schaute ihr Gegenüber eine Zeitlang an. Dabei schien es, als wolle sie etwas erwidern, doch sie blieb stumm. Stattdessen wandelte sich ihr ernster Blick in weiche Erkenntnis. Schließlich nickte sie. „Wie dem auch sei. Ich kann nicht ruhig bleiben, wenn ich nicht weiß, wo er ist. Ich werde ihn jetzt suchen!“
Kalipos nickte. „Was immer du willst!“ Er schaute Melia hinterher, wie sie zum Ausgang der Höhle ging. „Aber denke daran, dass unsere Wache nur noch eine knappe Stunde andauert. Danach bin ich weg!“
Melia wandte sich nochmals zu ihm um. Im fahlen Licht der Kristalle wirkte ihr Gesicht alt und kraftlos. Sie nickte. „Wir werden rechtzeitig zurück sein!“ Dann drehte sie sich um und verließ die Höhle.
Kalipos sah ihr noch einen Moment nach. Dabei verschwand sein Lächeln und sein Blick wurde ernst und hart. „Der Stein wird dich noch umbringen!“ meinte er leise zu sich selbst. „Aber der Junge wir noch unser aller Tod sein!“ Dann wandte er sich mit einem Brummen zurück zur Felsspalte und starrte hinaus auf die Ebene.
Nachdem Melia die Höhle verlassen hatte, entfernte sie sich zunächst ein wenig vom Rand des Hochplateaus, bis sie sicher war, dass man sie aus der anderen Richtung nicht mehr sehen konnte. Erst dann huschte sie über die große, flache, leicht abfallende Felsplatte hinter eine zerklüftete, senkrecht aufragende Felswand.
Obwohl um sie herum alles dunkel war, spürte sie eine unangenehme Nervosität in sich. Ihr Blick zum Himmel zeigte gewaltige, dunkle Wolkentürme, die den Mond verdeckt hatten und bleiern und schwer herabdrückten. Am Horizont jedoch konnte sie einen ersten schwachen Streifen Licht erkennen, der den herannahenden Tag ankündigte. Während ein scharfer Wind um den Felsen pfiff, hörte sie im Hintergrund tiefen Donner. Der alltägliche Wahnsinn kannte natürlich auch nachts keine Ruhe und hielt den Planeten ständig in Bewegung.
Melia huschte weiter an der Felswand entlang und blickte dabei angestrengt um sich, doch konnte sie nirgendwo etwas ausmachen.
Nach ein paar Metern blieb sie stehen und atmete einmal tief durch. „Verdammt Chalek!“ sagte sie leise zu sich selbst und ihn ihrer Stimme schwang Verärgerung, aber auch deutliche Sorge mit.
Plötzlich erschien wie aus dem Nichts heraus eine dunkle Gestalt neben ihr. Als Melia sie erblickte, erschrak sie fürchterlich und stieß einen spitzen Schrei aus. Augenblicklich beschleunigte sich ihr Puls und ein Adrenalinstoß schoss unter ihre Schädeldecke.
Doch schon im nächsten Moment konnte sie den Jungen erkennen, der sie mit einem breiten, diebischen Grinsen und großen, funkelnden Augen anschaute.
„Chalek!“ Melia versuchte, ihren Atem einzufangen. „Großer Gott!“ Sie riss unwillkürlich ihre Hände vor die Brust. „Hast du mich erschreckt!“
Der Junge grinste noch breiter, was eigentlich kaum möglich schien und musste leise lachen. Ganz offensichtlich amüsierte er sich über sie und ihre Schreckhaftigkeit.
Melia atmete einige Male tief durch, dann schüttelte sie den Kopf. „Du hast deinen Spaß, was?“ fragte sie.
Chalek nickte.
„Na, wenigstens einer von uns!“ Dann aber wurde sie ernst. „Wo zum Teufel warst du schon wieder? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Du sollst dich nachts nicht herumtreiben!“ schalt sie, ohne eine veränderte Reaktion bei dem Jungen zu erzeugen. „Du sollst dich überhaupt nicht herumtreiben!“
Jetzt nahm Chalek seine Hände in die Höhe und antwortete ihr in Zeichensprache. „Ach Barie! Du kennst mich doch! Ich kann nicht anders! Aber ich passe doch auch immer auf mich auf! Das weißt du!“
Melia schaute den Jungen einen Moment in seine großen, braunen Augen, dann weichte ihr Blick auf. „Ja, ich weiß, dass du auf dich aufpasst! Ich bin sogar sicher, dass niemand sich besser hier auskennt, als du! Aber trotzdem. Es ist nicht okay, dass du deinen offensichtlichen Spaß hier hast und ich mir große Sorgen machen muss!“
„Ich verspreche, mich zu bessern!“ erwiderte der Junge mit einem breiten Grinsen.
