Anna-Irene Spindler

Die Frau vom Schwarzen See


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schon seit einer Stunde hinter der Bar. Um diese Uhrzeit waren noch nicht viele Gäste im Salon. Sie hatten alle nebeneinander am Tresen Platz. Einen Fuß auf dem umlaufenden Messingholm abgestellt, damit genügend Platz für die unabdingbaren Spucknäpfe war, lachten sie anerkennend über Marieles anzügliche Scherze. Schnell hatte sie gelernt, worüber Männer nach getaner Arbeit gerne redeten und lachten. Mariele hatte sich deren derbe Sprache angeeignet und kannte die ordinärsten Witze. Die wüstesten irischen und italienischen Flüche kamen ihr wie selbstverständlich über die Lippen. Und während sie die Männer so bei Laune hielt, goss sie unentwegt die Gläser voll. Rosaria Tonelli, die Puffmutter, stand oben auf der Galerie und beobachtete Mariele mit großem Wohlwollen. Seit die hübsche junge Frau hinter dem Tresen stand, hatte sich der Whiskey Konsum beinahe verdoppelt. Früher hatten die Männer hauptsächlich über ihre Arbeit gesprochen, wenn sie das Etablissement nach Feierabend betraten, und kaum etwas getrunken. Jetzt standen sie an der Bar, amüsierten sich über Mariele und sprachen schon am frühen Abend mit großer Begeisterung dem Schnaps zu.

      La Rosaria, wie sie von Allen im Bordell ehrfürchtig genannt wurde, besaß eine ausgezeichnete Menschenkenntnis. Sie hatte sofort erkannt, dass es die reinste Verschwendung wäre, Mariele den Boden schrubben zu lassen. Ihr hübsches Gesicht in Verbindung mit ihrer natürlichen Schlagfertigkeit war die ideale Kombination. Sie schien nicht auf den Kopf gefallen zu sein. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie genügend Italienisch gelernt, um sich mit den Männern ohne Problem unterhalten zu können. Genau so jemanden hatte La Rosaria für die Bar immer gesucht. Auch an der neuen Kellnerin, die ihr Mariele vermittelt hatte, gab es nichts auszusetzen. Sie arbeitete flink und mit großer Umsicht. Hatte stets alle ihre Tische im Blick. Nie saßen Gäste länger als nur ein paar Minuten auf dem Trockenen. Auch wenn sie Tabletts voller Gläser zu den Séparées hinauftragen musste, geschah das schnell, diskret und sicher. Sie verschüttete so gut wie nie etwas. Selbst die aufdringlichsten Gäste wurden von ihr freundlich und charmant bedient. So etwas sprach sich schnell herum. Ja, die beiden Frauen waren ein echter Gewinn für ihr Haus. Jetzt konnte sich La Rosaria nicht nur rühmen die hübschesten Freudenmädchen zu beschäftigen, sondern auch die beliebteste Bar in ganz Little Italy zu führen.

      Anfänglich war es Agnes von Herzen zuwider gewesen, ständig von den Männern betatscht zu werden. Es hatte all ihre Selbstbeherrschung erfordert, nicht um sich zu schlagen. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, dass die Männer ihre Hände nicht bei sich behalten konnten, wenn sie sich zwischen ihnen hindurch zwängte um Getränke zu den Tischen zu bringen. Solange sie ihr Scheine in den Ausschnitt steckten, durften sie im Gegenzug auch ihren Busen begrapschen. Wenn sie ihr unter den Rock fassten und die Hand über die Höhe des Strumpfbandes hinauf wanderte, befreite sie sich mit einer koketten Hüftbewegung von den aufdringlichen Fingern. Stets begleitete sie die Zurückweisung mit einem spitzbübischen Lächeln und verwies die Männer an die sehr viel hübscheren Mädchen in den oberen Stockwerken. Auf diese Weise waren die Kunden nicht beleidigt und sie hatte wieder für eine Weile Ruhe vor den Zudringlichkeiten.

      Ihr ganzes Leben lang, hatte Agnes getan was getan werden musste. Sie war noch keine drei Jahre alt gewesen, als ihre Mutter sie mit einem Napf voller Küchenabfälle hinter das Haus geschickt hatte um die Hühner zu füttern. Seit diesem Tag hatte sich nie jemand darum geschert, ob sie ihre Arbeit gerne machte, ob sie müde oder krank war. Es wurde erwartet, dass sie funktionierte. Und das seit über zwanzig Jahren. Aber diese unglaublich harte, mitunter sogar grausame Schule, durch sie gegangen war, half ihr nun jegliche Arbeit zu erledigen, die von ihr verlangt wurde.

      Ein fröhliches Lächeln im Gesicht, einen munteren Spruch auf den Lippen, so zwängte sie sich zwischen den Männern an der Bar hindurch, lud die Gläser auf ihr Tablett und trug sie zur Galerie hinauf. Vor jedem der Séparées blieb sie stehen, hüstelte vernehmlich und fragte ob Getränke gewünscht wurden. Kam das Animiermädchen heraus und nahm das Gewünschte in Empfang, vermerkte Agnes die Bestellung mit einem Bleistift auf einem Zettel, der neben dem Vorhang angebracht war. Hatte sie nicht das passende Getränk dabei, speicherte sie die Wünsche im Gedächtnis um es beim nächsten Mal mitzubringen. Blieb es hinter dem Vorhang still, ging Agnes diskret weiter. Bei ihrem nächsten Rundgang auf der Galerie würde sie wieder fragen.

