die Gehirnwäsche oder die körperliche Folter, alles sehr grobe Instrumente, um das herauszuprügeln, was sich im überaus filigranen Geflecht der grauen Zellen abspielt. Dabei riskierte man die Demolierung von Körper und Psyche. Man zerstörte den Informationsträger.
Eine elegantere Methode hingegen war der hormonelle Katalysator. Liebe macht blind und unkritisch aber auch mitteilsam. Interne Sicherungssysteme werden beim Liebenden außer Kraft gesetzt. Bei derartig hormonell infizierten Zielpersonen bekam man jedoch die Informationen auch nicht gratis. Man musste vorher ordentlich investieren, und zwar in Emotionen.
Das Myzel als verborgenes, stets bereites und kontinuierlich Informationen lieferndes System wurde für die geheime Informationsbeschaffung immer wichtiger, weil man mit einzelnen Hauruck-Aktionen ohne entsprechende langfristige Vorbereitung zuhauf gescheitert war. Da gab es nicht nur die katastrophal missglückten militärischen Einsätze der Amerikaner, wie die fehl geschlagene Invasion in der Kubanischen Schweinebucht im April 1961 oder die missratene Befreiungsaktion der Geiseln in der Teheraner Botschaft im April 1980. Da gab es auch das völlige Versagen in der Prognose des Falls der Berliner Mauer 1989 und der Anschläge auf die Twintowers des World Trade Centers in New York und auf das Pentagon im September 2001.
Eine Lachnummer war der Informant mit dem Decknamen Curveball gewesen, der die mobilen Biowaffensysteme der Iraker erfand und damit Präsident Bush das herbeigesehnte Argument für den Einmarsch der US-Truppen in den Irak im März 2003 lieferte. Bei diesem Chemiker namens Rafid Ahmed Alwan al-Janabi handelte es sich um einen verlogenen Hochstapler, dessen Identität erst fünf Jahre nach Ausbruch des Irakkrieges ans Licht der Öffentlichkeit geriet. Dann erst offenbarte sich auch dessen ausgeprägte Charakterschwäche. Peinlich für den BND, der Mann war als Quelle angeworben und der CIA stolz präsentiert worden.
In all diesen katastrophal endenden Episoden hatte man sich zu sehr auf das verlassen, was vom Pilz über der Erde zu sehen ist. Doch das, was alle sehen, muss nicht immer richtig sein.
Diese Beispiele zeigen, dass insgeheim gewonnene Informationen, mögen sie noch so detailliert sein, einen immer währenden Makel aufweisen: Es bleibt die Frage wahr oder unwahr meist unbeantwortet.
Also musste eine Qualitätskontrolle her.
Bereits in den 1970er Jahren hatten sich insbesondere forensische Psychologen auf die Suche nach den Spuren der Lüge begeben. Sie suchten nach verräterischen Körpersignalen. Die These war, dass Lügen mehr anstrengt als die Wahrheit sagen. Das müsse sich in Sprachunsicherheiten oder nervösen Verhaltensweisen niederschlagen. In umfangreichen Testreihen mit Probanden fand man aber keinerlei derartige Anhaltspunkte.
Dann setzte man eine Zeit lang große Hoffnungen in die Lügendetektoren. Deren Fehlerrate war aber viel zu hoch, ganz einfach deshalb, weil sie keine Gedanken überprüften, sondern nur psychovegetative Reaktionen wie Herzschlagfrequenz oder Feuchtigkeit der Haut maßen. Diese Zielgrößen unterliegen vielfältigen Fremdeinflüssen und können auch durch Geübte manipuliert werden, lassen also hinsichtlich ihrer Spezifität deutlich zu wünschen übrig.
Ein neuer erfolgversprechender psychologischer Ansatz zur Enttarnung der Lüge stellt die Aufforderung seitens des Ermittlers dar, den Tathergang doch bitte in umgekehrter Reihenfolge zu schildern. Die Lügner nennen dann weniger Details und verhaspeln sich gerne, so neuere empirische Forschungsergebnisse. Allerdings ist auch bei dieser Methode die Trefferquote nicht berauschend. Insbesondere für Menschen, die weit oben in der machiavellistischen Rangordnung stehen, ist Lügen ein normaler und akzeptabler Weg, um ihre Ziel zu erreichen. Diese Leute bringt auch die Methode der retrograden Berichterstattung nicht aus dem Tritt.
Deswegen suchte man nach anderen Methoden zur Verifizierung von Informationen. Schon früh hatte man gelernt, dass der Mensch nur dann lügen kann, wenn die Wahrheit aktiv im Gehirn unterdrückt wird. Dies hinterließ verräterische Stoffwechselaktivitäten, die man mit der Kernspintomographie aufspüren konnte. Nur musste man dafür das Opfer in eine Röhre stecken und zur Ruhe bringen, was nicht immer gelang. Außerdem wurden diese biochemischen Reaktionen durch andere Gemütsregungen mit beeinflusst, so dass die gewonnenen Ergebnisse vieldeutig waren.
