neue Grimmi dann do is, konnst da mit meiner Fraa a boa Dooch lang nix ofang. Andererseits: dann nervt sie mich ach moll a boa Dooch lang nie, wenn sa den neun Grimmi lest. Und woss söll ich euch sooch? Die is jedes Moll absoluhd bogeistert. Ich maan, ich bin ja jetzt ka Leseradd und deswecher werrich wuhl ach kann Grimmi lesen, obber grundsätzlich find ich dess scho a glasse Idee.«
Gundi Reif hakte ein.
»Du«, deutete sie auf Pytlik, »denkst ja gleich wieder, der will dir und uns was Böses. Er beschreibt ja jetzt genau das, was hier passiert und alle Leute, die hier arbeiten genau so wie sie auch sind. Ist doch völliger Blödsinn, Franz! Wenn du dir nur einmal die Zeit nehmen würdest und einen einzigen der Krimis lesen würdest, könntest du sehen, dass das einfach nur spannende und witzige Geschichten sind, wo sich die Leute in den einzelnen Gemeinden und Ortschaften auch wiederfinden und wo man sich plötzlich auch wie von selbst in die Geschichte einbezogen fühlt.«
Pytlik tippte auf seiner Tastatur, nickte mit dem Kopf und antwortete, ohne sich umzudrehen.
»Ja, genau!«, sagte er mit einer leichten Süffisanz in seinem Ton.
»So wie die Dinge sind! Papperlapapp! Also, wenn der die Dinge so beschreibt, wie sie hier tatsächlich passieren und wie sie sind, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass das jemand gut findet. Wie kann denn der über Gewaltverbrechen, die passieren, und die Ermittlungen, die Aufklärungsarbeit auch nur einigermaßen kompetent und unterhaltsam schreiben, wenn er davon überhaupt keine Ahnung hat? Das ist doch die reinste Verarsche, wenn ihr mich fragt! Wisst ihr, wie das ist? Das wäre genau so, als würde ich mich plötzlich bemüßigt fühlen, ein Buch über die neuesten Methoden gesunder Ernährung zu schreiben. Da würden auch alle sagen: ›Na, spinnt der jetzt völlig, der Pytlik?‹«
Gundi Reif schüttelte den Kopf und schaute Justus Büttner an. Der hob nur belanglos die Schultern und signalisierte mit seinem Gesichtsausdruck, dass er wusste, dass der Hauptkommissar in gewissen Dingen eben einfach ein Sturkopf war. Da machte es jetzt auch keinen Sinn, ihn auf Teufel komm raus umstimmen zu wollen. Aber Gundi Reif wollte dies alles nicht unkommentiert stehen lassen.
»Übrigens, Herr Hauptkommissar! Dieser Krimiautor, von dem du behauptest, dass er keine Ahnung hätte von dem, was er schreibt. Mit dem habe ich schon einige Male telefoniert. Und weißt du auch warum?«
Pytlik schien es nicht zu interessieren, was Gundi Reif ihm erzählte. Dennoch hörte er gespannt zu, ohne dies zu zeigen. Er starrte weiterhin auf seinen Bildschirm.
»Der ruft nämlich jedes Jahr, immer wenn er seinen Krimi schreibt, hier bei mir an, weil er zwei oder drei Fragen zu gewissen Dingen hat. Und meistens stelle ich ihn dann zu Cajo durch, der ihm meines Wissens nach auch immer gerne und ausführlich Auskunft gegeben hat.«
Immer noch keine Reaktion von Pytlik. Doch wie gerufen kam plötzlich Pytliks Assistent Cajo Hermann ins Büro. Ohne über die laufende Diskussion im Bilde zu sein, gab er ein freundliches »Guten Morgen!« in die Runde, ging zu seinem Platz gegenüber von Pytlik, stellte seine Tasche unter dem Schreibtisch ab und begann, seine Jacke zu öffnen.
»Ist was? Warum schaut ihr mich so an? Warum bist du denn heute so früh hier, Franz? Habe ich was verpasst?«
Pytlik blickte von seinem Bildschirm hoch und sagte nur kurz mit einem Lächeln:
»Du bist also der Informant von diesem Krimischreiber! Habe ich ja gar nicht gewusst. Na, vielleicht sollte ich mir diesen Kram ja doch mal reinziehen. Wäre gut zu wissen, was du dem so erzählst.«
Hermann kniff verwundert die Augen zusammen und schaute zu Gundi Reif und Justus Büttner. Im gleichen Augenblick machte Pytliks Sekretärin mit der Hand eine abfällige Bewegung und verließ mit einem verärgerten Grummeln das Büro. Auch Justus Büttner meinte, es wäre wohl besser, das Thema an dieser Stelle zu beenden. Einen Schlusskommentar konnte er sich jedoch nicht verkneifen, als er hinausging.
