Kaiser fragen. Immerhin studiert Vanessa ja auch Geschichte“, dachte Elodie und scrollte sich durch den Text.
Christina von Schweden (1626 bis 1689), von der hatte Vanessa schon einmal erzählt mit dem Vermerk, dass diese ziemlich durchgeknallt gewesen sein soll, auf ihre Krone gepfiffen hätte und in einer Art Künstlerkolonie in Rom gelebt hätte. Spannend dachte Elodie, aber nicht die, die ich suche.
Die nächste, Queen Anne von England (1675 bis 1714), fand Elodie ziemlich langweilig, sodass sie fast schon geneigt war, den Laptop zu schließen und die Sache auf sich beruhen zu lassen, als ihr Blick über Marie Antoinette (1755 bis 1793), die sie sehr hübsch fand nach unten glitt und es war Elodie als würde sie sich selbst ansehen.
Isabella von Parma, Prinzessin von Bourbon – Parma (1741 bis 1763) stand unter der kleinen Miniaturansicht, die aussah wie Elodie selber nur im Gewand des 18 Jahrhunderts und mit einer silbernen Perücke über ihrem dunklen langen Haar. „Du siehst aus wie ich“, flüsterte Elodie, während sie las, was Lina Kaiser über jene Isabella geschrieben hatte.
„Warum hast du diesen dämlichen Joseph geheiratet, wenn du doch Marie geliebt hast?° Marie Christine, seine Schwester. Warum, ich weiß warum, aber ich versteh es nicht“, sagte Elodie mit schniefender Nase und tränenden Augen. Marie Christine, irgendetwas an dieser Marie kam ihr vertraut vor, fast bekannt.
Ihr Handy fiepte erneut.
Zwei Nachrichten
Viktor. Ein Selfie aus Chicago mit einem Herz Emoji und einem ich vermisse dich.
Maman, die sie an Sonntag und den Brunch erinnerte. Im Anhang ein Link „historische Hochzeitskleider“.
Elodie wollte das Handy schon beiseite legen, als es ein drittes Mal fiepte. Vanessa.
„Neues von Greta, kommt nächste Woche zurück. Will mit uns ihr Diplom feiern. Lokation folgt.“
Greta, dachte Elodie wütend und knüllte ihr Kissen. Ich will nicht, dass Greta zurück kommt. Ich will das nicht, ich will….
Achtlos glitten das Handy und der Laptop nach unten neben das Sofa und Elodie kuschelte sich leise weinend in ihre Lieblingsdecke.
Elodie saß auf ihrem Sofa. Es war kurz vor Mitternacht und sie wusste nicht, ob sie wachte oder träumte. Ihr war, als ob sie jemand beobachtete. Dunkle Augen, ein ovales Gesicht, ihr eigenes Gesicht.
„Wer bist du?“, fragte sie leise, obwohl sie die Antwort kannte.
„Ich bin Isabella“, sagte die junge Frau in ihrem wunderschönen silbernen Prokatkleid. „Ich bin aber auch du und ich erzähle dir jetzt meine Geschichte, deine Geschichte, unsere Geschichte. Aber ich warne dich, sie wird dir nicht gefallen, gar nicht gefallen, also sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
Elodie fielen die Augen zu vor lauter Erschöpfung.
Kapitel 2
Parma, 08. Juni 1760
Ich bin Isabella, eigentlich nur Isabella. Meinen vollständigen Namen kann sich kein Mensch merken, denn vollständig heiße ich Isabella Maria Luisa Antonietta Ferdinanda Giuseppina Saveria Dominica Giovanna von Bourbon-Parma.
Für meine Mama bin ich einfach nur Isabella, oder ihr Himmelsmädchen. So hat sie mich immer genannt, wenn wir alleine waren. Sie war meine liebste Freundin auf dieser Welt, meine allerliebste Freundin. Sie war gerade einmal vierzehn Jahre alt gewesen, als sie mich am 31. Dezember 1741 im Palast Buen Retiro in Madrid als ihr erstes Kind zur Welt brachte. Mit 12 Jahren war sie als älteste der Töchter Ludwig XV und dessen Lieblingstochter an den spanischen Hof gezogen, weil sie mit meinem Papa verheiratet worden war. Mein Vater ist nämlich der spanische Infant Philipp, der später Herzog von Bourbon Parma wurde. Weswegen ich als spanische Prinzessin jetzt auch in Parma lebe und Italien als meine Heimat ansehen darf.
Nicht einmal meine Mama, die im Himmel auf mich wartet, darf wissen, dass ich jetzt mitten in der Nacht auf dem Balkon meines Zimmers auf dem Fußboden sitze und mir die Sterne ansehe.
