zu begehren. Er weiß um sein häßliches, abstoßendes Gesicht, das sich durchaus nicht eignen will für Medaillen und Embleme, für Prunk und Popularität, und dem kein Lorbeerkranz um die Stirne etwas Heldisches zu geben vermöchte. Er weiß um seine dünne gebrechliche Stimme, die gut flüstern, einblasen und verdächtigen, niemals aber eine Masse in feuriger Beredsamkeit mitreißen kann. Er weiß sich am stärksten am Schreibtisch, im verschlossenen Zimmer, im Schatten. Dort kann er gut spähen und forschen, beobachten und bereden, Fäden ziehen und sie wieder verwirren und selber undurchdringlich und unfaßbar bleiben.
Das ist das letzte Machtgeheimnis Joseph Fouchés, daß er zwar immer die Macht will, ja sogar das Höchste an Macht, daß ihm aber, im Gegensatz zu den meisten, das Bewußtsein der Macht selbst genügt: er braucht nicht ihre Abzeichen und ihr Gewand. Fouché ist ehrgeizig im höchsten, im allerhöchsten Maße, aber nicht ruhmsüchtig; er ist ambitioniert, ohne eitel zu sein. Als echter und rechter Geistspieler liebt er nur die Spannungswerte des Herrschertums, nicht seine Insignien. Den Liktorenstab, das Königszepter, die Kaiserkrone mag beruhigt ein anderer tragen, ob stark oder Strohmann, das ist ihm gleichgültig, er gönnt ihm gern den Glanz und das zweifelhafte Glück der Volksbeliebtheit. Ihm genügt es, in die Dinge Einblick zu haben, auf die Menschen Einfluß, den scheinbaren Führer der Welt wirklich zu führen und, ohne seine Person einzusetzen, das aufregendste aller Spiele zu spielen, das ungeheure politische Spiel. Während derart die andern sich binden an ihre Überzeugungen, an ihre öffentlichen Worte und Gesten, bleibt er, der Lichtscheue und Verborgene, innerlich frei und wird so der beharrende Pol in der Erscheinungen Flucht. Die Girondisten stürzen, Fouché bleibt, die Jakobiner werden verjagt, Fouché bleibt, das Direktorium, das Konsulat, das Kaiserreich, das Königtum und wieder das Kaiserreich schwinden und gehen zugrunde: immer aber bleibt er zurück, der eine, Fouché, dank seiner raffinierten Zurückhaltung und dank seinem verwegenen Mut zur restlosen Charakterlosigkeit, zur unentwegten Überzeugungslosigkeit.
Aber ein Tag kommt im Weltengang der Revolution, ein einziger, der kein Schwanken duldet, ein Tag, da jeder mit ja oder nein, mit grad oder ungrad sein Votum abgeben muß, der 16. Januar 1793. Der Uhrzeiger der Revolution steht auf Mittag, der halbe Weg ist vollbracht, dem Königtum Zoll um Zoll seiner Macht entwunden. Aber noch lebt der König Ludwig XVI., zwar Gefangener im Temple, aber er lebt. Weder ist es gelungen (wie die Gemäßigten hofften), ihn flüchten zu lassen, noch ist es gelungen (wie die Radikalen heimlich wünschten), ihn bei jenem Palaststurm durch die Volkswut umkommen zu lassen. Man hat ihn erniedrigt, ihm die Freiheit genommen, seinen Namen und Rang; aber noch durch seinen bloßen Atem, durch sein ererbtes Blut ist ein König, ein Enkel Ludwigs des Vierzehnten, auch wenn man ihn jetzt nur noch verächtlich Louis Capet nennt, noch immer Gefahr für eine junge Republik. So stellt nach der Verurteilung der Konvent am 15. Januar die Frage nach der Bestrafung, die Frage: Leben oder Tod. Vergebens haben die Unentschiedenen, die Feigen, die Vorsichtigen, haben die Leute vom Schlage Joseph Fouchés gehofft, sie könnten einer öffentlichen und bindenden Stellungnahme durch geheime Stimmabgabe entweichen: aber unbarmherzig besteht Robespierre darauf, daß jeder Repräsentant der französischen Nation sein Ja oder Nein, sein Leben oder Tod inmitten der Versammlung ausspreche, damit von jedem das Volk und die Nachwelt wisse, wohin er gehört, ob zur Rechten oder zur Linken, ob zur Ebbe oder zur Flut der Revolution. Fouchés Einstellung ist noch am 15. Januar völlig klar. Die Zugehörigkeit zu den Girondisten, der Wunsch seiner durchaus gemäßigten Wähler verpflichtet ihn, für den König Gnade zu fordern. Er fragt seine Freunde, Condorcetvor allem, und sieht, daß sie einhellig geneigt sind, einer so unwiderruflichen Maßregel, wie der Hinrichtung des Königs, auszuweichen. Und da die Majorität grundsätzlich gegen das Todesurteil steht, tritt Fouché selbstverständlich auf ihre Seite: noch am Abend zuvor, am 15. Januar, liest er einem Freunde die Rede vor, die er bei diesem Anlaß halten und mit der er seinen Wunsch nach Gnade begründen will. Wenn man sich auf die Bänke der Gemäßigten gesetzt hat, ist man zu Mäßigung verpflichtet, und da die Majorität sich gegen jeden Radikalismus wehrt, verabscheut ihn auch der von Überzeugungen nicht belastete Joseph Fouché.
