zu warnen, als der Kampf auch schon in einer irrsinnigen Geschwindigkeit und Wucht begann.
Die ersten Bestien schlugen wie ein Meeresbrecher gegen eine Steilküste, doch beinahe schien es so, als könnten die Bewacher des Herzens, im Allgemeinen von Größe, Statur und Kraft Boliro ähnlich, den Angriff der Feinde schon im Keim ersticken. Die schier wahnsinnige Gnadenlosigkeit und der unbändige Blutdurst der fremden Kreaturen aber ebbte nicht ab und schon gab es die ersten grausamen Opfer unter den Bewachern.
Auch das Herz beteiligte sich an dem Kampf und konnte einige Bestien mit seinen Lianen ergreifen und ihre Körper damit zerquetschen, doch war es lange nicht mehr stark genug, sich dauerhaft zu stellen und musste ebenfalls schmerzhafte Wunden hinnehmen.
Offensichtlich erkannte es die Ausweglosigkeit der Situation und rief Boliro zu, er solle alle anderen Lebewesen außerhalb der Lichtung warnen.
Obwohl er sich innerlich dagegen sträubte, wandte er sich ab und rannte hinaus aus dem Urwald, wo er bereits auf eine Herde Inu-Rinder traf – halb so groß wie er selbst mit kurzem Fell in dunklem orange und ihren charakteristischen, wie Klingen vor der Stirn gekreuzten Hörnern. Es waren rund fünfzig Tiere, davon sicherlich ein Dutzend Halbwüchsige oder gar Kleintiere. Sie alle hatten panische Angst ob der furchtbaren Geräusche, die sie hörten, doch glaubten sie offensichtlich noch immer, das Herz des Waldes würde ihnen Schutz bieten. Wie auch sollten sie verstehen, dass hier eine Macht wütete, die stärker war, als alles, was sie je erlebt hatten? Obwohl Boliro sich ihnen entgegenstellte, konnte er nicht verhindern, dass die Herde auf die Lichtung und somit in ihr eigenes Verderben lief.
Kurzerhand drehte er wieder um und folgte ihnen.
Als er die Lichtung erneut erreichte, war er überwältigt von der brutalen Gnadenlosigkeit und der furchtbaren Wucht mit der der Kampf hier andauerte. Das Herz und seine Bewacher kämpften mit all ihrer Kraft, doch konnten sie sich gegen diesen schier unbändigen Hass und die unstillbare Gier der Insektenmonstren nicht aus der Defensive befreien.
Schon erkannten die ersten Bestien die weitaus leichter zu erlegende Rinderherde und stürmten darauf zu.
Boliro versuchte noch, sich ihnen entgegen zu werfen, doch hatte er nicht die geringste Chance und schon nach wenigen Momenten war die Hälfte der Herde überrannt und die Lichtung übersät mit Blut, abgetrennten Körperteilen und Innereien.
Boliro selbst hatte eine schmerzhafte Wunde an der linken Schulter davongetragen, als er eines der Monster töten konnte und war für einen Moment außer Gefecht. Während er kurz verschnaufte, sah er, dass die Bewacher des Herzens den Insektenbestien, die sich jetzt fast ausschließlich um die Rinderherde kümmerten, geschickt in den Rücken fielen und innerhalb kürzester Zeit, jedoch auch mit großen eigenen Verlusten, fast alle töten konnten. Ein Sieg schien greifbar nahe zu sein.
Doch alles sollte so furchtbar anders kommen.
Sieben Bewacher stellten sich vier Monstren entgegen, als urplötzlich ein Rütteln durch den Boden ging. Kaum war es vergangen, ertönte ein dumpfes Grollen, das direkt aus den Tiefen der Welt zu kommen schien, sehr schnell irrsinnig laut wurde und weitere, immer heftigere Erschütterungen mit sich brachte. Der Kampf endete, denn alle hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Im nächsten Moment ertönte eine Art Fauchen und schon brach die Erde unter ihnen auf, zeigten sich gezackte Risse im Untergrund, die blitzartig und schubweise über die gesamte Lichtung zuckten. Immer wieder schossen Fontänen aus heißem Wasserdampf in den Himmel, wo sie zischend vergingen.
Das Beben erreichte nach wenigen Sekunden seine volle Stärke, brachte den Urwald ins Wanken. Bäume stürzten um, Erdreich drückte sich wie durch riesige Fäuste getrieben in die Höhe, die Risse wurden breiter. Innerhalb weniger Augenblicke stürzten Rinder, Bewacher, aber auch Insektenmonster kreischend in die Tiefe. Nur wenige entgingen der Macht der Natur, auch nicht das Herz des Waldes.
