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Du entrinnst nicht – 38 Geschichten zum Lachen und Weinen
Author: Wilhelm Lehr
Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2013 Wilhelm Lehr
ISBN: 978–3-8442-3748-1
Vorwort
Mit ganz wenigen Ausnahmen sind die folgenden Geschichten völlig frei erfunden, sie entspringen einer lebhaften Phantasie und folgen der Vorliebe des Autors zu fabulieren.
So, wie der eine gerne hochstehend über das spricht, was er weiß, der andere lieber tiefgründig über das, was er denkt, so rede ich über das, was mir zufällig passiert, was mir einfach nahe kommt, was mich inhaltlich einfach irgendwie berührt.
Junge Leute reden oft von dem, was sie tun werden, alte von dem, was sie getan haben.
Ich rede um Dinge zu beleuchten, zu klären, zu beschwatzen, einfach so!
Manchmal ergibt es sich, dass man dabei lachen muss, manchmal ist alles aber auch zum Weinen.
Der Anlass einer jeden Geschichte war stets eine wahre Begebenheit, aber der tatsächliche Text entfernte sich direkt beim Schreiben immer mehr davon. Die Menschen, die darin vorkommen, gibt es gar nicht.
Es steht keine gezielte Absicht hinter den Geschichten, es existiert kein wissenschaftlicher Überbau.
Der Leser soll sich im Gedankenspiel erholen, er darf auch mal schmunzeln, aber Weinen sollte – wenn ich es recht bedenke - vermieden werden.
Zum Autor
Wilhelm Lehr ist Jahrgang 1947, geboren in Kirchdorf, Kreis Freising
Gymnasiallehrer, zuletzt, das immerhin 20 Jahre lang, Schulleiter
Ehrenamtlich tätig, insbesondere für den Bayerischen Musikrat und als Medienrat der BLM
Verheiratet; Vater von 2 Töchtern, Großvater von 3 Enkelkindern, Hobby-Landwirt.
Abendgala im Zirkus
Zwei Jahre nun bin ich nach 40 Dienstjahren schon pensioniert.
Rückblickend kommt mir mein Berufsleben wie ein Zirkus vor. Wenn ich gut drauf bin, nenne ich es schon mal Zirkusgala oder gar Jahrhundertvorstellung, wenn ich weniger stabil bin, einfach nur Zirkusalltag. „So ein Zirkus“, sage ich mir dann.
„Jetzt mal ehrlich: So schlecht ist der Vergleich zwischen diesem meinem Berufsleben und einem Zirkus gar nicht“. Je länger ich nachdenke, umso passender wird er, weil mir selbst meine berufliche Leistung mit Glamour, Glitter und Pomp daher kommt. Jedenfalls ist die Vergleichsvorstellung anständiger, als wenn ich mich als historischer Held fühle oder eingedenk mancher, wenn auch weniger Probleme, mit dem jungen Schiller gleichsetzen oder den alternden, mürrischen Beethoven bemühen müsste, dessen Schwierigkeiten mit der Wiener Bevölkerung ausschließlich s e i n e m schwierigen Charakter zugeschrieben wurden. Vor einigen Tagen gar kamen mir sogar im Traum immer wieder konturlose, verschwommene Bilder vom Zirkus ungeordnet und unscharf ohne jeden inneren Zusammenhang. Dieser Traum ist von nun an omnipräsent in meinem Gedächtnis und er beeinflußt – wie so mancher Traum – vorübergehend meine gesamte Stimmungslage. Ja, mein Berufsleben war in der Tat ein Zirkus.
Am besten, ich erzähle Ihnen ohne Umschweife von diesen Traumbildern:
Da taucht mit großem Frack und Zylinder, eine überdimensionale Peitsche schwingend, immer wieder der Zirkusdirektor auf und signalisiert meinen obersten Chef, der alles bestimmen darf und koordinieren muss. Er geht herrisch auf und ab, wird bei jeder Programmnummer bestimmender und entwickelt sich behend zu einem personifizierten Gegensatz von freundlicher Nähe und brutaler Härte. Groß und grauhaarig sieht er sehr gut aus in seinem traditionellen Outfit mit den eindeutigen Symbolen und fast aufdringlichen Signalen von Macht, Kultur, Bürgertum, Anstand und Oberschicht. Wenn er den Mund öffnet, um mit begleitendem Halblächeln seine Anweisungen zu zelebrieren, sieht man eine große Lücke zwischen den vorderen Schneidezähnen. Mit geringerem Selbstbewusstsein hätte er diesen einzig sichtbaren Mangel wohl reparieren lassen, aber bei der standesbedingten Souveränität glänzt die an sich häßliche Zahnlücke als diastematisches Neumen der Stärke, als Ausdruck einer ungeheuerlichen Stabilität und als einschüchternde Dauerwarnung für Untergebene und Zuschauer. In Raum und Zeit bewegt er sich wendig wie ein Fisch im Wasser. Er läßt keine Zweifel aufkommen: alle tanzen nach seiner Peitsche. Wir einfachen Zirkusdarsteller fürchten und verehren ihn gleichermaßen, das Publikum sieht das Ergebnis des Unternehmens ohne differenzierte Wertung und das ganze Unternehmen basiert natürlich wirklich auf den von ihm durch Koordination erreichten Erfolgen.
