Hans-Jürgen Setzer

Der meergrüne Tod


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Sophie grinste frech. Sie frühstückten gemeinsam und dann fuhr sie zum Dienst.

      Leon ließ sich wieder einmal im Großraumbüro des Tageskuriers blicken. Im Internet recherchierte er nach ein paar Anhaltspunkten, wo er auf dem Friedhof Karl Baedekers Grab finden würde.

      „Na, Walters, willst du mich ein letztes Mal an meinem alten Platz besuchen?“, fragte der Kollege vom Sport.

      „Wie meinst du das denn?“ Leon hatte zeitlich ein wenig Luft und wusste bis zum Treffen auf dem Friedhof sowieso nicht so viel mit sich anzufangen. Also spielte er mit.

      „Schau dir mal die Tabelle der Koblenzer Kicker an. Ich rücke jeden Tag ein wenig näher an meinen Fensterplatz dahinten. Dieses Jahr könnte der Platz an der Sonne wirklich endlich mir gehören.“ Der Sportredakteur schaute verträumt in die Luft, als sehe er sich schon dort sitzen.

      „Ich werde dich dann dahinten einmal voller Neid besuchen kommen, versprochen“, sagte Leon. „Falls du mich dann überhaupt noch kennst oder kennen willst.“

      „Klar, Kollege. Vielleicht gibst du mir dafür, quasi als Eintrittskarte, mal ein paar Spalten und Zeilen vom Lokalteil ab, wenn es bei meinen Sensationen mit dem Platz knapp werden sollte.“

      „Träum ruhig weiter. Das kann ich dir nicht versprechen. Der langweilige Sport- und Tabellenteil ist ohnehin viel zu sehr aufgeblasen für meinen Geschmack. Wir reden drüber, wenn du dahinten sitzt, okay?“ Leon reichte die dämliche Konversation langsam wieder.

      „Glaubst wohl nicht dran?“, fragte sein Gegenüber.

      „Doch, doch. Bin nur leider wieder ein wenig im Stress. Du weißt ja, ich muss für meine Artikel hart arbeiten, bis sie dann endlich mal druckreif im Kasten sind. Gleich muss ich zum Beispiel zu einem Ausflug ins Totenreich, um dort etwas über die neuesten Verschwörungstheorien zu erfahren“, sagte Leon mit einem verschmitzten Lächeln.

      „Spinner!“, kam es aus Richtung des Kollegen.

      „So, das glaubst du mir jetzt wohl nicht. Bald kannst du es ja lesen. Mach` s gut Kollege. Ich muss vorher zum Chef hoch.“

      Leon brachte seinen Urlaubsantrag für die Woche Irland zur Chefetage hoch. Gerade als er ihn bei der Chefsekretärin, nach einem kurzen Plausch, abgegeben hatte und wieder auf dem Weg zurück nach unten war, ging die Tür auf und Alexander Paffrath brachte seine Unterschriftsmappe zur Sekretärin zurück.

      „Ah, Walters, lange nicht gesehen. An welchem Fall arbeiten Sie denn eigentlich gerade?“, fragte er. „Lange nichts Größeres mehr von Ihnen gelesen.“

      „Guten Morgen, Herr Paffrath, schön, dass Sie wieder genesen sind. Wie ich hörte, waren Sie erkrankt.“ Leon wollte zunächst einmal guten Wind machen und ein wenig ablenken, um vielleicht mehr Zeit für seine Recherchen herauszuholen. Er wusste, bei Paffrath kamen Fragen nach dem aktuellen Fall nie von ungefähr. Er hatte bestimmt wieder irgendeinen doofen Ritterkreuzauftrag im Ärmel und suchte ein Opfer. Deshalb war es meist besser, ihm nicht allzu oft zu nahe zu kommen.

      „Chef, das ist eine ganz große Sache. Ich recherchiere im weiten Feld: Jugend, ADHS, Pharmabranche, Selbsthilfegruppen. Da könnte ich einer größeren Verschwörung auf der Spur sein. Einige Informanten brachten mich darauf und es kommt immer heißeres Material hinzu. Aber alles muss natürlich sorgfältig recherchiert und nach allen Seiten abgesichert werden. Ich treffe gleich nachher wieder eine vielversprechende Quelle.“

      „So, so, Verschwörung, Pharmaindustrie, was? Verbrennen Sie sich da nicht wieder die Finger? Das hatten wir doch gerade erst. Ich habe gleich einen wichtigen Termin. Später möchte ich zu diesem Thema mal ein paar mehr Informationen haben. Kommen Sie heute kurz vor Dienstschluss hoch und tragen Sie mir vor, was Sie bisher wissen.“ Er verschwand wieder in seinem Zimmer, ohne auf eine Antwort zu warten oder die Ursprungsfrage zu beantworten.

