dem ›Secret Intelligence Service‹, der den meisten besser als ›MI6‹, ›Military Intelligence, Section 6‹ bekannt war. Seine Aufgabe war es gewesen, nach gängiger Geheimdienstmanier Vertrauensleute in Firmen, gesellschaftlichen Gruppen, politischen Vereinigungen anzuwerben, die durch politische Unterwanderung und durch mafiaähnliche Strukturen gefährdet waren.
Verärgert durch das ständige Aneinandervorbeiarbeiten der großen Organisationen ›SIS‹, ›Defence Intelligence Staff‹, ›MI5‹ und Justizministerium, hatten sich politische Freunde im Parlament in einem Geheimausschuss für die Schaffung einer Art Superjobs durchgesetzt. Er sollte in speziellen Fällen die Aktionen der britischen Geheimdienste und Spezialeinheiten koordinieren. In seinem Büro, verborgen hinter einer Tür, hinter die nur die wenigstens einen Blick werfen durften, liefen alle wichtigen Fäden zusammen. Auch heute hatte er ein persönliches Treffen in die Öffentlichkeit verlegt.
Einige Tauben flogen auf, als Clairé Beauvais, die ungemein attraktive Frau, mit den französisch-russischen Wurzeln, die Bank erreichte, auf der Edwards sie erwartete. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte blau-schwarzes Haar, Kohleaugen und besaß ideale weibliche Proportionen. Heute trug sie ein Kostüm in ›Winsor-Blue‹ mit weißen Kragen und Manschetten. Wie immer war ihr Lächeln freundlich und gewinnend. »Ein herrlicher Tag heute, Sir, nicht wahr?«, grüßte sie den geheimnisvollen dicken Mann, der für ihren einträglichen Nebenjob verantwortlich war, und setzte sich neben ihn. Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als er der Idee verfallen war, sie, das Luxus-Callgirl für den Geheimdienst zu akquirieren, um so eine gute Plattform für wichtige Operationen und vor allem eine ausgezeichnete, gut florierende Informationsquelle aus dem Bett und darüber hinaus zu haben. Dennoch war sie nach wie vor eine freie Mitarbeiterin geblieben. Sie sah in ›Fatso‹, wie sie ihn für sich gern nannte, nicht ihren Boss, sondern nur einen Auftraggeber.
›Fatso‹ nickte und warf den Tauben wieder Körner zu, die sie gierig aufpickten.
»Nur gut, dass Sie nicht an einer Columbidaephobie leiden«, schmunzelte Clairé.
»Die da wäre?«
»Angst vor Tauben«, kam die lachende Antwort.
»Nun, die habe ich in der Tat nicht«, erwiderte Edwards lächelnd und fragte, ohne seine faszinierende Nachbarin, die er persönlich für seine beste Agentin hielt, anzusehen: »Wie geht es Ihnen, Miss Beauvais? Sie scheinen guter Laune zu sein.«
»Danke der Nachfrage. Ich kann in der Tat nicht klagen. Aber wie steht es mit Ihnen? Sie haben mich ja nicht zum gemeinsamen Taubenfüttern herbestellt, nicht wahr?«
»Womit sie recht haben. Und zur ersten Frage: schlecht«, seufzte Edwards, einmal tief durchatmend. »Wie sollte es mir auch sonst schon gehen?«
»Klingt als hätten Sie Kummer, Sir?«
»Sieht man es mir so deutlich an?« Er bemühte sich um ein Lächeln, das ihm aber nicht wirklich gelingen wollte.
»Wenn man Sie so gut kennt wie ich: … Ja.«
»Sagt Ihnen der Name Min-Ho Choung etwas, Miss Beauvais?«
»Er arbeitet für die nordkoreanische Geheimpolizei, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Stimmt's?«
»Für das ›Büro 35‹, das direkt dem ›OGD‹ unterstellt ist … Richtig.«
»Warum fragen Sie mich nach dem Mann?« Clairé schaute ihn aus den Augenwinkeln neugierig an.
