Tatana Fedorovna

Die Rache der Zarentochter


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immer am Körper, damit wir bei einer eventuellen Flucht etwas Kapital dabei hätten.

      Heute wurden wir plötzlich kurz nach Mitternacht geweckt und mussten alle in das große Eckzimmer neben der Vorratskammer im Keller gehen. Durch den nahenden Kanonendonner und Papas Warnung hatte ich durch die Sorgen und Ängste sehr schlecht geschlafen. Im Flur stand eine Gruppe von mit Karabinern bewaffneten Soldaten. Das machte mir noch mehr Angst. Nervös musterte ich ihre verschlossenen Gesichter. Die meisten von ihnen blickten uns nicht direkt an, so als wollten sie etwas verbergen. Einige von ihnen trugen ungarische Uniformen, die mit Rotgardisten-Abzeichen verziert waren. Die anderen, in der russischen Uniform, schauten mehr spöttisch. Unter ihnen war auch Hauptmann Pawel Medwedew, der als Kommandant der Außenwachen nach Jakow Michailowitsch Jurowski das Sagen hatte. Er lächelte einen kurzen Moment boshaft, als er uns sah. Dann versteinerte sich sein Gesicht zu einer Maske. Ich hatte ihm gestern noch ein Stück Kuchen angeboten.

      Auf Papas Nachfrage, was das hier solle, erklärte Medwedew, die ganze Aktion sei nur zu unserer Sicherheit, da eventuell mit einem plötzlichen Angriff der Weißgardisten zu rechnen wäre. Er grinste dabei merkwürdig und meinte, man werde uns anscheinend verlegen müssen.

      Mama drückte mir beim Vorbeigehen hastig etwas in die Hand und sah mich für einen Augenblick bedeutungsvoll an. Ich ahnte, um was es sich handelte und schaute erschrocken zurück. Eiskalt durchbebte es mein Inneres. War es nun tatsächlich so weit? Mein Herz übersprang ganze zwei Schläge, die Wände schwankten. Es war eine der Kapseln aus der geheimen Schatzkammer.

      Sie lächelte mit Tränen in den Augen, um mir letzten Mut zu machen. Dies ließ keinen Zweifel zu. Mir wurde eisig kalt und meine Hände zitterten unkontrollierbar, als hätte ich einen Tremor. Das Geschehen und alle Stimmen rückten in den Hintergrund, so als sähe ich nur als Zuschauer einen Film. Fast entglitt mir das kleine Gefäß mit der besonderen Medizin. Ich krampfte die Hände fest zusammen, damit die anderen meine Furcht nicht bemerkten. Wie klammerte ich mich an diese letzte Hoffnung. Nein, es konnte doch nicht sein! Wir waren doch Lebewesen, Menschen. Wie hing ich an diesem Leben. Das wurde mir erst jetzt bewusst. Ich würde alles tun, um es zu behalten. Mit jedem der Bewacher schlafen, ihnen dienen wie ein Sklavin, wenn es denn uns rettete. Oh, geliebte Geschwister, liebe Eltern, was wird aus uns? Der Boden schien weg zu brechen und meinen zaghaften Schritten nicht standzuhalten. Für einen Moment glaubte ich ohnmächtig zu werden. Kalter Schweiß klebte unter meinen Achseln.

      Doktor Botkin, der Leibarzt, hatte unsere drei Diener geweckt und kam mit ihnen herunter. Nur der neue Kammerdiener Leonid Sednew war nicht dabei, er hatte gestern noch Ausgang bekommen.

      Papa trug Aljoscha auf den Armen, da man mit dem Rollstuhl schlecht hierher hinkam. Sie hatten beide Uniformhemden an und ungewöhnlicherweise Fellmützen auf dem Kopf. Unser Vater war offensichtlich in Sorge, dass wir nach draußen gebracht und sich der kleine Zarewitsch dabei erkälten würde.

      Wir Mädchen hatten unsere Mieder und Kleider angezogen.

      Darunter trugen wir die Unterwäsche, in die wir unseren letzten Schmuck eingenäht hatten. Mama hatte Tränen der Angst und des Mitgefühls in den Augen, schluchzte aber nicht. Diese Genugtuung wollte sie ihren Feinden nicht geben. Sie riss sich zusammen und bat um Stühle, da Aljoscha nicht lange stehen konnte. Der Zarewitsch lehnte mühsam auf den schwachen Beinen stehend erschöpft seinen Kopf an sie, so als wollte er sich verstecken. Die Krankheit, der Sturz und die Entbehrungen der letzten Zeit waren für unseren Liebling zu schwer gewesen. Man brachte tatsächlich zwei Sitzgelegenheiten herbei. Das ließ mich wieder etwas hoffen. Vielleicht war es doch so, wie Medwedew gesagt hatte und man würde uns an einen anderen Ort schaffen. Ich wusste, dass Mama zwar unseren Tod erwartete, doch ich klammerte mich an diesen Strohhalm, denn ich wollte heute noch nicht sterben.

      Das letzte Geschenk fühlte sich eisig in meinen Händen an, die nun plötzlich glühten. Die Kälte tat gut und lenkte ab.