Ein Himmelskind bin ich, sagt Mama immer, aber das ist nicht gut, denn Himmelskinder sind unglücklich und man darf sie nicht einsperren, man darf sie niemals einsperren. Niemals. Und ich werde mein Lebtag eingesperrt bleiben. In meinem Kindheitsschloss in Madrid, in dem ich vor bald neunzehn Jahren geboren wurde. In dem Schloss meiner Mama in Versailles, obwohl mich dort alle von Herzen lieb haben, vor allen mein Großvater König Ludwig XV von Frankreich, dessen Lieblingsenkelin ich bin. Hier in Parma und auch in Wien, an dessen Hof ich heiraten soll. In allen Schlössern und Burgen dieser Welt werde ich eine Gefangene sein.
Immer.
Mein ganzes Leben lang.
Gottseidank wird es ein kurzes Leben sein.
Gottseidank.
Auch hier in Parma und in Wien werden sie keine Rücksicht darauf nehmen, dass ich ein Himmelskind bin und man Himmelskinder nicht einsperren darf. Ich werde von Mauern und Zwängen umgeben sein und meinem zukünftigen Mann eine treue Ehefrau und eine Mutter seiner Kinder sein müssen. Und ich werde unglücklich sein, todunglücklich. So unglücklich wie meine Mama ihr ganzes Leben war mit meinem Papa, den sie nie geliebt hat, obwohl er ein gutaussehender Mann ist, und wie meine Großmama in Frankreich. Mein Großpapa war nämlich nicht gerade tugendhaft und sein Schloss in Versailles ein zutiefst unmoralischer Ort. Was musste meine arme Großmama leiden an seiner Seite, dahingewelkt neben Madame de Pompadour, der Lieblingsmätresse meines Großvaters. Ähnlich wie ich ist meine Großmama sehr fromm und ich hab sie von Herzen lieb. Wahrscheinlich habe ich von meiner Mama und meiner Großmama den Hang zur Schwermut geerbt und dass ich mich oft danach sehne zu sterben. Das ist sicher nicht normal für ein so junges Mädchen wie mich. Gar nicht normal und ich sorge mich deswegen sehr. Ich habe Angst, schwermütig zu werden, depressiv oder verrückt. Zu versagen auf ganzer Linie als Ehefrau von Joseph, dem Sohn von Maria Theresia von Österreich, den ich demnächst heiraten werde, heiraten muss. Zu versagen dabei, seine Kinder, die Thronerben auf die Welt zu bringen. Am liebsten würde ich ins Kloster gehen, aber da ist mein Vater sehr dagegen. Mein Platz ist an der Seite eines zukünftigen Kaisers und nicht als Äbtissin, was ich bevorzugen würde.
Den Himmel sehend und die funkelnden Sterne betrachtend, greife ich zu meiner Violine, die die ganze Zeit still neben mir gelegen und mir Gesellschaft geleistet hat und fange leise an zu spielen. Die Musik trägt mich in Gedanken in eine andere Welt.
In eine ganz andere Welt. In eine Welt, in der ich einfach Isabella sein darf, nächtens auf dem Balkon Violine spielend, den Himmel ansehend, die Sterne zählend. Eine Isabella, die keinen Mann heiraten muss, den sie kaum kennt und nicht liebt. Eine Isabella, die gar nicht heiraten muss. Eine Isabella, die an der Universität Literatur und Philosophie studieren kann oder Musik oder Malerei oder gar Mathematik, was mich sehr interessiert. Obwohl dies ist utopisch. Wir schreiben nun einmal das Jahr 1760 und Frauen dürfen nicht studieren, aber der Träumerin in mir sind solche Grenzen gleichgültig. Ich würde gerne auf ein Leben mit Krone verzichten wie Christina von Schweden es getan hat. Es heißt, dass sie das aus Liebe zu ihrer Hofdame Ebba Sparre getan hat, was viele Menschen widernatürlich finden, ich aber sehr anziehend, überaus anziehend. Christina hat sich also geweigert eine arrangierte Ehe einzugehen, auf den Thron verzichtet, ihrem Heimatland Schweden den Rücken gekehrt und sich in Rom ganz der Kunst gewidmet, aber diesen Mut habe ich leider nicht. Ich bin keine Christina von Schweden, ich bin Isabella von Parma und Isabella von Parma hat diesen Mut nicht. Leider, denn ich bewundere Christina von Schweden, ich bewundere sie und beneide sie, was meine Beichtväter auch über sie erzählen mögen.
Ich blicke zum Himmel hoch zu meiner Mama und frage mich, ob sie weiß, wie