die Charaktereigenschaften des Besitzers ableiten.“
A: „Also geht Gedankenlesen prinzipiell nicht?“
N: „Doch, es geht, aber nur auf einer seht niedrigen Abstraktionsebene, so dass weniger Gedanken, als vielmehr einfache Vorstellungen abgegriffen werden können.“
A: „Und wie muss ich mir dieses Abgreifen vorstellen?“
N: „Es sind zwei Grundvoraussetzungen erforderlich. Erstens, die Testperson muss bereit dafür sein. Und zweitens brauch man einen Detektor. Das kann die Ableitung von elektrischen Aktivitäten des Gehirns sein, oder aber es ist die bildliche Darstellung von Stoffwechselveränderungen im Gehirn, z. B. die Glucoseutilisation. Für beides stehen Standardmethoden zur Verfügung. Da ist zum einen das Elektroenzephalogramm und zum anderen die Magnetresonanztomograhie oder die Positronenemissionstomographie, kurz EEG, MRT und PET genannt.“
A: „Und wie liest man nun aus abgeleiteten Potentialen und elektronischen Bildern Gedanken?“
N: „Das ist das eigentliche Problem. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium fördert derzeit einige Projekte zur Operationalisierung des Gedankenlesens. Angeblich machen sie das, um die Gedanken von Soldaten mit schweren Schädel-Hirn-Traumen lesen zu können. Ein wahrhaft humaner Ansatz, natürlich mit dem Hintergedanken, die Methode auch bei der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung einzusetzen. Wir wissen, dass die elektrophysiologischen Prozesse im Gehirn beim Denken bei allen Menschen in etwa gleich verlaufen. Bei bestimmten Bildern entstehen dieselben Gehirnaktivitäten. Man versucht nun eine Software zu entwickeln, die es aufgrund der Art, Verteilung und Stärke der Hirnströme ermöglicht, die Bilder zu benennen, die gerade gedacht werden.“
A: „Das bringt uns doch aber nicht weiter, wenn es um regelrechte Gedankengänge geht.“
N: „Richtig. Daher besteht die nächste Innovationsstufe darin, so genannte semantische Rekonstruktionen vorzunehmen. Buchstaben und Worte werden über die gemessene Hirnaktivität identifiziert. Das funktioniert allerdings noch nicht direkt, sondern nur über die Assoziation mit vorgestellten Bildern. So müsste ich beispielsweise beim Denken des Buchstabens A an ein Auto denken.“
A: „Da treten wir aber fast auf derselben Stelle.“
N: „Ja, leider. Ich weiß nicht, ob es jemals gelingen wird, Gedanken zu lesen und zwar Gedanken, welche Handlungen determinieren, Meinungen und Einstellungen wiedergeben und mitteilen, was der Denkende demnächst vorhat. – Was wir aber neuerdings immer besser machen können, das ist die Beeinflussung bestimmter Hirnfunktionen, die Stimmungen oder motorische Funktionen steuern. Wir nennen es Neuroenhancement. Das versetzt uns in die Lage, indirekt Gedanken und Handlungen zu modulieren.“
K. drückte sich weiter durch die Programme. Bei ZDF Neo klinkte er sich in eine Sendung ein, welche den Titel Wie Geheimdienste wirklich ticken trug. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes schloss gerade sein Statement ab, in dem er mit staatstragenden Worten die Wichtigkeit seiner Behörde für den Fortbestand der parlamentarischen Demokratie beschwor. Dann leitete der Moderator zum Erfahrungsbericht eines BND-Mitarbeiters über. Damit kein zu schiefes und zu futuristisches Bild über die nachrichtendienstliche Tätigkeit entstehe, solle an dieser Stelle ein Angehöriger des Geheimdienstes zu Wort kommen. Das Gesicht des Mannes war durch eine Milchglasprojektion unkenntlich gemacht und die Stimme wurde verzerrt wiedergegeben. Auch ein paar biographische Details würden verändert dargestellt werden, um die Anonymität zu wahren, erklärte der Moderator.
„Das was sie da gerade mitgehört haben, ist die Vision unserer fantasiebegabten Vordenker“, hörte man den Zeitzeugen in einer quäkenden Kopfstimme sagen. „Wollen sie wissen, wie es in Wirklichkeit aussieht? Es hat so gar nichts mit dem zu tun, was sie aus den Filmen und Büchern über Spionageabenteuer kennen. Lassen sie mich ein wenig aus meiner Biographie und meinem Alltag berichten. Meine eigentliche Identität tut dabei nichts zur Sache.
