Auf diesen Dokumenten befindet sich jeweils bereits eine Blankounterschrift für die Freigabe des Bootes. Eine Originalunterschrift befindet sich zudem auf Ihren Durchschlägen. Hier sehen Sie die Bescheinigung des Eigentumsübergangs für die Behörden, die mit meiner und Ihrer Unterschrift Rechtsgültigkeit erlangen. Und in dieser Mappe finden Sie den Kaufvertrag, den wir Ihnen bereits zur Ansicht zugeschickt haben. Ich hoffe, mit dem Vertrag und mit dem Boot ist aus Ihrer Sicht soweit alles in Ordnung und die Leistungen meines Mandanten somit erfüllt? Ich bitte Sie dann nun, ebenfalls zu unterzeichnen und den Restbetrag innerhalb 10 Tagen auf Jersey anzuweisen.«
Wie ein Oberlehrer musterte Herr Marques Stefan, der gerade versuchte, sich geistig durch den Papierwald zu arbeiten, ob alles vollständig war. Aber dazu hat man ja Notare und somit würde wohl alles in Ordnung sein, befand er, während er davor kapitulierte, jedes mögliche Detail nochmal prüfen zu können. Außerdem gab es immer noch Cindy, die in seinem Augenwinkel am Buffet-Tisch dafür sorgte, dass 70% seines Verstands mit anderen Themen als nüchternem Papierkram beschäftigt waren. Kurzerhand überflog er jeweils die Fußenden der Dokumente, ob alle Unterschriften vorlägen, dann griff er beherzt zum Stift und unterzeichnete. In zwei Wochen würde ein neues Leben beginnen.
»Ich gratuliere!«, rief Bernhard Jung aus und griff nach Stefans Hand, während der Notar alle Unterlagen konzentriert sortierte und seine Mappen damit füllte. Ein Knall von der Seite zeugte vom Öffnen einer Champagnerflasche. Cindy schenkte eifrig vier Gläser ein und noch bevor das Buffet geplündert wurde, stießen alle miteinander an. Die Köstlichkeiten vom Tisch mundeten anschließend hervorragend, und die Männer begaben sich für ein paar weitere Gläser Champagner an Deck, wo sie im Schatten des Führerstandes die Aussicht genossen. Stefan konnte es gar nicht fassen, dass er auf seiner eigenen Yacht stand. Er war so verwirrt in seinem Glück, dass er selbst für Cindy im Moment keine Augen hatte. Bis zum vierten Glas, welches Jung im Anflug seiner immer überschwänglicheren Kumpeleien dazu veranlasste, Cindy plötzlich an der Hüfte zu greifen und an sich zu ziehen, wobei seine Hand zwangsläufig ihren Arsch berühren musste. Cindy ließ sich nichts anmerken und setzte ihren Smalltalk charmant lächelnd fort. ›Verdammt, sie ist entweder sehr abgebrüht, oder deutlich mehr als seine Assistentin. Oder beides...‹, dachte Stefan bei sich.
4: 2013, Cindy
Drei Jahre seit dem Treffen in Tarragona waren vergangen. Stefan Schneider lehnte, auf dem Fahrrad sitzend, an der Straßenlaterne und hatte die Lederjacke bis obenhin geschlossen. Das Haus von Jung war ein beeindruckend großer, aber nicht unbedingt schöner Bau aus den frühen 80er Jahren. Lediglich die Bruchsteinmauer, das automatische Gittertor und die lange Kieseinfahrt zeugten davon, dass hier Kapital zuhause ist. Für einen Morgen im Juni war es noch relativ frisch. Es war gegen 09:15 Uhr, als das Taxi die Straße hinaufgefahren kam. Dieses Ritual wiederholte sich zweimal im Monat, jeden ersten Dienstag und Freitag. Darauf war Verlass, seit Stefan das Haus beobachtete. Das Taxi hielt vor dem Haus. Neben der Einfahrt öffnete sich die Haustür, und heraus kam sie. Wie immer Dienstags und Freitags. Das waren die Tage, an denen Jung über Nacht weg war. Auch soviel hatte Stefan schon herausgefunden. Der 7er BMW verließ immer am Tag davor das Haus und kehrte erst am nächsten Abend wieder zurück.
Cindy Marnow trug eine knappe Jacke und darunter eine figurbetonende Hose aus schwarzem Kunstleder. Sie hatte außer einer Umhängetasche nichts dabei. Sie trug Pumps mit praktischen breiteren Absätzen und schwebte in einer Art Model-Schritt in Richtung Straße. Auch wenn sie nicht so aufreizend gekleidet war wie seinerzeit in Tarragona sah sie dennoch fantastisch aus. Sie stieg hinten ins Taxi ein, wobei ihre langen Haare über das Leder der Kopfstützen streiften. Seit er und Jung sich zuletzt gesehen hatten – das war vor Gericht, als Stefans Klage gegen Jung abgewiesen wurde – verging kein Tag, an dem Stefan nicht an seinen Schwur dachte: ›Ich nehme dir etwas, was dir weh tun wird.‹ Rache kann das Geld nicht ersetzen, aber es lag ihm viel daran, Bernhard Jung zu zeigen, was es heißt, wenn ein Traum zerstört wird. Und irgendwie war sich Stefan Schneider sicher, dass sein Weg über diese Frau führen könnte. Doch zuerst musste er eine Prüfung bestehen, ob er offen handeln könnte oder nicht. Er stieß sich mit dem Fahrrad ab, wendete und folgte dem Taxi. Hier in der Tempo 30-Zone war es nicht schwer, Schritt zu halten. Dazu war er gut genug in Form. Er hatte auch viel Zeit dafür gehabt. Nachdem das Erbe seines Onkels in dubiosen Kanälen auf Jersey verschwunden war, hatte er sich weiter drei Jahre mit Malerei über Wasser gehalten. Immerhin reichten ein paar regelmäßige Galerieverkäufe dafür aus, seinen Wohnsitz hierhin zu verlegen. Und er hatte Zeit. Viel Zeit.