Als einer der Risse seine Wurzeln erreichte, stieß es einen schmerzhaften Schrei aus und eine dunkle Flüssigkeit schoss wie Blut als gewaltige Fontäne in die Höhe, klatschte wie ein heftiger Regenguss über die gesamte Lichtung. Dann kippte der mächtige Baum langsam nach vorn und stürzte schließlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den sich auftuenden Schlund, riss dabei die letzten Monstren, aber auch alle Bewacher mit sich.
In dem Moment, da alle in der Tiefe verschwunden waren, endeten die Erschütterungen des Bodens allmählich.
Boliro fing sich als Erster und schaute sich um. Die Lichtung, einst ein Ort prachtvoller Blüte und Wunder, war vollkommen zerstört worden. Der Platz, an dem sich das Herz befunden hatte, wies einen Krater wie nach einem Bombeneinschlag auf und glänzte feucht in der Sonne. Überall lagen leblose Kadaver herum, Blut, Körperteile und Gedärme waren weithin verteilt. Und doch konnte Boliro auch Bewegung ausmachen. Er sah zwei ausgewachsene Rinder, die unter schmerzhaftem Stöhnen versuchten, sich auf die Beine zu bringen. Eines von ihnen brach jedoch sofort wieder zusammen und starb im nächsten Moment. Das andere aber fand unsicheren Stand, während es starr in eine Richtung blickte und dabei immer wieder besorgte Rufe ausstieß.
Boliro folgte seinem Blick und konnte eines der Neugeborenen erkennen, das vollkommen verängstigt nach seiner Mutter rief, dabei stocksteif stand und am ganzen Körper erbärmlich zitterte.
Das Muttertier zeigte eine erstaunliche Energie und schaffte es, sich auf den Weg zu seinem Jungen zu machen. Boliro spürte eine gewisse Freude und brummte sanft. Mochte sich hier auch ein Ort des Grauens und der Vernichtung zeigen, so war das Überleben dieser beiden Tiere zumindest ein kleiner Grund zur Hoffnung.
Kaum aber hatte er diesen Gedanken formuliert, da erschütterte ein Nachbeben von nicht mehr als zwei Sekunden den Boden erneut, doch reichte es aus, um dem Muttertier das Gleichgewicht zu nehmen. Obwohl es sich mit aller Kraft dagegenstemmte, konnte es nicht verhindern, dass es in eine der Spalten rutschte, die das Hauptbeben gerissen hatte. Verzweifelt versuchte es mit seinen Hufen Halt zu finden, doch war es einfach zu schwach. Im Angesicht des sicheren Todes brüllte es erbärmlich auf, dann verschwand es in der Tiefe und seine Rufe erstarben abrupt.
Dafür kreischte jetzt das Jungtier vollkommen irrsinnig auf, weil seine Ängste es schier zerspringen lassen wollten.
Sofort wusste Boliro, was er zu tun hatte, denn natürlich konnte und wollte er das Kleine nicht sich selbst überlassen. Während er sich in Bewegung setzte, stieß er beruhigende Rufe aus und erreichte tatsächlich, dass sich das Tier ein wenig beruhigte und ihn fixierte.
Plötzlich spürte Boliro eine neuerliche Erschütterung des Bodens und ein tiefes Grollen war zu hören. Sogleich stieg Entsetzen in ihm auf, instinktiv rannte er schneller. Einen Augenblick später aber erstarb beides schon wieder. Boliro atmete erleichtert auf und wurde wieder langsamer.
Bis zu dem Moment, da er erkannte, dass nur das Rütteln, nicht aber das Grollen geendet hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt war es schon zu spät für das Jungtier.
Das Grollen wurde schlagartig wieder lauter und nur eine Sekunde später brach der Boden unter dem Kleinen auf und eine wuchtige Fontäne aus kochend heißem Wasserdampf schoss senkrecht in die Höhe, riss den zitternden, hilflosen Körper des Tieres mit sich. Ein furchtbar schmerzhafter Schrei fuhr ihm aus der Kehle, während es in einem hohen Bogen direkt auf Boliro zuflog und schließlich vollkommen unkontrolliert, aber irrsinnig wuchtig fünf Meter von ihm entfernt zu Boden klatschte.
Boliro erschrak zutiefst und rannte darauf zu, doch als er direkt vor dem Körper des Jungtieres stand, raubte ihm sein Anblick schier den Atem und die Besinnung. Seine Vorderbeine begannen zu zittern und gaben schließlich nach und mit einem quälenden Aufschrei stürzte er vollkommen entsetzt auf die Knie.
Die Haut hatte sich vollkommen vom Körper des kleinen Tieres gelöst, es war nicht mehr, als ein blutiger, wabbeliger Haufen Fleisch und Knochen und doch war es noch am Leben, tat seine letzten, so unendlich quälenden Atemzüge, während Boliro in seinen Augen klar erkennen konnte, dass es noch immer vergeblich versuchte zu ergründen, wie sich seine Welt innerhalb weniger Minuten in eine absolute Hölle verwandeln konnte.