      Langsam füllte sich der Salon. Italiener, Iren, Polen, Deutsche, Spanier, Schweden, Russen – halb Europa war vertreten. Genau wie Mariele hatte sich Agnes im Laufe der Monate einen enormen Wortschatz angeeignet. Sehr stark irisch eingefärbtes Englisch sprach sie nahezu fließend, Italienisch ganz leidlich. Die Spanier verstand sie recht gut. Aber mit dem Sprechen tat sie sich noch schwer. Auch ein paar Brocken Schwedisch hatte sie schon aufgeschnappt. Es reichte zumindest aus, um die Bestellung der durstigen Männer zu verstehen. Nur mit den Polen und den Russen hatte sie ihre Probleme. Aber mit einem fröhlichen Lachen und ein bisschen Zeichensprache, kam sie auch mit diesen Kunden klar. An diesem Abend überwogen die Italiener. Die Werftarbeiter hatten ihren Wochenlohn bekommen. Das musste gefeiert werden! Viele von ihnen hatten eine Frau und einen ganzen Stall Kinder zuhause. Aber das hielt sie nicht davon ab, das sauer verdiente Geld unverzüglich bei Whiskey und leichten Mädchen wieder zu verjubeln. Mochten doch die Frauen daheim sehen, wie sie zurechtkamen. Sie hatten hart gearbeitet, also hatten sie auch das Recht sich zu amüsieren.

      Für Agnes und Mariele waren die Zahltage die besten Tage der Woche. Nie saß das Geld der Männer so locker wie an diesen Abenden. Natürlich war Agnes klar, dass abgearbeitete Frauen und hungrige Kinder in eisigen Kämmerchen vergebens auf die Heimkehr der Männer warteten. Aber wenn ihr Geldscheine in den Ausschnitt gesteckt wurden, war es ihr vollkommen einerlei, dass für die Familien der Männer nichts übrig blieb. Mitleid war ein Luxus, den sich ein armes Mädchen in den New Yorker Five Points nicht leisten konnte. Um sie scherte sich niemand, warum also sollte sie sich um Irgendjemanden scheren. Im Gegenteil! Wenn sie die Gläser auf den Tisch stellte oder abräumte, beugte sie sich besonders weit nach vorn, damit die Männer einen ausgiebigen Blick in ihren tiefen Ausschnitt werfen konnten. Je weiter der Abend fort schritt und je mehr die Männer getrunken hatten, desto häufiger wanderten Dollarnoten und Münzen zwischen ihre Brüste.

      „Heute läuft es ziemlich gut“, rief ihr Mariele durch den Lärm hindurch zu, als sie sich zwischen den Männern hindurch an den Tresen zwängte um Getränke zu holen.

      „Das kannst du laut sagen“, schrie Agnes. Dann fasste sie in ihr Korsett, zog die Münzen und Geldscheine heraus. Auch die Scheine, die in ihren Strumpfbändern steckten, kramte sie unter ihrem Rock hervor und gab sie La Rosaria. Wenn im Salon so viel los war, stand die Bordellbesitzern höchst persönlich hinter der Bar und schenkte mit aus.

      „Sehr gut mia Bella!“ Anerkennend nickte sie Agnes zu. „Jetzt geh nach oben. Trixie in Séparée vier hat schon zweimal gewunken. Und vergiss das Bier nicht für Nummer sieben.“

      Agnes nickte kurz, schnappte sich das Tablett, das La Rosaria schon mit Bierkrügen und Whiskeygläsern beladen hatte und schob sich zwischen den lachenden und trinkenden Männern hindurch zur Treppe. Die Hände, die sich Gläser vom Tablett stibitzen wollten, wehrte sie geschickt ab. Vergnügt lachend versprach sie, unverzüglich wieder vorbei zu kommen und den ach so großen Durst der Männer zu stillen. Bei jedem Schritt wurde ihr von irgendjemandem auf den Hintern geklatscht, so dass sie Mühe hatte nichts zu verschütten. Bekäme sie für jeden Klaps auf den Hintern einen Dollar, würde sie heute Abend ein kleines Vermögen verdienen.

      Als sie kurz vor ein Uhr morgens in La Rosarias Büro ihren Lohn abholte, zählte die Bordellwirtin fünfundzwanzig Dollar auf den Tisch. Die Hälfte des Trinkgeldes das Agnes bekommen hatte. Noch nie zuvor hatte sie an einem einzigen Abend so viel verdient.

      „Keinen Tropfen verschüttet und kein Glas zerbrochen. Der Umsatz in den Séparées war auch ungewöhnlich hoch. Das hast du sehr gut gemacht.“

      Ein Lob aus dem Mund der Puffmutter war etwas überaus Seltenes und deshalb umso höher zu bewerten.

      „Es freut mich Ma’am, dass Sie mit meiner Arbeit zufrieden sind“, sagte Agnes. Sie war zum Umfallen müde, spürte kaum noch ihre Beine. Aber dieses unerwartete Lob zauberte dennoch ein dankbares Lächeln auf ihr Gesicht.

      „Gute Nacht Ma’am.“

      Ein kurzes Nicken war die einzige Reaktion. Dann beugte