Ob ich nun ein Spion bin, oder nicht, das weiß ich nicht so recht. Jedenfalls bin ich beim Bundesnachrichtendienst. Wie ich da hingekommen bin, das weiß ich allerdings. Es war ein bisschen Abenteuerlust und Angst vor der Routine in einem normalen Bürojob. Ich habe angewandte Sprachwissenschaften studiert. Fragen sie mich nicht, warum. Ich weiß es nicht. Ausschlaggebend war wohl mein angeborenes linguistisches Talent. Fremdsprachen lernen war nie ein Problem für mich. Ich spreche fließend englisch und italienisch. Spanisch geht auch noch. Zu Studentenzeiten bin ich nie die ausgetrampelten Pfade gegangen. Ich war in Afghanistan, weil es da den besten Shit gab und man preiswert wunderbare handgeknüpfte Teppiche erstehen konnte. Den Jemen habe ich zusammen mit einem Freund bereist, der damals bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit war. Auch Zentralafrika stand auf meinem Reiseprogramm.
Nach meinem Studium habe ich mich beim BND beworben und wurde sofort genommen. Denen hat gefallen, dass ich Auslandserfahrungen in exotischen Ländern gesammelt hatte. Ich landete in der Abteilung Technische Aufklärung. Die betreiben Informationsgewinnung mit technischen Mitteln. Dabei werden Informationen von außen- und sicherheitstechnischer Bedeutung durch Abhören, Mitlesen, Auswählen und Übersetzen aus dem internationalen Kommunikationsverkehr gewonnen, also Brief, Telefon, Fax, Funk, E-Mail.
Bereits nach wenigen Monaten kapierte ich, dass ich da in einem Beamtenladen gelandet war, was ich ja eigentlich hatte vermeiden wollen. Deshalb bewarb ich mich intern auf einen Posten in der Abteilung regionale Beschaffung und Auswertung. Dort war im Bereich der operativen Beschaffungsaufträge eine Stelle frei geworden. Die bekam ich. Einer der Schwerpunkte war die Bearbeitung von Auseinandersetzungen um Energie und Ressourcen.
Sie müssen besonders gestrickt sein für diesen Job. Grundlage für ihr Selbstverständnis, teilweise verbotene Dinge zu tun und zu legitimieren, ist der Glaube, die Welt besser machen zu können, Krieg einzusparen oder den Guten zu helfen, den Krieg zu gewinnen. Unter Krieg verstehe ich weniger gewalttätige Auseinandersetzungen, als vielmehr den Kampf um die Rohstoffquellen, um Arbeitsplätze, Know how und so weiter. Also die Assets, die unsere Existenz auf dieser Erde sichern und die die begrenzte Zeit unseres Erdendaseins so angenehm wie möglich machen. Dazu denken wir in unserem Amt Dinge zusammen, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Wir lassen uns aus den unterschiedlichsten Quellen inspirieren: Wissenschaft, Literatur, Film, Sciencefiction und Blogs, alles Mögliche also. Wir selber dürfen auch spinnen, was Spaß machen kann, aber auch quälend ist, wenn dir nichts Neues einfällt.
Was nicht so lustig ist, das ist die weitgehend fehlende soziale Anerkennung, nicht nur des Einzelnen, sondern der ganzen Organisation. Wir sind in den Augen der Öffentlichkeit Schnüffler, Strauchdiebe und gelegentlich auch Versager. Wenn etwas schief läuft, dann war es der Geheimdienst. Läuft es hingegen gut, müssen wir das Maul halten. Es gibt keine öffentliche Erfolgsbilanz. Unser Sozialprestige ist miserabel. Selbstdarstellung nach außen ist verpönt. Wir müssen unsere Identität verleugnen, Doppelleben führen, dürfen nur Mittelklassewagen fahren. Das Outfit muss von C&A oder von Peek und Cloppenburg stammen. Bloß nicht auffallen, keine Exzentrik, keine Extravaganzen, keine Staussymbole, das ist die Devise.
Eitelkeiten können nicht durch Äußerlichkeiten oder Attitüden ausgelebt werden, obwohl wir uns doch als Elite fühlen sollen. Deswegen tobt der Kampf um Anerkennung im Inneren der Organisation. Der Ideenklau ist weit verbreitet. Die Vorgesetzten brüsten sich mit den Meriten ihrer Untergebenen. Das ist ja nichts Ungewöhnliches und auch in der Wirtschaft und der Wissenschaft gang und gebe. Aber bei uns hat das vielerorts neurotische Züge. Das führt dazu, dass man bunkert. Brisante, erfolgversprechende Informationen behält man erst mal für sich. Viele umgeben sich deshalb mit der Aura des Wissenden und der eine oder andere denkt sich spektakuläre Sachen aus und konstruiert Zusammenhänge, die es gar nicht gibt. Das führt immer wieder zu grotesken Fehleinschätzungen und zu Falschberatungen der Politik. Was meinen sie, wie viele Vorgesetzte schon gezielt durch Informationsintrigen ausgeschaltet worden sind.
Es herrscht ein Klima des Misstrauens und der Unzufriedenheit. In der Industrie erhältst du eine Prämie, wenn dein Verbesserungsvorschlag die Produktivität vorangebracht hat. Es wird über dich in der Firmenzeitschrift berichtet, du wirst gefeiert. Wenn du aber bei uns etwas Außergewöhnliches geleistet hast, dann gibt es vielleicht ein paar warme Worte