Kilda Cirus

Liebe, rette mich!


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      Kilda Cirus

      Liebe, rette mich!

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Liebe, rette mich!

       I Grischas Herz

       Liebe

       Gewalt

       Vertrauen

       Opfer

       II Miriams Kopf

       Verwirrung

       Offenbarung

       Sicherheit

       Vergangenheit

       Unbewusstsein

       Vernichtung

       Impressum neobooks

      Liebe, rette mich!

      Roman

      von

      Kilda Cirus

      Für A, für seine jahrelange Unterstützung und seine Fähigkeit zu glauben.

      Liebe

      Die Schmerzen in meiner Blase dehnen sich auf den gesamten Unterleib aus, ich fange an zu schwitzen. Ich atme flach, wie von allein ziehen sich die Muskeln zusammen, obwohl ich versuche, sie zu entspannen, um die Schmerzen ein wenig länger auszuhalten. Seit geraumer Zeit atme ich durch den Mund und trotzdem infiltriert der widerliche Geruch der Toilette den gesamten Bus. Schon der Gedanke, diesen Ort zu betreten, ruft Übelkeit in mir hervor. Als ich mich erhebe, gehorchen die verspannten Muskeln nur widerwillig. Ich trete an meiner Nachbarin Mary, einer Engländerin, vorbei in den Gang. Sofort schnellt ein Mann zu mir, packt meinen Arm. Ich sehe in seine schwarzen Augen und ein Schauer durchfährt mich. Da ist nichts. Kein Mitleid, keine Frage, nur gebündelte Aufmerksamkeit. Ich würge „toilet“ hervor, er nickt und zieht mich nach vorn zur Toilette, öffnet die Tür und schiebt mich hinein. Er schließt die Tür, wartet davor. Ich verriegle sie und bereue, nicht länger ausgehalten zu haben. Beißender Geruch nach Erbrochenem steht in der Toilette, er wird nur vom Anblick des Ganzen übertrumpft. Prompt dreht sich mein Magen um. Ich würge und schlucke die Galle hinunter, bis ich mich beruhigt habe. Ich sehe auf den Boden, weiche den größten Pfützen und Dreckhaufen aus, beuge mich breitbeinig über den Sitz und achte darauf, nichts zu berühren. Der Bus ruckelt und ich versuche, die Bewegungen auszubalancieren. Plötzlich knallt es. Ich zucke zusammen, unwillkürlich stoppt der Urinstrahl. Wieder ein Knall. Stille. Sind das Schüsse? Hat jemand geschossen? Mit voller Wucht brandet die unterdrückte Angst in mein Bewusstsein. Ein kalter Schweißfilm bedeckt augenblicklich meinen Körper, ich ringe nach Luft. Bleibe ich besser in der Toilette, wo ich sicherer bin? Mein Blick flirrt, die Wände kommen auf mich zu. Ich stütze mich gegen sie, doch alles dreht sich. Schnell ziehe ich mich an, halte erneut inne, versuche, ruhig zu atmen. Die Panik lässt sich nicht besiegen. Ich öffne die Toilettentür und trete hinaus. In diesem Moment brandet Geschrei in meine Ohren. Frauen kreischen, Männer schreien. Der Bewacher vor der Toilette ist nicht mehr da, ich bleibe auf dem Treppenabsatz stehen.

      Von meiner niedrigen Position aus sehe ich, wie manche Frauen wild um sich schlagen, die Männer halten sie kaum unter Kontrolle. Eine der Frauen tritt einem Entführer in den Schritt, er schlägt sie mit dem Handrücken ins Gesicht, sie bricht über dem Sitz zusammen. Andere Frauen werfen panische Blicke um sich, sie beobachten den Kampf, suchen nach einem Weg zu entkommen. Der Bus fährt mit unverminderter Geschwindigkeit, die Bäume wischen schemenhaft vorbei. Der Hebel über der hinteren Tür ist abgebrochen. Einen Sprung durch eines der Fenster, falls die Scheibe nachgeben würde, wäre der sichere Tod.

