Stefan Zweig

Joseph Fouché


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Kommunist offenbart sich Joseph Fouché, der spätere millionenreiche Herzog von Otranto, der sich fromm unter der Patronanz eines Königs in der Kirche zum zweitenmal trauen lassen wird, damals noch als der wildwütigste, als der leidenschaftlichste Kämpfer gegen das Christentum. »Dieser heuchlerische Kult muß durch den Glauben an die Republik und die Moral ersetzt werden«, donnert er in seinem Brandbrief, und schon fallen wie brennende Blitze die ersten Maßnahmen in die Kirchen und Kathedralen. Gesetz auf Gesetz, Dekret auf Dekret: »Kein Priester darf sein geistliches Kleid tragen außerhalb der religiösen Stätte«, jedes Vorrecht wird ihm genommen, denn – »es ist Zeit,« – argumentiert er, »daß diese hochmütige Klasse wieder zur Reinheit des Urchristentums zurückgeführt werde und in die bürgerliche Klasse zurücktrete.« Bald genügt es Joseph Fouché nicht mehr, nur Oberster der Militärmacht, höchster Beamter der Justiz, unbeschränkter Diktator der Verwaltung zu sein, er reißt auch alle kirchlichen Befugnisse an sich. Er hebt das Zölibat auf, gebietet den Priestern, innerhalb eines Monates zu heiraten oder ein Kind zu adoptieren, er schließt Ehen und scheidet sie auf offenem Markte, er steigt auf die Kanzel (von der sorgfältig alle Kreuze und religiösen Bildnisse entfernt wurden) und hält atheistische Predigten, in denen er die Unsterblichkeit und das Dasein Gottes leugnet. Die christlichen Begräbniszeremonieen werden abgeschafft und als einzige Tröstung auf die Kirchhöfe die Inschrift gemeißelt: »Der Tod ist ein ewiger Schlaf.« In Nevers führt der neue Papst bei seiner Tochter, die er nach dem Departement »Nièvre« nennt, als erster im Land die bürgerliche Taufe ein. Nationalgarde muß ausrücken mit Trommel und Musik, und auf offenem Markte gibt er dem Kinde ohne kirchlichen Beistand Taufe und Namen. In Moulins reitet er an der Spitze eines Zuges durch die ganze Stadt, einen Hammer in der Faust, und zerschlägt die Kreuze, Kruzifixe und Heiligenbilder, die »schändlichen« Wahrzeichen des Fanatismus. Die geraubten Priestermitren und Altardecken werden zu einem Brandstoß aufgeschichtet, und während die Flammen grell emporschlagen, umtanzt der Pöbel jubelnd dieses atheistische Autodafé. Aber bloß gegen tote Dinge, gegen wehrlose Steinfiguren und zerbrechliche Kreuze zu wüten, wäre für Fouché nur ein halber Triumph. Der wirkliche gelingt ihm erst, als unter seiner Beredsamkeit der Erzbischof François Laurent sich die Kutte abreißt und die rote Mütze aufsetzt, als dreißig Priester ihm begeistert nachfolgen, ein Erfolg, der wie eine Brandwelle das ganze Land Frankreich durchläuft. Und stolz kann er sich gegen seinen schwächlicheren Atheistenkollegen rühmen, er habe den Fanatismus zerschmettert, das Christentum in dem ihm unterstellten Gebiet so ausgerottet wie den Reichtum.

      Taten eines Wütigen, tolle Leidenschaft eines fanatischen Phantasten würde man meinen! Aber Joseph Fouché bleibt in Wahrheit auch hinter einer vorgetäuschten Leidenschaft immer Rechner, immer Realist. Er weiß, daß er dem Konvent Rechenschaft schuldet, weiß auch, daß die patriotischen Phrasen und Briefe gleichzeitig mit den Assignaten längst im Kurse gesunken sind und man, um Bewunderung zu erregen, metallische Worte finden muß. So sendet er, während die ausgehobenen Regimenter an die Grenze marschieren, den ganzen Ertrag seines Kirchenraubes nach Paris. Kisten über Kisten werden in den Konvent geschleppt, gefüllt mit goldenen Monstranzen, zerbrochenen und geschmolzenen Silberleuchtern, vollgewichtigen Kruzifixen und herausgebrochenen Juwelen. Er weiß, die Republik braucht vor allem bare Münze, und als erster, als einziger sendet er aus der Provinz solche beredsame Beute zu den Deputierten, die zunächst staunen über diese neuartige Energie, sie dann aber mit donnerndem Applaus bejubeln. Von dieser Stunde an nennt und kennt man im Konvent den Namen Fouchés als den eines eisernen Mannes, als des unerschrockensten, gewaltkräftigsten Republikaners der Republik.