»Na, dann wünsche ich der Bürogemeinschaft Pytlik und Hermann heute einen wunderschönen gemeinsamen Arbeitstag. Bis dann, die Herrn!«, sagte er übertrieben korrekt.
Hermann hatte sich schnell einen Reim darauf gemacht, worüber sein Chef so früh am Morgen schon derart verärgert war. Die Diskussion hatte es schon öfter gegeben. Spätestens jedes Jahr, wenn der neue Regionalkrimi für den Landkreis Kronach veröffentlicht worden war. Hermann wusste bis zu diesem Tag immer noch nicht genau, warum Pytlik so ein großes Problem damit hatte. Sah er seine Arbeit dadurch nicht richtig wertgeschätzt oder sogar durch den Kakao gezogen? Hätte er sich selbst vielleicht gerne mehr als Berater involviert gesehen? Oder war es einfach nur eine gute Tradition, dass er einfach – ohne auch nur einen Krimi gelesen zu haben – keine Sympathie dafür hegen wollte? Ja, so wie Hermann seinen Chef nun schon viele Jahre kannte, war die letzte wohl die wahrscheinlichste Option. Hermann vermutete insgeheim sogar, dass Pytlik schon einen, vielleicht sogar schon alle Krimis gelesen hatte. Bei diesem Gedanken musste er schmunzeln, gerade in dem Augenblick, als Pytlik zu ihm hinüberblickte.
»Was gibt‘s denn da zu lachen?«, raunzte der Hauptkommissar seinen Assistenten an.
»Ich lache nicht, Franz!«
»Doch, du lachst!«
»Ich lache nicht! Ich musste schmunzeln.«
»Lachen, schmunzeln, nenne es von mir aus, wie du magst! Wenn ich es verbieten könnte, gäbe es keinen Regionalkrimi mehr. Die Leute da draußen müssen doch denken, wir sind der reinste Karnevalsverein!«
Hermann machte ein verwundertes Gesicht.
»Moment mal, Franz! Einerseits redest du so, als wüsstest du genau, was in den Krimis drin steht. Andererseits muss man aber davon ausgehen, dass du die Bücher meidest wie der Teufel das Weihwasser. Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass du dir überhaupt ein Urteil bilden kannst. Und soll ich dir was sagen? Ja, ich habe alle vier gelesen. Und ja, ich habe mich jedes Mal köstlich amüsiert. Die Geschichten sind sehr spannend und gehen – das muss man sagen und das ist auch sicher so gewollt – ein bisschen an der Realität vorbei. Aber das Wichtigste ist doch, dass die Leser daran Spaß haben und sie sich in den Geschichten in gewisser Weise zuhause fühlen, da sie sich an den einzelnen Schauplätzen doch gut auskennen.«
»Blödsinn!«, erwiderte Pytlik trocken.
»Und soll ich dir noch was sagen?«
Hermann hatte jetzt Fahrt aufgenommen.
»Mein Vater war letztes Jahr zur Reha in Bad Steben. Du kennst ja meinen Vater! Das Einzige, was der in seinem Leben gelesen hat, waren Bilanzen. Gut, die ganze Fachliteratur und Gesetzestexte darf man auch nicht außer Acht lassen. Aber ansonsten?«
»Was willst du denn jetzt mit deinem Vater?«, war Pytlik weiter genervt.
»Hör doch mal zu!«
Hermann war mittlerweile aufgestanden, um sich auch einen Kaffee einzuschenken. Er erzählte weiter.
»Da liegt bei ihm auf dem Zimmer ein Mann – etwa sein Alter – aus Starnberg. Auch erfolgreich im Job, auch Herzprobleme. Ich hatte meinem Vater drei der Krimis mitgegeben und ihm empfohlen, die einfach mal zu lesen. Damit der einfach auch mal etwas Anderes in seinen Kopf hinein bekommt. Nach der ersten Woche habe ich ihn besucht und was soll ich dir sagen: Wie ein kleines Kind, das eine Tüte Gummibärchen gegessen hat, hat er mir davon erzählt, wie toll diese Krimis sind.«
Hermann machte eine Pause, Pytlik schien das alles nicht zu interessieren.
»Und jetzt kommt‘s! Sein Zimmerkollege fragte ihn dann Anfang der zweiten Woche, ob er sich nicht einmal eines der Bücher ausleihen könnte, er hätte selbst nichts zu lesen dabei und ihm wäre langweilig. Als die Beiden sich nach insgesamt drei Wochen voneinander verabschiedeten, hatte auch Peter, so war der Name des Starnbergers, alle drei Krimis gelesen. Er sagte, er sei glücklich gewesen, mit meinem Vater im Zimmer gewesen zu sein, denn sonst hätte er nicht diese tollen Bücher kennengelernt. Bad Steben fand er absolut langweilig und er war der Meinung, dort könne man die Bürgersteige ja nicht einmal um 16 Uhr hochklappen, die würden da den ganzen Tag nämlich nicht runtergeklappt werden. Aber – und jetzt wird‘s spannend!