Am Ende der Straße wartete das Taxi mit Cindy Marnow an der Kreuzung. Jetzt kam der anstrengende Teil, denn Stefan musste ca. 100 Meter Schritt halten und hoffen, dass die Ampelanlage weiter hinten auf Rot steht und sich der übliche Stau entwickelt. Er trat in die Pedale und registrierte nervös, wie ihn vier, fünf Autos überholten und sich zwischen ihn und das Taxi schoben. Doch er hatte Glück, es war wieder Stop-and-Go. Am Rand der Straße arbeitete er sich vorsichtig wieder nach vorn, indem er langsam zwischen den geparkten und rollenden Autos durchradelte. Er schlängelte sich bis zum Taxi durch und blieb dann direkt am Fenster von Cindy stehen. Erst wartete er eine Weile, dann schaute er beiläufig nach links in den Wagen rein. Seine und Cindys Blicke trafen sich. Bei ihr war keine Überraschung zu sehen – kein Zeichen eines Wiedererkennens. Das hatte er gehofft. Schließlich hatte sie ihn damals in Tarragona gerade mal drei Stunden gesehen. Es war drei Jahre her, und mittlerweile trug er seine Haare auch lang. Etwas, was ihm zu seiner Verwunderung klare Vorteile bei den Frauen brachte, die offenbar auf seine früh graumelierten, aber wenigstens vollen Haare standen. Er riskierte es, einen Gang höher zu schalten. Während sich die Blicke noch trafen, versuchte er ein kurzes, diskretes Lächeln. Zu seiner Verwunderung behielt Cindy den Blick bei und hob auch etwas die Mundwinkel. Diese Prüfung hatte er klar bestanden – sie erkannte ihn nicht wieder. Der Verkehr setzte sich wieder in Bewegung, er verlor Cindy aus den Augen, aber er wusste, welches Taxiunternehmen sie immer wählte.
Er war Künstler, er hatte Zeit. Und Taxifahrer werden meistens gesucht. Es wurde Zeit für den nächsten Schritt, entschied er, und bog mit dem Rad in Richtung Stadtmitte ein, in welchem das Taxiunternehmen seinen Sitz hatte. Dort angekommen war es eine Sache von 10 Minuten. Ein Knebelvertrag mit Bezahlung nach Bedarfszeiten, aber er dürfe anfangen. Nur darum ging es ihm. Und bis zum Juli würde er den Fahrgastschein noch erworben haben und sich auf der Straße als Taxifahrer verdingen dürfen.
5: Eine Taxifahrt
Es war Dienstag, der 2. Juli. Stefan Schneider hatte schon um Fünf Uhr morgens eine unbeliebte Schicht begonnen, die ihm aber die Garantie gab, zur wichtigen Zeit im Taxi zu sitzen. Er hatte gegen Sieben noch einen Kunden Richtung Flughafen, was ihn schwitzen ließ, aber auch genug Zeit gab, seinen Rückweg künstlich zu verlängern. Mit klopfendem Herzen arbeitete er sich einen Umweg um die verstopfte Innenstadt, um rechtzeitig in Botnang anzukommen. Dort parkte er den Wagen im Auweg und schaute auf die Uhr. Es war 08:20 Uhr. Er hatte keine Ahnung, wann sich Cindy einen Wagen bestellt, und er musste rechtzeitig vor Ort sein. Zur Not müsste er sie abfangen, bevor der eigentliche Wagen kam. Dieses Risiko musste er eingehen. Da kam er auf eine Idee. Er griff zum Funk.
»Wagen 23, Fahrgast von Karlshöhe bis Kräherwald.«, gab er durch. Um nicht aufzufallen musste er noch diesen Preis aus eigener Tasche drauflegen. Aber für die Zentrale war er nun in der Region verfügbar und er würde sich später keine Ausrede einfallen lassen müssen. Er schaltete das Taxometer ein und drehte eine weitläufige Leerfahrt durch Botnang. Ständig war sein Blick dabei auf der Uhr. 08:40 war es mittlerweile. Für etwas mehr Zeit könnte er sich eine Ausrede einfallen lassen, z.B. Hilfe beim Einladen von Einkäufen. Nachdem das Taxometer die nötige Kilometerzahl erreicht hatte, schaltete er es wieder ab und fuhr zurück zum Auweg. Kurz darauf kam eine neue Funkdurchsage:
»Einen Wagen nach Botnang in den Buchenweg 3 für Neun Fünfzehn. Wer kann das machen? 23 oder 12?«
Buchenweg 3. Das war das Haus von Jung! Hastig griff Stefan nach dem Funk, um zuerst zu sein.
»23 hier, muss nur noch kassieren, dann fahr ich direkt rüber.«
Jetzt war er einen großen Schritt weiter. Er hatte zwar noch keine klare Idee, wie Cindy Marnow ihn näher an Jung heranbringen könnte,