      Die Sekretärin lächelte. Sie liebte die autoritäre Art ihres Chefs, solange er sie an anderen auslebte.

      „Zeitlich wird das alles ziemlich eng. Auf den Friedhof und heute auch noch Berichterstattung beim Alten vor Dienstschluss.“ Leon fühlte sich unter Druck gesetzt, obwohl ja noch nichts passiert war. An solchen Tagen hasste er es, kein Freiberufler geworden zu sein und deutlich zu spüren, wer ihn bezahlte. Er fuhr zum Friedhof, parkte und begab sich erst einmal auf die Suche nach den Überresten von Herrn Baedeker. Dafür gab es leider keinen Baedeker Reiseführer – oder vielleicht doch? Er würde hinterher mal nachsehen. Koblenzer hatten ja nur selten einen Reiseführer von Koblenz in der Tasche. Jetzt hatte er, jedenfalls außer den groben Anhaltspunkten, im Internet keine Hinweise und würde ein wenig suchen müssen. Er war früh genug dran, 14:30 Uhr. Eine halbe Stunde hatte er noch.

      Fummeln alle Hirnforscher?

      Doktor Marie Köhler überlegte, wie sie nun weiter vorgehen könnte. Sie hatte den angesehenen deutschen Hirnforscher, Professor Dinkelsbühl, in die Höhle des Löwen gelockt. Was würde der Löwe nun weiter erwarten. Sie schlenderte durch die Kongresshallen und hielt Ausschau nach Opfern oder Betätigungsfeldern.

      „Sind Sie neu bei Provita?“ Eine Dame in einem Anzug mit Krawatte sprach sie an.

      „Ja, Doktor Marie Köhler. Im Konzern bin ich zwar etwas länger, doch zum Bereich Zentrales Nervensystem bei Provita habe ich gerade erst gewechselt.“ Marie schaute die Dame erstaunt an und versuchte zu erfassen, mit wem sie es zu tun hatte.

      „Entschuldigen Sie, ich vergaß, mich vorzustellen. Doktor Janine Metz. Vor einigen Jahren war ich auch einmal in Ihrer Rolle. Musste dann aber raus, ging zum Onlineportal ‚Mednews’ und bin dort zuständig für die Fachzeitschriften der Psycho-Fächer.“

      „Klingt interessant, Ihre neue Tätigkeit.“ Marie beschäftigte viel mehr die Frage, warum sie gehen musste. Fragen empfand sie als indiskret.

      „Es geht so. Forschung reizt mich eigentlich viel mehr als Journalismus und Verwaltung.“ Sie schaute ein wenig traurig.

      „Und warum haben Sie dann gewechselt?“, fragte Marie. Nach dieser Vorlage glaubte sie, sich trauen zu dürfen.

      „Als Frau bei Provita und in der Abteilung ist es nicht immer ganz so einfach. Vor allem, wenn die Frau sich selbst nicht als Freiwild zum Abschuss freigibt.“ Sie zog Marie etwas näher heran und wurde dabei in der Stimme leiser. „Wollen wir zusammen auf einen Kaffee in die Cafeteria? Die Wände hier haben manchmal Ohren.“

      Marie schaute völlig verunsichert, nickte jedoch: „Klar, gern.“

      „Dann kommen Sie. Wollen wir nicht ‚du’ sagen? Ich bin Janine.“ Sie reichte ihre Hand.

      Marie schlug ein. „Marie.“

      Sie holten sich einen Cappuccino und setzten sich in eine freie Ecke.

      „Das klingt ja alles nicht gerade ermunternd“, sagte Marie und rührte in ihrer Tasse.

      „Pass bloß gut auf dich auf. Dieser Meggle kann seine Finger nicht bei sich lassen.“ Janine schaute ernst und nahm einen Schluck Cappuccino.

      „Das ist mir bereits aufgefallen. Von der ersten Minute an tätschelte er ständig an mir herum.“

      „Meine Kollegin Lea hat es ganz mies erwischt. Auf einer der üblichen Wir-haben-es-geschafft-Touren hat Meggle sie in seinem Hotelzimmer vergewaltigt.“

      „Das gibt es doch nicht.“ Marie schlug die Hand vor den Mund.

      „Leider doch. Sie wurde hinterher unter Druck gesetzt, nachdem er sie nicht kaufen konnte. Dabei bekam sie solche Angst, dass sie den Mistkerl nicht angezeigt hatte.“

      Marie war sprachlos und konnte nichts dazu sagen.

      „Wir hatten doch alle getrunken, wir wollten es alle, hieß es dann. Mir hat sie allerdings die ganze Geschichte erzählt. Meggle hat offensichtlich sehr außergewöhnliche sexuelle Vorlieben. Der Grad zwischen gewollter und ungewollter Fesselung ist schmal, sehr schmal, wenn du verstehst …“

      Marie wurde kreidebleich