Jetzt musste auch Melia lächeln. „Hör auf, Chalek! Wir beide wissen, dass du deine Extratouren nicht lassen kannst! Es liegt dir einfach...im Blut!“ Sie streichelte ihm sanft über seine Wange, dann wartete sie, bis er sie ansah. Schließlich wurde sie wieder ernst. „Du bist alles, was mir noch geblieben ist. Riskiere nicht zu viel!“ Sie lächelte und streichelte ihn erneut. „Bitte!“
Chalek, der sein Lächeln ebenfalls für einen Moment verloren hatte, grinste wieder breit und schlang seine Arme um sie. Für einige Sekunden drückte er Melia fest, die diese Geste mit geschlossenen Augen in vollen Zügen genoss. Als sie sich wieder trennten, gab er ihr zu verstehen. „Ich liebe dich!“
Sofort strahlte Melia über beide Ohren. „Ja, ich liebe dich auch!“ Sie atmete einmal tief durch. „So, und jetzt schnell zurück zu Kalipos!“
Chalek nickte ihr zu und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg.
Sie waren jedoch kaum ein paar Meter weit gekommen, als der Himmel über ihnen plötzlich explodieren zu wollen schien. Ein gleißend heller Blitz schoss quer über das Plateau und alles um sie herum war für einen Wimpernschlag taghell erleuchtet. Melia erschrak fürchterlich, obwohl dies keine Seltenheit mehr war. Gewitter waren an der Tagesordnung und rauschten oft ohne Vorwarnung heran. Die Veränderungen in der Atmosphäre hatten jedoch dafür gesorgt, dass alles deutlich heftiger und wuchtiger ablief, als dies üblich war. Deshalb war der Blitz sehr viel größer und greller und auch der Donner, der nur wenige Augenblicke später heranrollte, brüllte geradezu in ihren Ohren und schmerzte in den Trommelfellen, schien sie dabei vollkommen einnehmen zu wollen und brachte die Luft zum Vibrieren. Doch nicht nur das. Deutlich konnte Melia eine Erschütterung im Boden wahrnehmen, doch schon im nächsten Moment wusste sie, dass dies keine Auswirkung des Donners war, sondern eine der vielzähligen Eruptionen des Bodens, die seit einiger Zeit immer häufiger und heftiger auftraten.
Schon drohte sie ihr Gleichgewicht zu verlieren. Chalek versuchte sie zu stützen und zog sie einen Schritt nach hinten, wo sie Halt an der Felswand fanden. Im nächsten Moment aber konnten sie hören, dass von irgendwo über ihnen Gesteinsbrocken heranrauschten. Mit einer weiteren, schnellen Bewegung gelang es Chalek, sie in eine der hier vielfältig zu findenden, kleinen Höhlen zu ziehen. Doch kaum hatten sie einen Fuß dort hineingetan, schwankte der Boden urplötzlich und für einen kurzen Moment noch mehr, sodass sie beide doch den Halt verloren und mit den Knien voran hart auf den Felsboden schlugen. Der Schmerz ließ sie kurz aufschreien.
Um sie herum schien alles zerspringen und zerbrechen zu wollen. Der Fels stöhnte erbärmlich auf, als plötzlich ein lauter Knall ertönte, als wäre etwas Schweres in zwei Teile zersprungen. Melia rechnete schon damit, dass die Höhlendecke zerfetzt worden war und sie gleich unter tödlichen Trümmern zerquetscht werden würden.
Doch anstatt erschlagen zu werden, sackte plötzlich der Boden der Höhle unter ihnen ab. Aber es brach nicht ein Stück heraus und fiel herab, sondern es entstand eine Art steinerne Rutsche, auf der sie erneut den Halt verloren und gut vier Meter in die Tiefe purzelten. Dabei überschlugen sie sich mehrfach und mussten einige Male aufschreien, bevor sie schließlich von der Rutsche polterten und auf einem harten Steinboden zum Erliegen kamen, wo sie von einer Staubwolke eingehüllt, reglos liegen blieben, während die Erschütterung des Bodens allmählich endete und der Donner in der Unendlichkeit dumpf nachhallte.
II
Es war jetzt knappe zwei Stunden her, dass sie Kimuri verlassen hatten.
Rimbo am Steuer der Amarula hatte das Schiff zunächst sanft und ruhig aus der unterirdischen Grotte gelenkt und dann mit halber Kraft ins offene Meer gesteuert.
Schließlich legte er in Absprache mit Kendig Nordkurs an und beschleunigte bei einer Tiefe von dreitausend Fuß auf Höchstgeschwindigkeit.
Entsprechend rauschte die Amarula mit fast sechshundert Meilen in der Stunde durch die Dunkelheit.
Im Licht