war so aufgebracht, weil er sich mit Schaudern erinnerte, dass er seinen Töchtern zuliebe schon viele uninteressante junge Männer anlachen musste, mit ihnen freundlich zu konversieren hatte und selbst Kleinigkeiten in seinem Lebensstil ändern musste. Einmal war der Favorit einer der Töchter klapperdürr und fror jämmerlich bei jeder Gelegenheit. Unreflektiert musste die ganze Familie die Raumtemperatur so erhöhen, dass jeder Fernsehabend einer Sauna gleichkam. Dann lachte sich diese Tochter als Kontrast einen schwer Übergewichtigen an, der allein mit seinem Schwitzen für eine schlagartige, totale Einstellungsänderung bezüglich der Heizgewohnheiten sorgte.
Auch wenn es hier nur die Zimmertemperatur betraf: Liam könnte diese und ähnliche Erfahrung zur Anpassungsfähigkeit von Mädchen auf fast alle Bereiche des Lebens ausdehnen: auf den Fahrstil, die bevorzugte Automarke, sportliche Betätigungen, Frisuren, Aussehen, Vorlieben beim Essen, Rauchen, politische Meinungen, Präferenzen bei Musik, Reitstile, Einstellung zu den Eltern,...
Liam Levirat sagte dann doch besonnen und leise, fast wie im resignierten Selbstgespräch:
„Ich mag Mädchen lieber, sie sind kreativer, leistungsfähiger, .....passen sich besser an“,....
Ja da war sie wieder, die geliebte, ungeliebte Anpassung...
Agnesia, wie kann es nur sein?
Agnesia, die allerbeste Ehefrau, die man sich vorstellen kann, hat natürlich, wenn auch nur ganz wenige, negative Seiten. Man kann sie demütig, wortlos und am besten ohne jedwede Reaktion bemerken, sofern sie der künftigen Vertraulichkeit des Wortes unterworfen werden. Die „Vertraulichkeit des Wortes“ ist nicht nur ein wichtiger Vertragsbestandteil bei staatlichen Angestellten und Beamten, dieser Begriff ist auch die wesentliche ethische Säule einer ehelichen Gemeinschaft, zumindest mit Agnesia. Es gehört gerade zu den ehernen Gesetzen, in Anwesenheit von Agnesia keinesfalls über Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen, Meinungen, Ansichten, Gesichtspunkte und Lebensprinzipien zu reden, die unter irgendeinem Teilaspekt mit dem Leben und der Biographie von Agnesia zu tun haben könnten und so angelegt sind, dass sie selbst partiell negativ interpretiert werden könnten.
Da bleibt nicht mehr viel Gesprächsstoff übrig, meinen Sie? –
So hätte ich mir das nicht sagen trauen!
Agnesia, trotz allem die beste Partnerin fürs Leben, die man sich vorstellen kann, hat von vielen Dingen des allgemeinen Lebens eine eigene Sicht und lebt in der Summe dieser Anschauung in einer Weltsicht, die - man kann es nicht kompakter ausdrücken – von kulturellem, religiösem und ästhetischem Eklektizismus geprägt ist. Wie beim charakteristischen Stilmerkmal des auslaufenden 20. Jahrhunderts, dem schon genannten Eklektizismus in allen Lebensbereichen, vereinigt Agnesia die fortwährende Gleichzeitigkeit alles Denkens und Handelns in sich. Sie macht vieles gleichzeitig. Das ist virtuos und nur positiv, meinen Sie? Nein, es gilt auch: wer viele Eisen im Feuer hat, dem werden zwangsläufig einige kalt!
Die Zusammentreffen von vielen Handlungen macht nicht einmal beim Auto fahren halt. Wie das gehen soll, meinen Sie?