      Als Joseph Fouché von seinen Missionen in den Konvent zurückkehrt, ist er nicht mehr der unbekannte kleine Abgeordnete von 1792. Einem Mann, der zehntausend Rekruten auf die Beine gestellt, der hunderttausend Goldmark, zwölfhundert Pfund bares Geld, tausend Barren Silber aus den Provinzen gepreßt, ohne ein einziges Mal zum »Rasoir national«, zur Guillotine, zu greifen, kann der Konvent Bewunderung, »pour sa vigilance«, für »seinen Eifer«, wahrhaftig nicht versagen. Der Ultrajakobiner Chaumette veröffentlicht einen Hymnus auf seine Taten. »Der Bürger Fouché«, schreibt er, »hat die Wunder vollbracht, von denen ich erzählt habe. Er hat das Alter geehrt, die Schwachen unterstützt, das Unglück geachtet, den Fanatismus zerstört, den Föderalismus vernichtet. Er hat die Herstellung des Eisens wieder in Schwung gebracht, die Verdächtigen arretiert, jedes Verbrechen exemplarisch bestraft, die Ausbeuter verfolgt und eingesperrt.« Ein Jahr, nachdem er sich vorsichtig und zögernd auf die Bänke der Gemäßigten gesetzt, gilt Fouché schon als der Radikalste der Radikalen, und wie jetzt der Aufstand in Lyon einen besonders energischen Mann ohne Rücksichten und Skrupel erfordert, wer könnte da geeigneter erscheinen, das furchtbarste Edikt durchzuführen, das jemals diese oder eine andere Revolution ersonnen? »Die Dienste, die Du bisher der Revolution erwiesen hast,« dekretiert in seinem pompösesten Jargon der Konvent, »bieten Bürgschaft für jene, die Du noch leisten wirst. Dir ist es vorbehalten, in der Ville Affranchie (Lyon) die verlöschende Fackel des Bürgergeistes wieder zu entflammen. Vollende die Revolution, beendige den Krieg der Aristokraten, und mögen die Ruinen, die jene gestürzte Macht aufrichten will, auf sie fallen und sie zerschmettern!«

      Und in dieser Gestalt des Rächers und Zerstörers, als der »Mitrailleur de Lyon«, tritt nun Joseph Fouché, der zukünftige Multimillionär, der spätere Herzog von Otranto, zum erstenmal in die Weltgeschichte.

      Jean Duplessi-Bertraux: Die Massaker von Lyon am 14. Dezember 1793

      Der »Mitrailleur de Lyon«

      Im Buche der Französischen Revolution wird gerade eins der blutigsten Blätter, der Aufstand von Lyon, selten aufgeschlagen. Und doch hat sich in kaum einer Stadt, selbst in Paris nicht, der soziale Gegensatz derart schattenscharf abgezeichnet wie in dieser ersten Industriestadt des damals noch kleinbürgerlichen und agrarischen Frankreich, dieser Heimat der Seidenfabrikation. Dort formen die Arbeiter inmitten der noch bürgerlichen Revolution von 1792 zum erstenmal schon deutlich eine proletarische Masse, schroff abgeschieden von der royalistisch und kapitalistisch gesinnten Unternehmerschaft. Kein Wunder, daß gerade auf diesem heißen Boden der Konflikt die allerblutigsten und fanatischesten Formen annehmen wird, die Reaktion sowohl wie die Revolution.

      Die Anhänger der jakobinischen Partei, die Scharen der Arbeiter und Arbeitslosen, gruppieren sich um einen jener sonderbaren Menschen, wie sie jeder Weltwandel plötzlich nach oben schwenkt, einen jener durchaus reinen, idealistisch gläubigen Menschen, die aber immer mehr Unheil anrichten mit ihrem Glauben und mehr Blutvergießen mit ihrem Idealismus als die brutalsten Realpolitiker und wildesten Schreckensmänner. Immer wird es gerade der reingläubige, der religiöse, der ekstatische Mensch, der Weltveränderer und Weltverbesserer sein, der in edelster Absicht Anstoß gibt zu Mord und Unheil, das er selber verabscheut. Dieser in Lyon hieß Chalier, ein entlaufener Priester und ehemaliger Kaufmann, für den die Revolution noch einmal das Christentum wurde, das richtige und wahre, und der ihr anhängt mit einer selbstaufopfernden und abergläubischen Liebe. Die Erhebung der Menschheit zur Vernunft und zur Gleichheit bedeutet diesem passionierten Leser Jean Jacques Rousseaus schon Erfüllung des Tausendjährigen Reiches; seine glühende und fanatische Menschenliebe sieht gerade im Weltbrand die Morgenröte einer neuen, unvergänglichen Humanität. Rührender Phantast: als die Bastille fällt, trägt er in seinen bloßen Händen einen Stein der Zwingburg die sechs Tage und sechs Nächte Weg zu Fuß von Paris nach Lyon und baut ihn dort um zu einem Altar. Er verehrt Marat, diesen blutheißen, dampfenden Pamphletisten, wie einen Gott, wie eine neue Pythia; er lernt seine Reden und Schriften auswendig und entflammt mit seinen mystischen und kindischen Reden wie kein anderer in Lyon die Arbeiterschaft. Instinktiv spürt das Volk in seinem Wesen brennende, mitleidige Menschenliebe und ebenso die Reaktionäre in Lyon, daß gerade ein derart reiner, vom Geist getriebener, von Menschenliebe beinahe tollwütig besessener Mensch noch gefährlicher sei als die lärmendsten jakobinischen Unruhstifter. Gegen ihn drängt sich alle Liebe, gegen ihn ballt sich aller Haß. Und als ein erster Aufruhr sich in der Stadt bemerkbar macht, werfen sie als den Rädelsführer diesen neurasthenischen und ein wenig lächerlichen Phantasten in den Kerker. Mit Mühe klaubt man dann mittels eines gefälschten Briefes eine Anklage gegen ihn zusammen und verurteilt ihn zur Warnung