kein Platz für Kreischtanten.
Flip wies mit dem Kopf Richtung Gästezimmer. „Und wie soll ich sie abschütteln?“
„Warte … ähm … bei Nina auf mich.“
„Und dann?“ Flip blickte skeptisch drein. „Dann sieht sie, dass wir abhauen und will mit.“
„Wenn sie das macht, kriegt sie Ärger!“
Statt einer Antwort schob Flip drei Salzstangen in den Mund. Er kaute so wild darauf herum, als gäbe es eine Medaille fürs Schnellessen.
Patte wechselte das Thema. Er wollte über etwas Schönes reden. „Hast du was von Nina gehört?“
„Sie kommt heute zurück.“
„Das weiß ich. Aber … vielleicht … ist sie schon da?“
Flip sah auf die Uhr. „Kann sein.“
Patte konnte es kaum erwarten, Nina wiederzusehen. Die zwei Tage, die sie bei ihrem Vater in Bamberg verbracht hatte, erschienen Patte wie eine Ewigkeit. Ob er gleich nachschauen sollte? Er musste nur über die Straße rennen und auf den Klingelknopf fallen.
Flip grinste breit. „Kannst es nicht erwarten, was?“
Patte fühlte sich ertappt. „Wie kommst du da drauf?“
„Sieht man.“
„Nein.“
„Doch! Sieht man!“
„Quatsch.“ Patte schüttelte den Kopf. „Also, ich hab gestern Abend mit Nina telefoniert …“
Flip tat so, als würde er telefonieren. „Herzallerliebste Nina“, flötete er. „Ich vermisse dich sooooo!“
Patte ignorierte ihn. „Wir haben ausgemacht, dass ich sie morgen um elf abhole und wir dann zum See fahren. Kommst du mit?“
Flip schluchzte. „Du fehlst mir so! Bu-hu-huuuuu!“
Patte verzog das Gesicht. „He! Alter! Willst du jetzt mit oder nicht? Ich brauch dich nicht zum chillen!“
„Klar will ich!“ Flip ließ sein imaginäres Telefon fallen.
Oben im Gästezimmer war Gerumpel und Gekreische zu hören.
Gleichzeitig fuhr ein Auto in die Einfahrt.
„Meine Mutter. Schon so spät“, seufzte Flip. Er stand auf und wischte Salzstangenkrümel von der Hose.
Patte wollte keine Wiederholung der Schuhgeschichte hören.
„Bis morgen! Um elf!“
„Okay!“
Patte flog zur Tür hinaus, grüßte Flips Mutter und rannte über die Straße zum Haus Nummer sieben. Er spähte in den Holme-Garten, doch Ninas Hängematte war leer. Er atmete tief ein und drückte auf den Klingelknopf. Sein Herz klopfte wild, während er wartete und lauschte. Nach wenigen Minuten klingelte er noch einmal. Alles blieb still.
„Schade.“
Nach einem letzten Blick auf die leere Hängematte stieg er aufs Fahrrad und fuhr davon. Dann musste er sich wohl damit begnügen, sich auf morgen zu freuen.
2. Am See
Der Tag war genauso, wie Patte ihn bestellt hatte. Die Sonne leuchtete. Der Pfefferminzsee glänzte. Nina war da.
Alles, was ihn überforderte, war der Berg an Essbarem, den Ninas Mutter eingepackt hatte.
„Wir lange bleiben wir?“, fragte er, während Nina Orangenkuchen, Bananen, gekochte Eier, Äpfel, Wurstbrote, Blätterteigtaschen, Schokokekse und Getränkedosen auf einer Decke arrangierte.
Nina dachte nach. „Ungefähr … drei bis zehn Jahre?“
Flip starrte auf die Futterlandschaft. „Ist doch toll!“
„Schon klar.“ Nina sah zu, wie Flip gierig ein Wurstbrot grapschte. „Du siehst total verhungert aus.“
Flip quittierte die Bemerkung mit einem Grinsen.
Patte zog seine Schuhe aus, legte sich ins samtige Gras und atmete tief durch. Diese Pfingstferien waren die schönsten, die es jemals gegeben hatte.
Nach der Sache mit dem Holzmannhaus in den vergangenen Sommerferien hatte es nicht ausgesehen, als würde Nina jemals aus ihrem Schneckenhaus kriechen. Jeden Anruf, jeden Besuch hatte sie abgelehnt. Sie lebte allein in einer schalldichten Kapsel, in der nur ein altes Haus existierte und das, was sie dort erlebt hatte.
Patte war irgendwann zum Schluss gekommen, dass das Kniegefühl mit Nina für immer vorbei war.
Doch kurz vor den Pfingstferien war Nina vor Pattes Tür gestanden. Einfach so. Und dann hatten sie so viel unternommen wie noch nie. Am See chillen, Eis essen, Filme schauen, Musik hören, Blödsinn machen. Alles mit Nina.
Patte wusste nicht, welche Sonne Nina aufgetaut hatte. Er mochte sein Glück kaum glauben.
„Auch eins?“
Patte blinzelte. Nina hielt ein quadratisches Kuchenstück auf ihrer Hand. Orangen- und Honigduft stieg in Pattes Nase.
„Klar doch“, sagte Patte, obwohl er keinen Hunger hatte. Als er den Kuchen nahm, berührte er Ninas Hand. Da war es wieder, das Kribbeln auf der Haut und im Bauch.
Das Kribbeln machte Patte verlegen. Er schob das ganze Kuchenstück in den Mund, kaute, würgte, sprang auf und hustete wie ein Wilder.
Nina lachte. „Alles okay?“
„Ja, ja.“ Patte räusperte sich den Hals wund.
„Wie war’s denn so in Bamberg?“, krächzte er, als er wieder reden konnte.
„Totaaaaaaal schön!“ Nina glühte vor Begeisterung.
„Und was hast du gemacht?“, wollte Flip wissen.
„Meinen Vater besucht. Das weißt du doch.“
„Ja, schon klar.“ Flip biss in einen Keks. „Ich meine … was hast du so alles unternommen?“
„Ach so.“ Nina lachte ihr melodiöses Glucksen. „Wir waren im Hochseilgarten und beim Klettern und …“
„Echt? Cool!“ Patte war ein bisschen neidisch. Er hätte auch gerne einen Vater gehabt, mit dem er in der Gegend herumklettern konnte. Dumm, dass er nicht wusste, wer sein Vater war. Dümmer, dass seine Mutter es auch nicht wusste.
Flip hatte kugelrunde Augen. „Ist das gefährlich im Hochseilgarten?“
„Nö, gar nicht!“ Ninas Augen leuchteten. „Es macht irre Spaß! Wir müssen unbedingt mal zusammen hin!“
Die Idee gefiel Patte. „Bin dabei!“
Flip sah skeptisch drein. „Ich weiß nicht.“
„Du nicht. Schon klar“, sagte Patte spöttisch.
„Was habt Ihr noch vor in den Ferien?“, fragte Nina.
„Abhängen!“
„Okay“, lachte Nina. „Und sonst?“
„Lagerfeuer. Würstchen braten.“
„Klingt gut!“
„Zum Holzmannhaus fahren und mal nachschauen!“
„Oh.“ Ninas Lachen verschwand.
„Was willst du da nachschauen? Das ist doch schon abgerissen.“ Flip wusste es besser. Wieder einmal.
„Oh“, wiederholte Nina.
Patte schwieg betreten. Er wusste, dass es für Nina schönere Dinge gab, als an diese Sache erinnert zu werden. Er hätte sich ohrfeigen können, weil er wieder mal schneller gequatscht als gedacht hatte.