Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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dem vor allem Georgie Fames Hammondorgel und die pieksende Akustikgitarre des furiosen Arty McGlynn musikalische Farbe verleihen. Wären da nur nicht diese Sonntagsschulentexte, die plagen bis zum letzten Song. I wonder why, Van.

      Violent Femmes

      „3” (1989)

      Die Popmusik der 80er wird in die Geschichte eingehen als bloßes Konglomerat früherer Epochen. Wohin man auch hört, in jedem Riff dieser Dekade klingt ein Vorbild nach. Kein Wunder, dass Coverversionen Konjunktur haben, nicht erst seit Mare Almonds Anschlag auf Gene Pitney. Da lobe ich mir doch Nick Caves Methode, die alten Songs sorgsam zu zertrümmern, um ihre Substanz – und damit ihre Relevanz für die 80er – zu erkunden. Die Violent Femmes covern keinen; doch auch sie haben Vorbilder und leugnen sie nicht. Sänger und Texter Gordon Gano klingt manchmal wie ein domestizierter Johnny Rotten, und Bassmann Brian Ritchie hat viel von den Stray Cats gelernt. Sein energisches, treibendes Spiel prägt Tempo und Verve der meisten Songs weit mehr als Victor de Lorenzos zurückhaltende Trommelarbeit. Des Trios neues Album heißt „3“, ist indes bereits das vierte; nicht der einzige Widerspruch auf einer Platte, die zweifellos die alten Fans wenn nicht vergraulen, so doch irritieren wird. Denn ganz gezähmt kommen die drei aus Boston plötzlich daher. So melodiös sind sie geworden, dass gleich das Eröffnungsstück „Nightmares“ geradezu Ohrwurmqualitäten hat. Jener verzweifelte Gestus, der sich noch auf „Hallowed Ground“ in energischen Dissonanzen Luft verschaffte, hat sich aufgelöst in sanfte Harmonien. Nur „Fool in the full Moon“ wartet noch auf mit wilden elektrischen Gitarreneinsprengseln. Ansonsten besinnt man sich auf die akustischen Wurzeln des Rock. So kann das hyperschnelle „Telephone book“ gewisse Bluegrassanleihen so wenig verhehlen wie „Lies“ seinen Skiffleeinfluss. Die Violent Femmes spielen nun Folk mit dem Punk nur noch im Hinterkopf: aufregend und eklektisch, mal wütend, mal depressiv, doch gemäßigter als je – selbst bei der Artikulation von Weltschmerz. „There’s nothing worth living for“, heult Gordon Gano mit herzzerreißend brüchiger Stimme, doch der schier allumfassende Geltungsanspruch dieser Zeile wird sogleich relativiert, wenn er nach wohldosierter Pause ein Wörtchen nachschiebt: „ … tonight“. Natürlich: Die Texte betreiben allesamt Nabelschau, sind selbstmitleidig und egoistisch („I hope you got fat/cause if you got really fat/you just might want to see me come back“), doch der sparsam instrumentierte, nur sporadisch von Gastmusikern unterstützte Garagenfolk macht alles wieder wett. „Zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass: Das ist das Wahre“, sagt Lou Reed. Die Violent Femmes verwenden noch eine Gitarre weniger.

      1990

      „Am Prater kann man den Sekt schon mal kaltstellen: Nach dieser Platte reicht es für uns wohl nur zum Viertelfinale. Arrividerci Roma.“

      aus der Rezension zu „Sempre Roma“ von Udo Jürgens und der Deutschen Fußballnationamannschaft

      Frumpy

      „Now” (1990)

      Frumpy haben schon 20 Jahre auf dem Buckel und sind jetzt far away from the blues. „Now“ nennt sich bündig die Comebackscheibe der ausgezeichneten Band um die Ausnahmesängerin Inga Rumpf, deren Stimme einiges an Rauheit eingebüßt hat. Gleichwohl etabliert sie sich hier als deutsche Antwort auf Tina Turner; gut zu hören im Song „When I fall in Love“: Zu melodiösem Rock mit Funkeinschlag und manchmal angeschrägten aggressiven Bläsersätzen singt Inga der Hippieära entlehnte (englische) Texte von heilen Welten, vom Happysein together und dass wir alle doch bitteschön uns lieben und vertragen sollen. Soviel Positives will unterstützt sein: mit einer beiliegenden Bestellkarte können Frumpy-T-Shirts, Frumpy-Schals, Frumpy-Feuerzeuge und vieles mehr geordert werden. Lieferung nur gegen Vorkasse.

      Joe Cocker

      „Joe Cocker live” (1990)

      Dem Typen kann man nichts übelnehmen, selbst den -zigsten Aufguss des Altbewährten nicht. Weswegen? Weil er einerseits ein Rockurgestein ist und außerdem, wenn er wild fuchtelt mit den Gliedern beim zähen Kampf um kathartische Schreie, zugleich auch verletzlich und schutzbedürftig. Das rückseitige Coverfoto seiner aktuellen Doppel-LP „Joe Cocker live“, wo die eingefrorene Geste mehr an Dirigentenposen denn an Cocker-typische Bühnenspasmen gemahnt, entschädigt deshalb kaum für den leibhaftigen Anblick on stage. Die Musik, so professionell und makellos sie ist (oder genau deswegen), erst recht nicht. Cocker, das Woodstock-Fossil, hat seit 20 Jahren seinen Gesangsstil nicht verändert. Und warum auch? Schließlich ist er hart erkauft. Jahrelang hat er sich, für 15 Mark am Abend, in miesen Kaschemmen die Seele aus dem Leib geschrien und das entstandene Vakuum mit Bier wieder aufgefüllt – fünf Liter pro Nacht. So was hält vor. Doch was die Stimme an rohem Blues noch immer hergibt, glätten heute die Arrangements. Im seelenlosen Allerweltssound aus Keyboards, Drums, perfekt gesetzten Bläsern und Backgroundchören ist Cockers Röhre wie in ein Korsett gezwängt. Nur selten wühlt sie sich hervor aus dem kalkulierten, wie am Reißbrett entworfenen Klangraum – im unvermeidlichen „With a little help from my Friends“ etwa, das von jeher die eine atemlose Sekunde bereithält, in der die Musik stoppt und nur dieser markerschütternd heisere und hysterische Schrei zu hören ist. Doch der ist seit Woodstock der gleiche. Ein neuerliches Livealbum des Shouters aus Sheffield ist darum nicht unbedingt das, was die Rockwelt nötig braucht. Und wenn schon Cocker live als Konserve, dann lieber „Mad Dogs and Englishmen", eingespielt schon 1970.

      Kate Bush

      „The Sensual World” (1990)

      An ihr sind die Jahre, musikalisch gesehen, weitgehend spurlos vorübergegangen. Kate Bush steht auch mit „The Sensual World“ noch immer in der Tradition jener Stilrichtung, die in den späten 60ern etabliert und später von Gruppen wie Genesis oder Renaissance fortgeführt worden war: dem Klassikrock, der sein Ideal im komplexen Aufbau sinfonischer Werke sah. Es passt ins Bild, dass die englische Sängerin von Pink Floyd entdeckt und protegiert wurde – und dass ausgerechnet Ex-Genesis·Chef Peter Gabriel sie für die Single „Don’t give up“ zum Duett nötigte. Ihre eigene Musik blieb stets solchen Vorbildern verhaftet, und einer zwischenzeitlichen vokalen Experimentierlust schwor Kate bald wieder ab. Heute verlässt sie sich, wie in den Tagen ihres raschen Aufstiegs anno 78, erneut völlig aufs Rezept orchestraler Breite und fast Wagner’scher Opulenz. Zugeständnisse an den Zeitgeist fehlen dennoch nicht. Die Zutat des bulgarischen Chors Trio Bulgarka huldigt der Geschmacksrichtung Ethnopop ebenso wie die exotisch-würzigen Einsätze je eines Flötenvirtuosen (Davey Spillane) und keltischen Harfenisten (Alan Stivell). Mut gehört heute gar nicht mehr dazu, solche Folkheroen mit einem Gitarrero wie David Gilmour in einen Topf zu werfen; dazu darf Eberhard Weber noch eine Prise Jazzbass beisteuern, und Peter Greenaways Filmkomponist Michael Nyman arrangiert das Violinquartett: viele Köche … In dieser gewaltigen eklektischen Soundsoße, die der legendäre Bombastproduzent Phil Spector gewiss mit Freude goutiert, verlöre sich Kate Bushs vor allem in hohen Lagen ungewöhnliche Stimme schnell, hätte sie sie in Backgroundvocals und Duetten mit sich selbst nicht verdoppelt und verdreifacht. Dergestalt singt sie von der „sinnlichen Welt“, konterkariert den Titelsong traurig und ironisch mit der Geschichte einer Frau, die vor lauter Einsamkeit und Frust beim verständnisvollen Computer Trost sucht („Deeper Understanding“), oder gesellt sich im Geschlechterkampf den Männern zur Seite („This Woman’s Work“). Leider sind ihr dazu kaum originelle Melodien eingefallen. Kein Refrain bleibt haften, nichts prägt sich ein. Man gewinnt den Eindruck, überbordende Arragements und sinfonische Klangtiefe sollten die bloß mittelmäßige Qualität der Songs übertünchen. Vielleicht ist dies der Grund für das seltsame Gefühl, das sich nach durchgängigem Hören der Platte beim Gourmet einstellt: zu viel und zu fett gegessen zu haben, ohne satt geworden zu sein.

      Klaus Doldinger’s Passport

      „Balance of Happiness” (1990)

      Klaus Doldinger versucht sich mit seiner Band Passport in den letzten Jahren erfolgreich an Filmmusik. Und auch sein neues Werk „Balance of Happiness“ scheint – obzwar kein Soundtrack –