerin. Aber hatte sie das erwartet? Nein. Talmir war ein alter Mann. Makk-Ura konnte nicht viel jünger gewesen sein, wenn man den Erzählungen glauben schenken wollte. Lennys hingegen war nur einige Jahre älter als sie selbst. Akosh war ein Cas gewesen und Rahor war immer noch einer. Sara hatte sich den obersten Krieger als narbendurchfurchten älteren Kämpfer vorgestellt, der seine Kämpfer mit eiserner Hand befehligte. Nun, zumindest was Letzteres anging, war Lennys durchaus nicht ungeeignet. Und dennoch...

      „... dir sicher gefallen.“ sagte Rahor gerade. Sie hatte ihm gar nicht zugehört.

      „Wie bitte?“ fragte sie verwirrt.

      Rahor lachte. Seine weißen Zähne blitzten.

      „Deine Unterkunft. Ich denke, du wirst sie mögen. Das Zimmer liegt in einem Seitengang, du wirst nicht viel von den anderen Bediensteten mitbekommen. Nach den Strapazen der weiten Reise bist du sicher froh, wenn du dich eine Weile ausruhen kannst.“

      Ungläubig sah Sara ihn an. Rahor schien zu ahnen, was sie dachte.

      „Es sind nicht alle Cycala so wie Lennys.“ erklärte er. „Und auch nicht so, wie sie es dir vielleicht erzählt hat. Natürlich, die Diener in der Festung und die Leute draußen in der Stadt werden dir misstrauisch begegnen. Aber einige von uns, zumindest die Cas und ein paar andere, sind inzwischen recht gut informiert. Wer sind wir, dass wir dich anfeinden, wenn sogar Lennys es für richtig hält, dich in die Burg einzulassen? Außerdem hast du noch weitere Fürsprecher...“

      „Fürsprecher?“

      „Akosh zum Beispiel. Er ist ja schon seit gestern hier und hat alles für eure Ankunft vorbereitet. Und bei dieser Gelegenheit hat er mehrfach durchklingen lassen, dass er wohl recht viel von dir hält. Auch wenn er lange Zeit keinen direkten Kontakt zu uns hatte, so zählt sein Wort