Samantha Prentiss

Eiskalte Wut


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sollte er auch vertrauen?«, nickte Edwards zustimmend. »Für Menschen wie ihn, wird die Einsamkeit zu einem echten Fluch. Aber wir wissen von unseren Freunden aus den Staaten, dass er immer dann die Nähe eines Mädchens sucht, wenn er es nicht mehr ertragen kann.«

      »Ab und zu in den Arm genommen zu werden braucht letztlich jeder von uns, nicht wahr?«

      »So sind wir Menschen gestrickt«, stimmte Edwards zu.

      »Wenn du Einsamkeit nicht ertragen kannst, dann langweilst du vielleicht auch andere, sagte Oscar Wilde.«

      »In gewisser Hinsicht tut er das sogar …«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Er rührt kein Mädchen an«, entgegnete Edwards. »Er begnügt sich damit, dass es bei ihm ist und sich mit ihm betrinkt.« Er warf ihr einen verstohlenen Seitenblick zu. »Verstehen Sie, worauf ich hinaus möchte?«

      »Sie meinen: Ich soll dieses Mädchen sein, das ihm Gesellschaft leistet.«

      »Ich habe mir die Sache reichlich überlegt, ehe ich Sie bitten wollte, die Aufgabe zu übernehmen ... Wir werden versuchen, ihm Ihre Telefonnummer zuzuspielen … Über Mittelsmänner, die an der richtigen Stelle herumerzählen werden, was für ein großartiges Erlebnis das Callgirl Clairé Beauvais ist.«

      »Sie gehen also davon aus, dass sobald er davon Wind bekommen hat, bei mir auftauchen wird?«

      »Davon bin ich überzeugt«, nickte Edwards unmerklich. »So etwas lässt sich Min-Ho Choung garantiert nicht entgehen.«

      »Wieso rührt er die Mädchen nicht an, die ihm Gesellschaft leisten?«, wollte Clairé wissen. »Warum betrinkt er sich nur mit ihnen? Das ist doch nicht normal.«

      »Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, Miss Beauvais. Bestimmt würde Choung mit den Mädchen mehr anstellen, als bloß mit ihnen trinken, wenn er noch dazu in der Lage wäre.«

      »Das verstehe ich nicht. Der Mann ist doch höchstens vierzig Jahre alt.«

      »Er hatte vor fünfzehn Jahren einen Auftrag in Ruanda und dem Kongo zu erledigen. Das war während der Zeit, als Bernard Ntaganda, Boss einer Hutu-Partei, im Gefängnis saß und Victoire Ingabire unter Hausarrest stand, die inzwischen in Untersuchungshaft sitzt. Man wirft ihr vor mit der Hutu-Miliz ›FDLR‹ im Ostkongo unter einer Decke zu stecken. Aber auch Frank Habineza, Boss der neu gegründeten Grünen, durfte nicht kandidieren. Sein Stellvertreter, André Kagawa Rwisereka, wurde drei Wochen vor der Wahl mit fast abgetrenntem Kopf gefunden. Der Präsident Kagame beteuerte zwar, dass weder er noch seine Regierung etwas mit dem Mord zu tun hatten … Aber daran wurde seitens der meisten Auslandsgeheimdienste gezweifelt. Jedenfalls fiel Choung genau zu diesem Zeitpunkt einer Gruppe extremer Fanatiker in die Hände … und was die mit ihren Gefangenen anstellen ist hinlänglich bekannt. Seither vermag er, wenn ich es mal höflich ausdrücke, einem Mädchen nichts mehr zu geben.«

      »Irgendwie eine tragische Figur«, meinte Clairé. Sie warf noch einen Blick auf das Foto und gab es ›Fatso‹ zurück. »Angenommen, er meldet sich bei mir. Was habe ich dann zu tun?«

      »Wie gesagt, er wird nicht den Wunsch haben mit Ihnen ins Bett zu gehen. Man sagt, er würde den Mädchen gern dabei zuschauen, wenn … Nun, ich denke, sie verstehen mich ... Auf jeden Fall aber wird er den Wunsch haben, sich mit Ihnen zu betrinken«, antwortete Leonard Edwards und entnahm seiner Hosentasche ein kleines Fläschchen. »Wenn sich die Gelegenheit ergibt werden Sie ihm das in seinen Drink geben ... Aber seien Sie äußerst vorsichtig. Der Mann ist sehr misstrauisch und darf auf keinen Fall etwas davon bemerken!«

      Clairé griff nach dem Fläschchen und schüttelte es. Die Flüssigkeit darin war glasklar. »Was ist das?«, fragte sie. »Gift?«

      »Nein. Ganz gewöhnliche ›Knockout‹-Tropfen. Wenn er sie schluckt, wird er einfach für einige Zeit in Ohnmacht fallen und kommt später wieder zu sich zu … Absolut harmlos, das Zeug, ohne jede schädigende Nachwirkung auf den menschlichen Organismus.«

      »Also gut ... Choung fällt wie tot um. Wie geht es dann weiter?«

      »Alles Weitere überlassen sie mir. Sobald er flachliegt, rufen Sie mich an. Ich lasse den Kerl unverzüglich abholen. Damit ist die Sache für Sie auch schon gelaufen.«

      »Hört sich an, als wäre es genauso leicht, wie mit dem Finger zu schnippen.« Was sie begleitend tat.

