Wilhelm Lehr

Du entrinnst nicht


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bin ja der Elefant, der alles Mögliche tun soll, und dem so manches wirklich schwerfällt, und der bei einigen seiner Kunststücke sein eigentliches Wesen verbiegen muss. Der Elefant will nicht immer jede Lächerlichkeit mit Bravour ausführen; manchmal steigt in ihm die Sturheit hoch, aber im Kraftfeld zwischen seinem Dressurmeister und dem erwartungsvollen Publikum sieht er sich doch immer wieder, zum eigenen Erstaunen, „Männchen machen“, den Rüssel zum Trompeten formen und manchmal darf auch das simple aber recht wirksame „Wasser spritzen“ zur allgemeinen Gaudi sein..

      Es gibt Dinge, dazu ist der „Elefant“ kaum zu bewegen. Doch das ist das Abgefeimte am Zirkus: auch das ist in die Show eingerechnet. Es passiert nicht, es ist Bestandteil von Regie und Choreographie:

      Wenn der Elefant schließlich nicht mehr zu bewegen ist und einfach nicht mehr will, oder aus bestimmten Gründen auch nicht mehr kann, dann kommen die „Clowns“ auf den Plan. „Clowns“ das sind spaßige Versager-Typen mit hohem Beliebtheitsgrad beim Publikum in einem klassischen und weltweit erkennbaren Outfit.

      In einer der großen Galas ist der Auftritt der Clowns so: Der erste Clown sieht extrem seriös aus mit seiner karierten Jacke und dem schönen, grauen vollen Haar. Mit einer überdimensionalen Fackel erscheint er im Scheinwerferlicht, stürzt sich an das rechte Bein des Elefanten und will diesen zum Gehen bewegen, indem er den Fuß des Elefanten anheben und vorwärts stellen will. Der Clown will unbedingt erreichen, dass der Elefant die Manege verläßt. Es geht nicht, auch wenn der Clown selbst sich für einen Elefanten hält. Das Publikum lacht vor Begeisterung und der Clown weint überdimensionale Tränen. Mit hohler Stimme beklagt er die mangelnde Kommunikation mit dem Elefanten. Mit theatralischen Gesten holt er den Zirkusdirektor herbei, doch der kennt die Stärke des Elefanten und die Schwäche des Clowns. So tut der Direktor das, was in der Situation Sinn macht: er ruft den nächsten Programmpunkt ab und erreicht in jedem Fall, dass alles irgendwie weiter geht.

      So kommt der zweite Clown in dies Szene: Plötzlich öffnet sich ein Deckel im Boden und langsam aber laut steigt er aus den Tiefen, sozusagen aus dem Untergeschoß empor. War der erste Clown noch sehr bemüht, affektiert eine gute Kinderstube zu demonstrieren, so kommt der zweite Clown unglaublich übertrieben ungehobelt daher. Laut und unverständlich schreiend steigt er aus dem Keller und singt vollkommen von seiner Sendung überzeugt „vom Himmel hoch da komm´ ich her“; wild gestikulierend und in einer übertriebenen Mimik und einer ebenso witzigen Körpersprache fordert er jeden im Publikum auf, ihn bei seinen Bemühungen, den Elefanten zu bewegen, zu unterstützen. Und in der Tat, dieser Clown ist ein begabter Volkstribun und ein geborener Demagoge, und dennoch in der Sache immer erfolglos. Aber wie „Fred Flintstone“ oder der „King of Queens“ versucht er nicht, jede der unvermeidlichen Niederlagen zu vermeiden, sondern er ist dazu übergegangen, sie jeweils als persönlichen Einfluß und eigenen Erfolg zu verkaufen. Er hat den großen Vorteil, durch die Lacher aus dem Publikum eine Selbstillusion genießen zu können, die ihm Anerkennung genug ist. Es ist wirklich der Selbstbetrug, der ihm genügt. Das Bild ist herrlich: der heftig agierende Clown mit seinen stark gezeichneten und übermalten Tränensäcken, die ihn gleichzeitig traurig und lächerlich aussehen lassen.

      Natürlich bemerkt er im innersten, vor allem wegen der naturwissenschaftlich nachweisbaren Tatsache, dass der Elefant auch von ihm nicht bewegt werden konnte, seine elementare Erfolglosigkeit. Daher rennt er zum Eingang, späht aus und versucht mit rudernden Armbewegungen Mithelfer zu gewinnen. Siehe da: schon kommen einige in die Manege, bereits zünftig als Clowns aufgemacht.

      Mit kurzen Stummelbeinen hüpfen einige zu klein geratene Clowns, unter ihnen nur ein einziger ganz Langer herbei, gepreßte Schreie ausstoßend; die Zuschauen brüllen vor Lachen. „Red nosed“, die Glatze eingerändert mit einem schütteren Haarkranz, die Hosen viel zu weit um die Hüften, und der ganz lange Dürre bleibt gleich beim Zirkus-Direktor stehen, möchte ihm die Peitsche abnehmen und gebärdet sich wie der Zirkus-Direktions-Assistent. Die anderen bemühen sich gemeinsam, den Elefanten zu bewegen: allein der Versuch ist genial und lächerlich zugleich. Ein weiblicher Clown mit rötlichen, zotteligen Haaren, figürlich zurechtgemacht wie eine abgefüllte Blutwurst, versucht mit eindeutigen Gesten den Zirkusdirektor anzuweisen, er mögen das Seine dazu beitragen und den Elefanten verschwinden lassen. Die Zuschauer, die nicht blind sind, lachen sich halb tot und die Blinden ahnen, was passiert.