      Ich sehe nach hinten zu dem Platz, auf dem ich gesessen habe. Der Sitz ist leer. Aus den Augenwinkeln bemerke ich eine Bewegung am Boden. Meine Nachbarin und eine andere Frau liegen ausgestreckt da. Auf Marys Brust zeichnet sich ein größer werdender roter Fleck ab. Ein kalter Schlag trifft mich am Rücken, die Härchen an Nacken und Armen stellen sich auf, Kälte durchflutet meinen Körper. Sie ist erschossen worden! Lebensgefahr. Ich denke nicht, aber das Wort schwebt bedrohlich in meinem Bewusstsein. Ich bleibe, wo ich bin, sehe wieder zu den beiden Frauen, erst zu Mary, dann zu der anderen. Ihr Kopf ist blutüberströmt. Wie hingerichtet. Ich schwanke, halte mich an der Stange fest. Das Bild verschwimmt vor meinen Augen, ich blinzle ungewollt, es wird wieder klar. Marys Gesicht ist blass, sie sieht mich an, so ruhig, ihre großen blauen Augen wie ein unschuldiger Himmel im Sommer. Ich atme drei Atemzüge mit ihr. Dann schließt sie die Augen. Die andere Frau starrt ins Leere. Stille senkt sich über den Bus. Die beiden reglosen Menschen fesseln die Blicke aller Frauen und Männern. Keiner rührt sich, sogar die Entführer nicht. Die Bewegungslosigkeit ist gnadenlos. Da liegt Mary, die ich seit ein paar Stunden kenne, über die ich nichts weiß außer ihren Namen, ihren Wohnort. Ein paar oberflächliche Worte hatten wir gewechselt, so wie man das macht, wenn man sich neben jemanden in den Bus setzt. Es wären zwei Wochen Zeit, in denen wir uns kennenlernen konnten, also nichts überstürzen. Erstmal losfahren in den Urlaub. Aber dann waren sie da, die Entführer, stürmten in den Bus, verboten uns zu sprechen und alle schwiegen. Das Brummen des Motors, der Fahrtwind waren die einzigen Geräusche.

      Da liegt Mary in dem engen Gang des Busses. Das Blut läuft millimeterweise immer weiter nach links aus ihrem Körper heraus, in einem kleinen Berg mit einer runden, glänzenden Kante. Ihre Haut schimmert, die blonden Haare sind zerzaust, das helle T-Shirt zerknittert. In der Mitte ist der rote Fleck, hellrot am Rand, dunkler in der Mitte, fast schwarz. Der Brustkorb ist bewegungslos. Ich warte darauf, dass er sich hebt, doch er bleibt starr. Neben Mary liegt die andere Frau so nah an ihr, als wären sie Liebende. Ihre Arme und Beine berühren einander. Doch hier verlässt mich mein Gehirn, ich sehe nur das Blut, diese rote Masse ihres Kopfes, dass meine Augen von allein wieder zu Marys Leiche wandern. Fast erholsam rutschen sie zu diesem dunklen Loch in ihrer Brust und bleiben da. Niemand atmet. Der Fahrtwind rauscht. Der Motor rasselt dumpf.

      Dann beugt der Mann, der am nächsten an den zwei Frauen steht, das rechte Knie, hockt sich neben Mary und legt die Hand langsam an ihren Hals. Dasselbe wiederholt er bei der anderen. Er zeigt keine Reaktion. Er hebt Mary hoch. Ihre Arme und Beine hängen wie Säcke nach unten. Seltsam überdehnt. Er läuft den Gang entlang an mir vorbei. Mein Herz schlägt im Takt seiner Schritte. Ich starre Mary an, als ob sie jeden Moment aufspringt und mich anschreit. Der Mann kommt auf mich zu, das Blut in meiner Brust, in meinen Ohren, es schlägt gefährlich kräftig. Die Geräusche werden leiser, ein graues Rauschen ist in mir. Zu viel Stickstoff. Ich muss atmen, atmen, ganz langsam. Ruhig. Der Schweiß rinnt mir den Rücken hinab, er