      »Es wäre genauso leicht, wenn der Mann, dem Sie diese Tropfen einflößen sollen, nicht Min-Ho Choung hieße. Nehmen Sie diesen Auftrag um Himmels willen bloß nicht auf die leichte Schulter. Dieser Choung ist gefährlicher als ein Sack voller Klapperschlangen. Und wenn irgendetwas sein Misstrauen weckt, da er ohnedies stets auf dem Sprung ist, kann es zur furchtbarsten Katastrophe kommen.«

      Es hatte in ihrer Geheimdienstlaufbahn noch niemals einen Auftrag gegeben, den sie auf die leichte Schulter genommen hatte. Edwards' Warnung war gut gemeint, aber überflüssig. Dennoch ließ sie sie unwidersprochen, schob das Fläschchen in ihre Handtasche und sagte: »Eine Frage hätte ich noch, Sir.«

      »Ja, Miss Beauvais?«

      »Wenn Sie Choung haben, was werden Sie dann mit ihm machen?«

      »Ihre Aufgabe ist es, ihn uns zu beschaffen. Alles andere sollte Sie nicht kümmern. Da ich aber weiß, wie wissbegierig Sie sind, muss ich Ihnen wohl ein bisschen mehr erzählen. Min-Ho Choung kennt eine Menge Namen. Es wäre töricht von uns, ihn zu beseitigen. Er nützt uns lebend wesentlich mehr. Unsere Spezialisten werden ihn zum Reden bringen. Choung in unserer Hand … das ist eine Bombe im gegnerischen, nordkoreanischen Lager, die wir und unsere befreundeten Geheimdienste nur zu gern fernzünden werden.«

      Clairé erhob sich und reichte ›Fatso‹ die Hand. »Wenn ich sein Typ bin, kriegen Sie ihn, Sir.«

      ***

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      Kapitel 3

      Seit Generationen belieferten die ›Buchanan Atomic Unlimited‹-Werke die britische Armee ebenso wie die Marine mit allem möglichen militärischen Material. Der Juniorchef des Unternehmens hieß Zachary Buchanan. Sein Verdienst war es, dass die ›Buchanan Atomic Unlimited‹ von der Regierung auf Jahre hinaus mit der Produktion von wichtigen Teilen für militärische Langstreckendrohnen beauftragt worden war. Auch wurde eifrig an der Entwicklung eines eigenen Models unter der internen Bezeichnung ›Legacy of Kain‹ gearbeitet, die den ›Predator‹ der US-Amerikaner in den Schatten stellen sollte. Seine Unterschrift stand unter den gewinnbringenden Verträgen. Sein Vater trieb sich schon seit einigen Jahren mit seiner dritten Ehefrau irgendwo in der Weltgeschichte herum. Er kümmerte sich nicht mehr um den Konzern, wusste er ihn doch bei Zachary in den besten Händen. Trotz seiner vierunddreißig Jahre war der junge Buchanan ein mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann – und es versteht sich, dass er auch mit allen Salben geschmiert war. Ihn übers Ohr zu hauen war zumindest ebenso schwierig, wie gegen den amtierenden Schachweltmeister Magnus Carlsen im Blitzschach zu gewinnen. Er kannte einfach alle Schliche. Und den Rest machte sein Gespür für ein sicheres Geschäft aus.

      Buchanan war groß, breitschultrig, hätte mit seinen Muskelpaketen vermutlich Arnold Schwarzenegger zu dessen Mister Universum-Zeiten auf Platz zwei verwiesen. Obendrein sah er gut aus und gefiel sich in der Rolle des Playboys. Zumindest war das bis vor einem Jahr so gewesen. Dann hatte sich das blitzartig geändert, denn Ye-Jin Lyang war in sein Leben getreten. Der heißblütige Buchanan, dessen einziger Fehler die gefährliche Neigung zum Jähzorn war, hatte sich Hals über Kopf in die attraktive Nordkoreanerin verliebt. Er hatte von dem Mädchen, das ihn so sehr in seinen Bann geschlagen hatte, nahezu nichts gewusst, und er wusste immer noch nicht sehr viel von ihr. Es war ihm nur bekannt, dass sie aus dem Norden Koreas geflohen und nach Großbritannien gekommen war, dass sie sich ihr Geld als Grafikerin verdiente – und dass sie ihn genauso liebte, wie er sie. Das genügte ihm, um allmählich den Entschluss in ihm reifen zu lassen, sie zu seiner Frau zu machen. Noch hatte Buchanan zu keinem Menschen darüber