Aber zwischen jenem Abend des 15. Januar und dem Morgen des 16. liegt eine unruhige und bewegte Nacht. Die Radikalen sind nicht müßig gewesen, sie haben die mächtige Maschine der Volksrevolte, die sie so vorzüglich zu meistern wissen, in Bewegung gesetzt. In den Vorstädten donnert die Lärmkanone, die Sektionen trommeln breite Massen herbei, alle die ungeordneten Bataillone des Aufruhrs, die immer von den unsichtbar bleibenden Terroristen herangeholt werden, um politische Entscheidungen gewaltsam zu erzwingen, und die ein Fingerdruck des Braumeisters Santerre innerhalb weniger Stunden in Bewegung setzt. Man kennt sie, diese Bataillone der Vorstadtagitatoren, der Fischweiber und Abenteurer, von der glorreichen Erstürmung der Bastille her, man kennt sie von der erbärmlichen Stunde der Septembermorde. Immer wenn es gilt, den Damm des Gesetzes zu durchbrechen, wird diese riesige Volkswoge gewaltsam aufgewühlt, und immer reißt sie alles unwiderstehlich mit sich fort, zuletzt diejenigen, die sie aus ihrer eigenen Tiefe hervorgeholt. Gedrängte Massen umlagern mittags schon die Reitschule und die Tuilerien, Männer in Hemdärmeln, nackt die Brust, drohend die Piken zur Hand, höhnende, schreiende Weiber mit brennendroten Carmagnolen, Bürgergardisten und Straßenvolk. Zwischen ihnen vervielfältigen sich die Anstifter des Aufruhrs: Fourier, der Amerikaner, Guzmann, der Spanier, Theroigne de Mericour, diese hysterische Karikatur einer Jeanne d'Arc. Kommen Abgeordnete vorbei, die verdächtig sind, für Milde zu stimmen, so schüttet sich wie aus Schmutzkübeln eine Flut Schimpfwörter über sie hin, Fäuste werden gehoben, Drohungen geschleudert gegen die Volksvertreter: mit allen Mitteln des Terrors und der brutalen Gewalt arbeiten die Einschüchterer, um den Kopf des Königs unter das Beil zu bekommen. Und diese Einschüchterung wirkt auf alle schwachen Seelen. Scheu sitzen die Girondisten im Flackerlicht der Kerzen an diesem grauen, frühen Winterabend beisammen. Die gestern noch entschlossen waren, gegen den Tod des Königs zu stimmen, um den Krieg bis aufs Messer mit ganz Europa zu vermeiden, sie sind größtenteils unter dem ungeheuren Druck des Volksaufruhrs unruhig und uneinig geworden. Endlich, es ist schon spät abends, erfolgt der Namensaufruf, und einer der ersten trifft ironischerweise gerade den Führer der Girondisten, Vergniaud, den sonst so südländischen Redner, dessen Stimme immer wie ein Hammer auf das schwingende Holz der Wände schmettert. Jetzt aber fürchtet er, als Führer der Republik nicht mehr genug republikanisch zu erscheinen, wenn er dem König das Leben läßt. So tritt er, der sonst Wilde und Stürmische, langsam, schwer, das große Haupt beschämt niedergesenkt, auf die Tribüne und sagt leise »La mort«, der Tod.
Das Wort tönt wie eine Stimmgabel durch den Saal. Der erste der Girondisten hat versagt. Die meisten andern bleiben fest, dreihundert unter siebenhundert Stimmen sind für Gnade, obwohl sie wissen, daß jetzt eine politische Mäßigung tausendmal mehr Kühnheit erfordert als scheinbare Entschlossenheit. Lange schwankt die Wage: ein paar Stimmen können entscheiden. Endlich wird der Deputierte Joseph Fouché de Nantes vorgerufen, derselbe, der noch gestern zuverlässig den Freunden versicherte, er werde mit hinreißender Rede das Leben des Königs verteidigen, der vor zehn Stunden noch den Entschlossensten aller Entschlossenen gespielt. Aber inzwischen hat der ehemalige Mathematiklehrer, der gute Rechner Fouché die Stimmen gezählt und gesehen, daß er damit zur falschen Partei käme, zur einzigen, zu der er sich nie bekennen wird: zur Minorität. So steigt er mit seinen lautlosen Schritten hastig die Tribüne empor, und von seinen blassen Lippen flüchten leise die beiden Worte »La mort«, der Tod.
Der Herzog von Otranto wird später hunderttausend Worte sprechen und schreiben, um diese beiden Worte, die ihn, Joseph Fouché, zum »Régicide«, zum Königsmörder stempeln, als Irrtum zu entschuldigen. Aber diese beiden Worte sind öffentlich gesagt und vermerkt im »Moniteur«, sie sind nicht auszustreichen aus der Geschichte und denkwürdig auch in der persönlichen Geschichte seines Lebens. Denn sie sind Joseph Fouchés erster öffentlicher Umfall. Er ist Condorcet und Daunou, seinen Freunden, heimtückisch in den Rücken gefallen, er hat sie genarrt und betrogen. Aber sie brauchen sich dessen vor der Geschichte nicht zu schämen, denn noch andere, noch Stärkere, Robespierre und Carnot, Lafayette, Barras und Napoleon, die Mächtigsten ihrer Zeit, werden dieses Schicksal teilen und gleichfalls in der Stunde der Ungunst von ihm überspielt werden.
In dieser Minute aber enthüllt sich zum erstenmal in Joseph Fouchés Charakter auch noch ein anderer und sehr ausgeprägter Wesenszug: seine Frechstirnigkeit. Wenn er verräterisch eine Partei verläßt, so geschieht