K. war zwar Mediziner, sein Fachwissen hinsichtlich der komplexen Zusammenhänge zwischen Körper und Geist war aber vor dreißig Jahren stehen geblieben. Damals gab es noch getrennte Facharztweiterbildungen zum Arzt für Neurologie und zum Arzt für Psychiatrie, die sich bis in die Neuzeit herübergerettet hatten, aber keineswegs mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprachen. Dieser sammelte sich unter dem Dach des neuen Fachgebietes der Neurowissenschaften.
K. zappte sich durch das Abendprogramm des Fernsehens und landete in einer Sendung mit dem Titel Neurowissenschaften – können wir Gedanken lesen? Dieses Thema hatte gerade in den Medien eine besondere Konjunktur. Wiedergegeben wurde das Gespräch zwischen einem Neurowissenschaftler und einem Arbeitsmediziner.
Neuropsychologe: „Warst du schon einmal in einem Kernspintomographen drin?“
Arbeitsmediziner: „Nein, das Vergnügen hatte ich noch nicht.“
N: „Von wegen Vergnügen, es ist eine Tortour. Du liegst in einer engen Röhre und meinst, dass ein Güterzug über dich rüber donnert. Vorher hat dir der Studienleiter die Bilder eines nackten Playmates vor die Nase gehalten. Vor dem nächsten Durchgang zeigt er dir Bilder von KZ-Opfern. Aus den MRT-Bildern liest er dann Veränderungen in der Stoffwechselaktivität bestimmter Gehirnareale heraus. Möglicherweise sind durch die unterschiedlichen optischen Schlüsselreize auch unterschiedliche Hirnareale angesprochen worden, der größte Teil der Hirnaktivitäten wurde jedoch für die Bewältigung der absoluten Ausnahmesituation aufgewendet.“
A: „Stimmt, in der Röhre des Kernspintomographen wird die klassische klaustrophobische Situation erzeugt: Enge und Lärm.“
N: „Und dieses elementare Erleben dominiert alle anderen Gemütsregungen und Reflexe. Zwar gibt es mittlerweile offene Systeme bei den Kernspintomographen, welche weniger Anlass zur Platzangst geben, der Stress durch die Untersuchungssituation bleibt jedoch bestehen.“
A. „Ich erinnere mich noch ganz gut an unsere Felduntersuchungen zur Stressbelastung von Schichtarbeitern. Gefördert wurde die Studie damals aus dem Forschungsprogramm Humanisierung in der Arbeitswelt. Die Männer arbeiteten in einem Karosseriewerk bei einem namhaften Automobilhersteller. Die Pressen liefen rund um die Uhr. Es war ein Höllenlärm in der Fabrikhalle. Wir bestimmten die Stresshormone vor, während und nach der Nachtschicht und bekamen seltsame Ergebnisse. Der Stress war vor Schichtbeginn am höchsten, nahm während der Schicht ab, um dann nach Schichtende am frühen Morgen wieder anzusteigen. Ein paradoxes Ergebnis.“
N: „Das ist ja tatsächlich komisch. Habt ihr eine Erklärung dafür gefunden?“
A: „Zunächst waren auch wir überrascht, aber dann wurde es immer klarer. Die Schichtarbeiter waren an den Lärm adaptiert. Sie schalteten ab. Auch die Nachtschicht stellte für sie keinen außergewöhnlichen Stress dar. Das kannten sie ja bereits zur Genüge. Was sie wirklich aufregte, das war der Akt des Blutabnehmens. Das war ungewöhnlich für sie, das hatte so etwas wie eine elementare Bedrohung. Erschwerend kam hinzu, dass es sich bei den Arbeitern fast ausschließlich um Angehörige von mediterranen Völkern handelte, die mehr als wir Mitteleuropäer dazu neigen, bei medizinischen Eingriffen in Panik zu geraten. Jedenfalls kollabierten die durchweg kleinwüchsigen Probanden reihenweise beim Blutabnehmen. Unser hünenhafter Kollege hatte da eine einfache und wirksame Therapie. Er packte sie bei den Beinen und stellte sie auf den Kopf, was schlagartig die Ohnmacht beseitigte.“
N: „Und wo war der Betriebsrat?“
A: „Damals in den 1970er Jahren konnte man so ein Untersuchungsprogramm noch per Ordre de mufti durchziehen. Da mussten alle mitmachen. Die Quintessenz war, dass unser Studienansatz die Konkurrenz der stressogenen Ereignisse und Adaptationsphänomene vernachlässigte.“
N: „Siehst du, und Ähnliches passiert bei den kernspintomographischen Experimenten der Neurowissenschaftler. Die Untersuchung als solche hinterlässt weitaus stärkere Spuren, als die eigentliche Intervention. Außerdem können die bunten MRT-Aufnahmen teilweise nicht vollständig interpretiert