      Papa versuchte ebenfalls tapfer zu erscheinen. Als letzter Zar und Familienoberhaupt wollte er uns auch in dieser Stunde Mut machen und ein Vorbild sein, darum bekreuzigte er sich und murmelte Gebete. Was nutzte das?

      Hätte er doch lieber die Angebote des deutschen Kaisers angenommen. Ich hatte daraus gelernt, dass Stolz uns nur im Wege stand und blind machte. Man sollte auf gar nichts stolz sein. Trotz all der Aufregung hatte er offensichtlich bemerkt, dass Mama mir das Elixier gegeben hatte. Er ahnte, was das bedeutete, überließ aber allem, wie so oft, seinen Lauf. Was sollte er auch in diesem Moment sonst tun?

      Unser Hausarzt, Dr. Jewgeni Botkin, stand neben Papa. Trotz der Kühle des Kellers rann fortwährend Schweiß von dessen Stirn. Seine wenigen Haare klebten dadurch an dieser. Er nestelte fortwährend nervös und ängstlich an der runden Brille. Seine Klugheit ließ ihn die Gefahr deutlich erkennen. Er verbarg vor mir seine panischen Blicke. Was sollte er auch mitteilen? Etwas hinter dem Doktor und Papa stand unser Koch. Ich befand mich in der äußersten Ecke neben Mamas Kammerfrau, die ein Kissen bei sich trug. Rechts vor mir stand Maria. Ich hatte somit alle gut im Blick. Anna Demidowa, so hieß die Bedienstete, hatte Mama ihr Kissen für Aljoscha angeboten, doch diese hatte es abgelehnt. Sie wollte ihn nicht von sich lassen.

      Anastasia und Tatjana standen hinter Mama. Ich selbst hatte mich mit dem Rücken an den rundlichen Kamin gelehnt, der sich unmittelbar hinter mir befand. Ein Eisstrom der Angst ergoss sich mir durch die Glieder und lähmte mich zugleich.

      In der Ferne hörten wir den Kanonendonner. Dumpf drang dieser durch die Wände des Kellerzimmers. Er war lauter geworden. Die Gefechte rückten also näher und unsere Befreiung löste sich zugleich auf, wie ein Regenbogen am Himmel.

      Wir Mädchen, der Leibarzt, unser Diener, das Kammermädchen, der Koch und Papa standen. Insgesamt waren wir elf Gefangene. Es gab außer den zwei Stühlen keinerlei Möbel im Raum. Mama setzte nun den Zarewitsch auf den einen Stuhl und sich auf den anderen. Er legte seinen Kopf auf ihren Schoß. Papa, der nun neben ihm stand, streichelte liebevoll seine Hand.

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      Wie im Film standen mir viele frühere Augenblicke vor Augen. Wie hatten wir das Leben mit unserem Baby genossen. So nannten wir unseren kleinen Bruder früher manchmal. War Aljoscha guter Dinge und fröhlich, schien der Sonnenschein überall im Palast. Ich hatte als älteste Schwester viel Zeit mit ihm verbracht und so auch bei seiner Erziehung geholfen – von Anfang an. Mama schimpfte manchmal mit mir, da ich Aljoscha aus ihrer Sicht leider zu wenig Tischsitten beigebracht hatte. Aber wie sollte man diesem Charmeur denn Grenzen setzen? Einmal hatte Aljoscha beim Empfang sogar einer Dame den Schuh ausgezogen und eine Erdbeere hineingesteckt. Deswegen durfte er lange Zeit nicht mehr mit anderen Gästen essen. Ging es ihm durch die vielen Medikamente oder eine Verletzung aber schlecht, hingen düstere Wolken über unserer kleinen Insel. Er musste immer äußerst vorsichtig sein. Das widersprach eigentlich seinem ungestümen Wesen. Bei Spaziergängen wurde er darum sogar von zwei Kosaken getragen, über deren Verschiedenheit unser Bruder gern scherzte.

      Die Leiden und Schmerzen seiner Krankheit hatten sein goldenes Herz noch mitleidsvoller gemacht. Jedem anderen, der litt, spendete er selbst aus tiefstem Herzen Trost. Er war einer dieser wenigen ganz besonderen Menschen, die nur sehr selten in diese grausame Welt hineingeboren werden. Christen bezeichnen solche Menschen als „Heilige“, Moslems als „Freunde Gottes“ und die Buddhisten nennen sie „Boddhisatvas“.

      Anders als wir fühlte Aljoscha sich mehr als Russe denn als Deutscher. Papa hatte ihm das stets eingeredet, da er der Zarewitsch und somit der zukünftige Zar war. Deswegen trug unser Bruder wie alle Romanows gern die russische Marineuniform und sprach bewusst nur dieser Sprache mit uns. Selbst wenn Mama ihn außerhalb des Unterrichts etwas auf Deutsch fragte, antwortete er ihr auf Russisch.

      Als Papa wegen des Krieges im Feldlager war, begleitete Aljoscha diesen manchmal dorthin. Einmal war der Sohn eines Generals in dieser Zeit gefallen. Da Papa Aljoschas gutes Herz kannte, ließ er diesen extra bei dem trauernden Vater übernachten. Unser Bruder vermochte diesen alten Mann allein durch seine Nähe wieder aufzurichten und Trost zu spenden, obwohl er gerade elf Jahre alt war.

      Es war jetzt 01:20