      Da, ein Trommelwirbel - und der Clown aller Clowns, kommt herein. Unglaublich ausgemergelt, erbärmlich hager, torkelt er mit einem hilflosen Schulterzucken daher. Er hat tatsächlich Langlaufski dabei. Man glaubt es kaum: er versucht sie dem Elefant unter die großen Füße zu schieben. Aufgeregt agieren alle Clowns und versuchen angestrengt, den Elefanten zu bewegen.

      Nahe dem Publikum, zunächst weit abgesetzt vom Geschehen und deutlich abgesetzt von den anderen Clowns, agiert ein ganz besonderer Clown, der mit seiner witzigen Logorrhö, sich für Schiller haltend, immer nur in einen Handspiegel schaut und dabei gegen jeden und alles stößt.

      Das Einzige, was passiert, läßt sich so komprimiert ausdrücken: viele lächerliche Aktionen, das Publikum reagiert erheitert und der Elefant ---- bewegt sich nicht von der Stelle, die er sich regiegemäß aussuchen musste.

      Die Quintessenz der Zirkusnummer: Der Elefant hat mehr Gewicht, als ein Clown sich vorstellen mag.

      Angezogen wie eine Märchenprinzessin kommt schließlich eine wunderschöne, junge Frau in die Manege, traumhaft ebenmäßig in den Bewegungen, überzeugend im Auftreten, der starke Wille und die zielgerichtete Energie verdeckt und verpackt in reinster Ästhetik. Sie stellt sich vor den Elefanten und weist ihn sanft, höflich, elegant und zuvorkommend an. Der Elefant nimmt sie auf seinen Rüssel und verläßt mit ihr die Manege. Das Publikum applaudiert und die Clowns triumphieren in ihrer selbst gewählten Blödheit lärmend und freuen sich polternd und grölend über das eigene Versagen.

      Die Zirkusprinzessin aber dirigiert den Elefanten mit ihrem Lächeln.

      Abschiedsrede eines Dienstvorgesetzten

      Sehr verehrte Anwesende!

      Nicht selten beginnt eine Rede damit, große Menschen zu zitieren, längst gedachte, wertvolle Gedanken in Erinnerung zu bringen und historische Personen und Gegebenheiten in die Gegenwart zu holen. Man tut dies, um dem insgesamt relativ bedeutungslosen Augenblick Glanz zu verleihen, aber auch, um frei interpretierbare Assoziationen anzuregen.

      Lassen Sie mich angesichts des Abschieds aus einer langjährigen beruflichen Tätigkeit mit Höhen und Tiefen, mit Anerkennung meines Handelns und auch mit Kritik an meinem Tun von den vielen Geistesgrößen, die ich schätze, heute Hilfe suchend zwei der ganz großen einbeziehen: L.V. Beethoven und den Heiligen Benedikt.

      Ludwig van Beethoven hatte in seinen letzten Lebensjahren nicht nur Zustimmung, sondern erlebte auch schwere Zeiten in Wien; seine Fachkollegen wollten ihn und seine Profession nicht tolerieren, sein Publikum geizte mit Anerkennung und seine nächste Umgebung reduzierte sein Schaffen und seine Person zum gewöhnlichen Durchschnitt.

      Dennoch verstanden es die Wiener immer wieder, die Schande der Missachtung und Geringschätzung und auch das von sich zu wälzen, dass sie ihn darben haben lassen. Da das Faktum des Konflikts selbst sich aber nicht leugnen ließ, haben die Wiener die Garstigkeit, die Schwierigkeiten von Beethovens Person so hervorgehoben, dass alle Schuld des Missverhältnisses bei ihm zu suchen sei. Sein Wesen sollte also alleine schuld sein.

      So sah Beethoven seine ganze Hoffnung in England. Wie jeder Mensch, spielte er mit dem Gedanken, dass woanders alles besser sein müsse und bedachte nicht, dass nicht nur die Wiener so waren, sondern dass Menschen so sein können und so sind.

      In all den Fällen, die man als Konflikte bezeichnen kann, fühle ich mich aus heutiger Sicht behandelt, wie seinerzeit L.van Beethoven.

      Doch sehe ich neben den vereinzelt aufgetretenen Dissonanzen im Rückblick – Gott sei Dank! - viel mehr Konsonanz und Harmonie.

      Wie erklären sich der berufsbezogene Prozess von Dissonanz und die gewünschte Auflösung in einen harmonischen Wohlklang?

      Auf diese Fragen gibt es eine ganz einfache und hilfreiche Antwort: