Matthias Wagner

3000 Plattenkritiken


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an der Himmelfahrt gehindert. Nur wenn das Korrektiv fehlt, planschen sie sofort in seichter Brühe – wie der Song „Girl who fell to Earth“ schmerzlich beweist.

      Tab Two

      „… zzzipp!” (2000)

      Joo Krauss’ endlos gehaltener Trompetenton auf „Get rid“ ist live im Wortsinn atemberaubend, aber auf dem Livealbum dann doch kein Faszinosum. Eine der wenigen Schwächen der Doppel-CD „… zzzipp!“ von Tab Two, die gut widerspiegelt, wie der bisweilen kühle Studiosound von Hellmut Hattler (b) und Krauss (tr, synth) auf der Bühne schwer ins Brodeln gerät. Der geschulte, über mehr als zwei Dekaden frisch gebliebene Bassgroove Hattlers und die jungenhafte Verve von Krauss, der rappt und an Keyboardknöpfen dreht wie ein aufgedrehter Kobold, versorgen diesen Hipjazz unablässig mit Energie. Absolut partytauglich.

      Terry Lee Hale

      „The blue Room” (2000)

      Er kommt aus Seattle und hat die Welt gesehen, jede Bühne schon betreten, keine Kaschemme ausgelassen, in jeder Besetzung gespielt – aber sich auf seinen Alben bisher noch nie beschränkt auf sich selber. Erst hier, auf „The blue Room“, wagt Hale die totale Reduktion: nur er plus Gitarre, sonst nichts. Natürlich noch seine Texte, seine Melodien. Intimer geht es kaum als hier im blauen Raum, wenn der Songwriter einer verlorenen Liebe nachtrauert, dann merkt, wie ihn die Trennung abgehärtet hat („ … bullet proof from lies …“) und am Ende singt: „Ok, ich vergesse diese Sache/und dich.“ Musik zur Gitarre, die kaum mehr als drei Griffe braucht, um tausend Gefühlen auf den Grund zu gehen.

      The Bates

      „2nd Skin” (2000)

      Die Bates neigen stets zur Klarheit. Ihre Alben heißen „Punk!“, „Right here, right now“ oder eben „2nd Skin“. What you read is what you get: diesmal eben Coverversionen. Unantastbares wie „Nights in white Satin“ und „Helter Skelter“ also in den Händen hessischer Punks? Doch keine Angst: Die Bates haben Respekt; sie lieben diese Songs. Sie veranstalten damit kein Pogogrillfest, sondern überführen sie respektvoll, aber hochenergetisch in ein anderes Idiom. Das meiste Unantastbare ist ja auch wegen Übersättigung unanhörbar geworden. Dieser Zugriff macht Songs wieder verfügbar, die längst zum Popkanon gehören – neuer Spaß mit ollen Kamellen. Sitzt den Bates gut, diese zweite Haut. Und den Songs auch.

      The Brian Setzer Orchestra

      „Vavoom” (2000)

      Seit Jahren strebt Brian Setzer nach der perfekten Symbiose aus Glenn Miller, Elvis und George Thorogood – jetzt hat er sie. Mit seinem fulminanten Orchester packt der Bandleader und Supergitarrist die Jugend von heute an den Hüften, wirbelt sie herum mit seinem Big-Band-Swingabilly, bis nicht nur auf der Bühne der Schweiß ausbricht. Seine Musik – zumeist Klassiker wie „In the Mood“ oder „Mack the Knife“ – ist so alt wie die Popgeschichte und so jung wie ein Sound sein muss, der auch Millenniumsteenagern in die Glieder fahren will. Gut, der große Swinghype ist vorbei. Aber dieses Flair, diese Power, diese machtvolle Lebenslust jenseits der Masche: All das wird immer bleiben.

      The Corrs

      „In Blue” (2000)

      Den Corrs kann niemand böse sein. Dazu sind sie zu hübsch (ja: sogar das Brüderchen), dazu juchzen sie zu entzückend Verse wie „Leave me breathless“, und dazu ist ihr Folkpop zu harmlos und sonnig. Diesmal sprudeln ihre Songs schier über vor Freude am reinen Pop. Der irische Anteil ging weiter zurück, stattdessen zirpt im Hintergrund die Elektronik. Manchmal klingen die Corrs gar so allgemeingültig wie Abba zu ihren besten Zeiten oder wie Fleetwood Mac aus der „Rumours“-Ära. Ein irisches Quartett auf dem Weg zum Megapop? Kann gut sein. Und hübscher als alle Abbas sind sie sowieso. Sogar das Brüderchen-

      The Delgados

      „The great Eastern” (2000)

      Elf Zeilen lang werden im Booklet alle Instrumente auf die Musiker verteilt; es sind mehr als Mike Oldfield einst für „Tubular Bells“ ge- und verbraucht hat (übrigens sind hier ebenfalls Tubular Bells dabei). Die Delgados sind halt in Glasgow zu Hause und nicht in Sparta – was nicht heißen soll, dass sie instrumentales l’art pour l’art betreiben. Doch um einen wallenden fliegenden Teppich zu weben, braucht es viele Fäden, viele Farben – so viele, dass ein Genre einem kaum noch einfallen will. Das hier ist „Musik“, so vielfältig, wie sie nur sein kann, wenn man Bläser, Streicher, Tasten, Saiten und Samples einem ästhetischen Willen unterwirft, der wenig mit Pop, aber viel mit Kunst und Sinnlichkeit zu tun hat. „The great Eastern“ wälzt sich dahin in schillernder Pracht. Die Wiedergeburt des Artpop.

      The Handsome Family

      „In the Air” (2000)

      Zwar hat die Alt.Country-Band um das Ehepaar Brett und Rennie Sparks dieses Album am heimischen Macintosh G3 aufgenommen, versucht ansonsten aber, Nashville mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Wir hören gefiedelte, gezupfte Walzer, wir hören Johnny-Cash-Bässe – doch der äußere Schein trügt. In den Songs geht es nicht um Truckertragik oder die Schönheit des Westens, sondern um die Angst, Brücken zu überqueren, und um junge Männer, die Einflüsterungen des Meeres nachgeben und sich ertränken. 16 Horsepower, aber mit den Mitteln des Tages, nicht der Nacht. Dennoch wünscht man sich, auch vokal und instrumental läge Nashville manchmal ferner. Der Stringsynthesizer auf „A beautiful Thing“ etwa ist grässlich, und die Harmonika auf „So much Wine“ trieft vor Klischees. Übrig bleiben werden immerhin poetische Verse wie diese: „Wann immer Paul an Regen denkt/umwehen sanfte Winde seinen Kopf/und sein Telefon klingelt in der Nacht/nur ein einziges Mal.“

      The Kingsbury Manx

      „The Kingsbury Manx” (2000)

      Als David Gilmour seine ersten Songs für Pink Floyd sang, war er so schüchtern, dass genau dies den Liedern Charme verlieh. Genauso ist es mit Kenneth Stephenson. Er singt kaum, er haucht. Gut, dass die Musik ihn nicht drängt, sondern immens ruhig dahintreibt. Das Quartett aus North Carolina orientiert sich mit seinem orgelgetragenen Slo-Mo-Rock vor allem an britischer Mitt-60er-Psychedelia; manchmal, wenn die unverzerrte E-Gitarre trocken und kurz verhallen darf, fühlen wir uns an die frühen Velvet Underground erinnert. Und Songs haben sie, dafür würde Syd Barrett glatt die Gummizelle verlassen. Ein bisweilen großes Album für Spinner und Elegiker, für zarte Pflänzchen und Leute mit Flausen im Kopf. Und für solche, die stolz sind auf ihren niedrigen Blutdruck; für Schildkrötenexistenzen.

      The Little Rabbits

      „Yeah!” (2000)

      Ist es Zufall oder Strategie? Die Alben der Little Rabbits erscheinen immer nur in geraden Jahren, und wenn sie innerhalb von 24 Monaten kein neues fertig haben, wird konsequenterweise eben vier Jahre gewartet. Wie diesmal. Dafür gibt es gleich ein doppeltes: Auf CD zwei mischten Remixer acht der 14 Songs von CD 1 neu ab. Faithless haben unlängst für so etwas noch ein halbes Jahr ins Land ziehen lassen. Vielleicht erscheint ja bald ein Remix vorm Original, aber was ist dann Original und was Kopie …? Neue Zeiten, neue Fragen. Ihr Bigbeatrock-Chanson-Gesampel jedenfalls ist bisweilen höchst unterhaltsam mit seinen eingestreuten Filmdialogen, manchmal aber auch nervtötend in seiner Ziellosigkeit. Das einzig Klare, Bestimmte, Definitive an diesem Album ist sein Titel.

      The Mighty Bop

      „Spin my Hits” (2000)

      Kühl und gelassen schleichen die Franzosen durch die Clubs, scratchen hier ein wenig, rappen da ein paar Zeilen Richtung Barkeeper, lassen Orgeln und Barjazzbläser von einem besseren Gestern erzählen und träge Beats vom Leben im mittleren Tempo. Vielschichtigkeit ist diesem gallischen Lounge nicht abzusprechen, das Packende, die einmalige Hookline