»Wissen Sie auch, welchen Job dieser Choung im Namen seines geliebten großen Führers Kim Jong-Un ausführt?«
»Soweit ich weiß, tötet er im Staatsauftrag.«
Leonard Edwards leckte sich über die Lippen. »Ja, Miss Beauvais. Genau das ist seine Aufgabe, und er führt sie mit der Präzision einer Maschine aus. Der Kerl ist eiskalt und das Schlimmste, was das ›Büro 35‹ augenblicklich aufzubieten hat. Sie setzen ihn immer dann ein, wenn sie absolut sicher sein wollen, dass es keine Panne geben soll. Min-Ho Choung zu begegnen, … ich meine, wenn man auf seiner Liste steht, … heißt für den Betroffenen nichts anderes, als dass sein Leben damit beendet ist. Es hatte bisher noch keiner eine Chance gegen ihn. Zumindest ist mir kein Fall zu Ohren gekommen … Und wenn ich behaupte, dass er bereits über sechzig Menschen aus dem Leben befördert hat, nenne ich absichtlich die untere Grenze. Da ihm bislang niemals konkret etwas nachzuweisen war, dürfte die Zahl seiner tatsächlichen Opfer durchaus sehr viel höher liegen.«
Clairé legte den Kopf schief. »Weshalb erzählen Sie mir so viel über diesen Mann, Mr. Edwards?«
»Wir haben einen Tipp erhalten, Clairé .... Choung soll nach England kommen und einige der Partei unliebsame Personen eliminieren. Wir wissen nicht, wann das sein wird, und wir haben auch keinen blassen Schimmer, wen es treffen soll. Möglicherweise ist er bereits sogar schon im Land. Und wer vermag es zu sagen: Vielleicht erfüllt er gerade in diesem Moment seinen ersten Auftrag.«
Unwillkürlich hielt Clairé die Luft an. Gespannt wartete sie darauf, dass Edwards weitersprach, denn das dicke Ende kam bestimmt noch. Dafür kannte sie ihn viel zu gut. Er hatte sie definitiv nicht hier herbestellt, bloß um ihr sein schweres Herz auszuschütten. Der Boss wollte etwas von ihr. Aber sie drang nicht in ihn, sondern wartete darauf, dass er von selbst damit herausrückte.
»Wir haben alle Sicherungen eingeschaltet«, erzählte ›Fatso‹ und schnaubte kurz. »Leute, die auf unserer Liste stehen und irgendwie den Geruch an sich haben, mit Kim Jong-Uns Geheimdienst in Verbindung zu stehen, werden von uns überwacht. Unsere IT-Spezialisten haben ihre Telefone und Internetzugänge angezapft. Infrarotkameras sind eingesetzt, Richtmikrofone belauschen verdächtige Personen … Aber das gehört alles zur starren Routine. Damit haben Sie nichts zu tun, Miss Beauvais. Das heißt aber nun nicht, dass Sie arbeitslos werden … Ganz im Gegenteil. Ich beabsichtige, die Hauptlast des Unternehmens auf Ihre zarten Schultern zu legen. Denken Sie, dass Sie mir darunter nicht zusammenbrechen werden?«
»Ich bin stark wie ein Pferd«, entgegnete Clairé lächelnd, gefolgt von einem ernsten: »Wer den Frieden stört, der mache sich auf den Krieg gefasst.«
»Machiavelli. Sie erstaunen mich immer wieder.«
»Nun sagen Sie schon: Was soll ich tun?«
»Hören Sie zu, Miss Beauvais. Sie sind mein größter Trumpf in diesem gefährlichen Hasardspiel. Wenn Sie versagen, werden vermutlich ein paar Menschen sterben, und zwar von Choungs Hand.«
»Selbst ich bin gegen Rückschläge nicht gefeit, Sir«, gab Clairé zu bedenken.
»Ich weiß, dass Sie nicht zaubern können. Aber Ihre geistigen und beruflichen Qualitäten lassen mich doch berechtigt hoffen, dass wir diesen gemeinen Killer abfangen können, ehe er dazu kommt, seinen Auftrag auszuführen.«
»Haben Sie schon eine Vorstellung, wie wir an die Sache herangehen sollen?«
»Ja, natürlich« Edwards griff in die Innentasche seines Jacketts. Er zog das Foto eines Mannes heraus und reichte es ihr unauffällig. »Hier: … Damit Sie sehen, wie der Bursche aussieht.«
»Das ist Min-Ho Choung?«
»Das ist er.«
Clairé lief es kalt über den Rücken. In ihrem Unterbewusstsein formte sich der Wunsch, diesem Mann niemals zu begegnen. Gleichzeitig aber wusste sie, dass sich eine solche Begegnung nicht vermeiden lassen würde. Etwas in ihr warnte sie vor diesem Mann. Sein Gesicht war schmal. An den Wangen erkannte sie die Schatten zweier dunkler Falten. Sein Mund wirkte wie ein blasser Strich, und Min-Ho Choungs Augen blickten so seelenlos wie farblose Glaskugeln.
»Wie wir alle«, fuhr Leonard Edwards fort, »hat auch Choung so seine kleinen Angewohnheiten.«
»Vielleicht liegt ja genau darin unsere Chance, seiner habhaft zu werden, Sir.«
›Fatso‹ nickte. »Sein Lebensinhalt ist das Töten, … überall auf der Welt. Doch zwischendurch fühlt auch dieser Mann sich einsam.«
»Bei