Kilda Cirus

Liebe, rette mich!


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zu weit weg. Trotz meiner Angst, bin ich froh, dass Grischa zwischen uns ist, so wird er mich nicht noch einmal holen. Aus den Augenwinkeln sehe ich den Mann ein Stück in den Bus hineingehen, meine verquollenen Augen erkennen nur schemenhaft, wie er sich eine andere Frau greift, die sich nicht wehrt. Er zieht sie mühelos aus dem Bus.

      Die eintretende Stille ist so unwahrscheinlich, dass sie mich desorientiert. Mein Blick ist verschwommen, mein Kopf dröhnt von den Schlägen, Arme und Schultern schmerzen, ich bin außer Atem und kalter Schweiß verklebt meine Haut. Doch die Gefahr ist vorüber. Ich suche Grischas Augen, er sieht mich an. Sein Blick ist undurchdringlich, keine Liebe, keine Freude, keine Erleichterung, rein gar nichts. Er sagt etwas auf Russisch und die anderen Entführer lachen. Keiner von ihnen hat den Bus verlassen. Vier Männer sitzen in dem vorderen Abteil und spielen Karten, einer steht hinten im Gang, lässt den Blick unfokussiert über die Frauen schweifen, ein weiterer lehnt an der Rückwand der Fahrerkabine und beobachtet die im Bus Verbliebenen mit gelangweiltem Blick. Die vier Männer haben alle ihre Karten verdeckt auf den Tisch gelegt und sehen mich unverhohlen abwertend an. Sie alle lachen hämisch. In meiner dumpfen Stille klingt das umso hässlicher. Was habe ich nur erwartet? Dass Grischa sich freuen würde, mich zu sehen, dass er mich umarmen würde und küssen? Wie lieblich. Er sieht mich nur mit diesen undurchdringlichen Augen an und macht Witze über mich. Er setzt sich entfernt von mir und kümmert sich nicht um mich. Ich sitze auf der ersten Sitzreihe hinter den Männern. Der Platz neben mir ist leer. Ich könnte mich umdrehen und nach den anderen Frauen sehen, aber ich fürchte den Hass in ihren Augen. Von ihnen erwarte ich keine Unterstützung. Erst nehme ich den Frauen das Essen weg, dann komme ich als Einzige aus dieser Bedrängnis heraus. Und das bisschen Geschreie und der kleine Schlag, damit führt Grischa die Frauen nicht hinters Licht. Sicher empfanden sie es als Genugtuung für mein Verhalten. Also bleibe ich allein hinter den Männern sitzen und betrachte sie verstohlen. Der eine Mann lehnt lässig an der Wand, ich sehe ihn an, aber er stört sich nicht daran. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet. Wahrscheinlich reagiert er nur auf Bewegungen. Die vier Männer spielen weiter ihre Karten, sind dabei solange ruhig, bis einer ein besonderes Blatt hat oder etwas Wichtiges ausspielt, dann rufen sie laut. Grischa verhält sich, als existiere ich nicht. Er macht ab und an Sprüche, wenn er aus dem Fenster sieht, über die die anderen Männer lachen. Eine Erkenntnis drängt sich ganz und gar ungewollt in meinen Kopf: Grischa ist der Anführer dieser Verbrecherbande, er ist nicht mein Vertrauter, nicht mein Liebhaber, nicht länger meine Hoffnung. Die große Leere in mir weitet sich aus und ich starre ihn an, fixiere ihn und weiß, dass er es merkt, aber er stellt nur lässig das Bein auf den gegenüberliegenden Sitz und sieht lächelnd aus dem Fenster. Ich verstehe sein Verhalten nicht. Warum hat er denn gesagt, dass er Angst um mich hat? Ich weiß es nicht und ich habe nicht mehr die Kraft nachzudenken. Ich sitze bewegungslos da und merke, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Ich habe lange nicht mehr aus Kummer geweint, nicht wie vorhin aus Spiel oder wegen Schmerzen. Ich habe vergessen, wie sehr es in den Augen brennt. Die erste Träne verlässt mein linkes Auge und bahnt sich langsam den Weg über die Wange, entlang der Nase zum Mundwinkel. Dort wische ich sie weg. Ich sehe auf meine Hand und stelle fest, dass sie dreckig