Jetzt merke ich es erst: der Elefant in der Mitte der Manege, das bin ja ich! Ein Elefant wohlgemerkt, mit der Statur eines solchen, mit den Wesenszügen und den genetischen Bedingungen eines solchen, mit der arttypischen Masse des Lebewesens und der damit vergleichsweisen kleinen Seele, mit der großen Kraft und dem kleinen Mut.
Was tut ein Elefant im Zirkus, bitte schön? Sich im Kreise drehen, tanzen, Instrumente spielen, für ihn unverständliche Geräte bedienen, sich mit einem lächerlichen Röckchen präsentieren?
In Wirklichkeit könnte der Elefant gerade wegen seiner biologischen und psychologischen Bestimmung ganz andere Leistungen zeigen: doch das erwartet keiner im Zirkus.
Der strenge Direktor will es so – weil das Publikum es so erwartet!
Nicht, dass mir der Zirkus mit seiner unbeschreiblichen Atmosphäre nicht gefallen und liegen würde.
Da sind die so virtuos auftretenden Jongleure. Was die alles gleichzeitig ausbalancieren können! Was immer man ihnen zuwirft, sie jonglieren damit.
Im grellen Scheinwerferlicht fühlen sich auch die sportlichen Artisten wohl und mit großer Bewunderung staune ich, wenn die Zauberer kommen und so gut über die Realität hinweg täuschen, dass man meinen möchte, sie würden wirkliche Wunder vollbringen, sie hätten überirdische Fähigkeiten und könnten mehr als nur täuschen und irreleiten. Illusionen erzeugen, täuschen, naturgegebene Realitäten verschleiern, das liebt man im Zirkus sehr.
Besondere Höhepunkte in der Spannung von Angst, Sorge und mutiger Begeisterung entstehen immer dann, wenn die wahren Helden auftreten, die artistisch mit Messer und Pistolen hantieren und zur Begeisterung aller auch vor brutal-konsequenter Gewaltanwendungen gegen sich und andere nicht zurückschrecken. Mit einem gewissen Schauern kann man sehen, wie Schützen aus Gebüschen und Hecken schießen und unglaubliche Wirkung erzielen. Meist mit ungarischen oder amerikanisierten Pseudonymen versehen, leben diese neuzeitlichen Gladiatoren trotz der gefährlich lauernden Pseudomnesie in dem Bewusstsein, die Größten zu sein. Einer von ihnen sieht sich als Sheriff der Welt und ein anderer gebärdet sich als Polemologe und Polizist gleichzeitig.
Eine eigene Gruppe in diesem Zirkus bilden diejenigen, die andere Lebewesen dressieren können, die z.B. sogar ein Pferd dazu bringen, einfache Rechnungen durchzuführen oder sich vor dem Publikum zu verbeugen. Diese Artisten haben ein untrügliches Gespür für singuläre Begabungsaspekte, die sie überdimensional und letztlich global gesehen nutzlos und bis ins Lächerliche aufblähen können.
Da sind dann noch die ganz besonders schönen Frauen neben den mutigen Männern, die Glamourgirls, zuständig für viel Glanz und Glitter und verantwortlich für eine ästhetische Komponente. Bei den Frauen im Zirkus bestehen die 100% der Performance immer aus den beiden variablen aber gegenseitig abhängigen Komponenten Schönheit und Leistung. Bei geringerer Schönheit muss eben eine größere Leistung erwartet werden können. Ist die Schönheit atemberaubend, dann tut es auch eine geringere cirzensiche Leistung. Das ist unumstößliches Gesetz im Zirkus!