Also: Agnesia steigt mehrmals hintereinander ein und aus, packt einige Gegenstände der letzten sieben Fahrten aus, packt einige davon zusammen mit anderen Stücken, die sie ungefähr in den nächsten sieben Ausfahrten vielleicht einmal brauchen kann, wieder ein, führt nebenher mindestens zwei Telefonate, gibt zwischendurch Anweisungen, dass die Pferde ja häufig genug frische Luft bekommen sollten, füllt dann zwischendurch doch noch eine Waschmaschine auf, wischt die letzten Brösel vom Küchentisch, sucht verzweifelt einen Kugelschreiber und setzt sich dann hinter das Steuer. Während sie rückwärts die Hofeinfahrt verlässt, überlegt sie krampfhaft, ob sie nicht doch noch bügeln sollte, kramt aber schon in der Handtasche und fischt eine Tube mit Handcreme heraus. Inzwischen biegt sie vorwärts in die Hauptstraße ein, womit es Zeit wird, die Hände einzucremen; das Lenkrad hält sie dabei mit dem Knie fest und die Beschleunigung erledigt sie zunächst ausschließlich mit dem Gaspedal. Erst nach dem Eincremen der Hände schaltet sie in den höheren Gang. Nun ist die freie Landstraße erreicht und Agnesia nutzt dies, im Rückspiegel ihre Haare zu kontrollieren und gleichzeitig die Brille aus dem Etui nehmen. Wieder wird das Lenkrad mit den Knien bedient.
Jedem Mitfahrer ist bis dahin die „Vertraulichkeit des Wortes“ auferlegt, selbst wenn er vollkommen von der Angst übermannt, kaum anders kann und zunehmend in den Sitz sinkt, ergeben die Hände faltet und krampfhaft gerade ausschaut, um die entgegenkommenden Fahrzeuge hypnotisch zu warnen. Gnade ihm Gott, wenn er versuchen sollte, diese Handlungsweisen verbal zu begleiten oder gar noch zu kommentieren; von Kritik ganz zu schweigen. Schließlich kann nur eine Tatsache beruhigen: auch wenn Sie es nicht glauben, Agnesia hatte in 40jähriger Fahrpraxis keinen einzigen Unfall verursacht. Dies scheint ihr das Recht zu geben, so zu verfahren und sich nicht zu ändern.
Eine unglaubliche Gleichzeitigkeit – ich nannte es ja schon im Sinne einer ästhetischen Theorie Eklektizismus – herrscht auch in ihrer Haushaltsführung vor. Schon in ihren großen Umhängetaschen findet sich eine Anlage zu solchem Verhalten. Kosmetika lagern neben Alltagsdingen und zwischen Schuldokumenten. Alles wirkt irgendwie vollkommen systemlos und dennoch: Agnesia beherrscht ihre Materialien geradezu virtuos. Selbst im Dunkeln findet sie unter ihren verschiedenen Schlüsselbünden den richtigen heraus. Kritisch wird ihr „Taschensystem“, wenn überhaupt, nur bei strengen Flughafenkontrollen.
So fischte sie unüberlegt vor einem Flug nach Spanien bei der Passkontrolle einen Reisepass hervor, den sie bereits Jahre zuvor als verloren gemeldet hatte. Prompt entdeckte dies der Zöllner. Für ihn war es ein Problem, für Agnesia bewies der Vorgang lediglich, dass Zöllner borniert, unsensibel, inflexibel, lästig und überhaupt unnötig sind.
Jedenfalls: Agnesia straft selbst den großen Philosophen Nietzsche Lügen, weil sie das von ihm mehrmals gezeichnete „Ewig-Langweilige am Weibe“ in keiner Phase ihrer Existenz erfüllt. Sie selbst dreht sogar den Spieß um und spricht genüsslich von der männlichen Durchschnittlichkeit, oder gar von der jahrhundertelang fortschreitenden Degeneration männlicher Vorherrschaft. Manchmal formuliert sie es auch so, dass Männer phantasielos immer nur Eines wollen. Nietzsche durfte noch glauben, über Mann und Weib könne man nicht umdenken, sondern nur seine Überzeugung, das Weib habe immer, überall und dauerhaft Grund zur Scham, nachvollziehen, weil er Agnesia nicht kannte.
Mit solchen Existenzen, wie Nietzsche, da würde Agnesia kurzen Prozess machen! Ich bin sicher, er käme in einem Streitgespräch aus dem Jenseits gar nicht dazu, seinen Wunsch zu begründen, man hätte seit Perikles Schritt für Schritt dafür sorgen müssen, im Umgang mit Frauen orientalischer zu werden. In ihrer Eigenschaft als Vizepräsidentin der bayerischen UNESCO-Schulen würde sie ihn geradezu vernichtend mit Argumenten eindecken.
Agnesia hat noch viele erstaunliche Eigenschaften. Aber das erzähle ich, wenn sie nicht zuhört!
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