ist. Das muss von der Treppe oder der Wand sein, als mich der Mann in das Zimmer schleifte oder es ist von meinem Sturz auf die Treppe des Busses. Wo es auch herkommt, es rührt mich nicht, es ärgert mich nicht einmal, obwohl sich der Dreck durch die Feuchtigkeit verkrustet. Die nächste Träne trifft meinen Mund und bleibt in der kleinen Lücke zwischen Ober- und Unterlippe hängen. Ich schniefe und schluchze auf. Das höhnische Lachen einer Frau durchschneidet die Luft. Ich will, dass alles schwarz und stumm wird. Ich will nichts mehr sehen. Nicht mehr diese entführten Frauen, nicht mehr diesen Bus, nicht mehr diese Männer. Vor allem nicht mehr ihren Anführer. Kurz kommt mir der Gedanke wutentbrannt auf ihn loszugehen, ihn anzuschreien und eine Erklärung zu fordern, aber genauso schnell wird mir bewusst, dass das allenfalls eine neuerliche Freude für manche der Frauen wäre und in Grischa nicht die leiseste Gefühlsregung hervorbrächte. Er würde mir mit seinen kalten, blauen Augen die Arme auf den Rücken drehen, sie mir zusammenbinden und wenn ihn mein Schreien störte, würde er mich knebeln. Nein. Das ist kein Ausweg, nicht einmal für meine Gefühle. Ich krieche in mich zusammen, ziehe die Knie an die Brust und lege den Kopf darauf. Wieder fühle ich mich, als ob ich bald den Verstand verlöre, nur ist jetzt nichts Spannendes dabei. Dieses Mal ist es die reine Verzweiflung und Selbstaufgabe, die mich lachend zu sich rufen und denen meine Seele, müde und enttäuscht, frohlockend zuwinkt. Mit dem Kopf an die Glasscheibe gelehnt, starre ich ins Nichts. Am Rande meines Bewusstseins bemerke ich einen Tanklastwagen, der neben dem Bus hält. Es sind dieselben Geräusche wie in der ersten Nacht. Also geht die Fahrt weiter. Es ist noch nicht vorbei. Nur leise und verschwommen nehme ich wahr, wie die anderen Frauen irgendwann schluchzend oder fluchend in den Bus zurückkommen und dieser daraufhin losfährt. Ich sehe die Landschaft nicht, die an uns vorbeizieht. Es ist eine einheitlich dunkelgraue Masse. Ich höre Grischas Stimme von Weitem, aber ich höre nicht, was er sagt. Es ist mir egal. Er hat mir nichts mehr zu sagen. Alles andere ist mir egal. Er ist meine Hoffnung gewesen und er hat mich verraten. Er hat meine Hoffnung verraten. Ich bin erschlagen. Mein Gehirn ist unerreichbar in einer tiefen Mulde versunken. Es ist im Schlamm versickert. Ich kann immer noch fliehen! Der Gedanke schießt durch meinen Kopf, aber ich kann ihn nicht fassen. Ich lasse ihn passieren wie alles, was um mich herum geschieht. Es wird Essen verteilt und Trinken, aber ich reagiere nicht. Mir wird schon schlecht, wenn ich daran denke, den Mund zu öffnen und zu kauen. Ich reagiere nicht darauf, als mir eine Hand etwas hinhält. Mir ist egal, wessen Hand es ist und mir ist egal, was sie mir gibt. Ich kann nichts mehr nehmen. Mein Zeitgefühl ist verschwunden. Die Zeit zählt nicht mehr für mich. Ich sitze da und dämmere in meinem selbstmitleidigen Zustand. Du kannst immer noch fliehen! Erneut wird dieser Gedanke angeschwemmt. Er schwappt mit der ekelhaften Flut trüber Wasser in mein Bewusstsein, um dort brach zu liegen. Er bewegt sich nicht, aber er will sich nicht mehr ertränken lassen. Ja. Ich kann immer noch fliehen. Ich sollte es zumindest versuchen. Egal, wie, aber ich sollte es versuchen! Natürlich darf ich nicht einfach so aufgeben! Das, was mir droht, ist mit Sicherheit schlimmer als Grischas Zurückweisung. Mit einem Schlag fühle ich, die Energie in mich zurückströmen. Wie kurz vor dem Ertrinken tauche ich nach Luft schnappend auf. Ich kann nicht einfach untergehen. Es gibt sicher noch eine Möglichkeit, diesem Wahnsinn zu entkommen.

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