Sabine von der Wellen

Auf ihren Spuren


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er mir eine reinhauen. Doch dann steht er auf und geht zur Zimmerbar und nimmt sich noch ein Bier. Er kappt den Deckel und ich erstarre, weil er ihn wegschnippt und keinen Flaschenöffner in der Hand hat. Mir war vorher nicht aufgefallen, wie er unsere ersten Biere geöffnet hatte. Dann geht er zum Fenster zurück und trinkt fast die halbe Flasche leer. Ich spüre regelrecht die Anspannung zwischen uns.

      Plötzlich sagt er und seine Stimme klingt unendlich traurig: „Ich habe sie geliebt. Nur sie. Niemanden sonst auf dieser beschissenen Erde und ausgerechnet sie hat es erwischt. Sie war ein guter Mensch, der das nicht verdient hat. Sie hat so ein Leben nicht verdient und dennoch glaubte sie, dass es für sie so und nicht anders richtig ist. Nur du verschissener kleiner Scheißer warst das einzige, was sie auf Plan halten konnte. Sie war so krank, so durchgeknallt und doch so genial. Und ich wollte ihr alles geben, aber sie wollte von mir nichts, außer ihre Freiheit.“ Er dreht sich zu mir um. „Und was bleibt mir? Der kleine verschissene Scheißer.“

      Ich starre den Mann am Fenster an. Meint er mich?

      „Ich komme allein klar“, sage ich und klinge selber auch nicht mehr freundlich. Das der Typ mich kleiner, verschissener Scheißer nennt, ärgert mich maßlos. Ich bin kaum einen halben Kopf kleiner als er und kann auch so aussehen, wenn ich unsere Geräte mehr beutele.

      „Das weiß ich. Du bist wie Cecilia. Bist ja auch ihr Fleisch und Blut.“ Mit wenigen Schritten ist er bei mir und beugt sich zu mir herunter. Sein Blick scheint mich durchbohren zu wollen. „Aber wie weit reichen ihre Gene? Was schlummert in dir? Was? Sag es mir!“, die letzten Worte brüllt er mir entgegen, dass ich in dem Sofa immer kleiner werde.

      „Ni… nichts“, stottere ich erschrocken. „Ich wollte nur herausfinden, ob Mama Jeannie ist und von was sie sich die Wohnung leisten konnte.“

      Marco richtet sich auf, als hätte ich ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und seine hellbraune Haut wird aschfahl. „Scheiße Joel!“, stammelt er. „Scheiße, scheiße, scheiße!“ Er geht zum Fenster und trinkt sein Bier leer. Dann knallt er es auf die Fensterbank. „Scheiße, scheiße, scheiße!“

      Langsam dreht er sich zu mir um und sieht mich an, als hätte ich ihm eine reingehauen. „Joel, woher weißt du das?“ Er klingt völlig geschockt.

      Ich starre ihn nur an und mag gar nichts mehr sagen. Seine Reaktion erschreckt mich zu sehr, als das ich auch nur noch ein Wort sagen will.

      Marco sieht mir wohl an, dass ich mich ziemlich unwohl fühle und wirft sich wieder in seinen Sessel. Dann springt er allerdings wieder auf und holt aus der Bar eine Flasche und zwei Gläser. Sich wieder in den Sessel werfend, schüttet er die braune Flüssigkeit in die Gläser und schiebt mir ein Glas hin. Er greift nach seinem und trinkt es in einem Zug leer, verzieht das Gesicht und schüttet sich noch einen ein. Dann nickt er. „Jetzt weiß ich, warum du hier bist. Du willst Antworten!“

      Ich nicke und trinke mein Bier aus. Da Marco mir schon wieder etwas Neues hingestellt hat, halte ich das für angebracht. Aber ich rühre das Glas nicht an.

      Erneut nickt Marco und sieht mich nur an. Dann murmelt er: „Verdammt Joel. Ist dir klar, dass Cecilia dich genau davor bewahren wollte?“

      „Wovor?“, frage ich.

      „Vor dem, was sie tat und was sie war.“

      Ich schüttele verständnislos den Kopf. „Aber wieso? Was tat sie denn und was war sie?“ Meine Stimme klingt, als hätte man mich gerade kastriert.

      Es dauert, bis Marco endlich erklärt: „Sie hatte immer Angst, dich zu versauen. Sie wollte, dass du ein Mädchen triffst, dich verliebst, Sex mit ihr hast, Kinder zeugst und eine Familie gründest, mit ihr alt wirst und stirbst.“

      Ich starre den Mann an und weiß, dass er recht hat. Aber ich verstehe nicht, warum meine Mutter das offenbar allen und jedem erzählt hat. Warum war sie so erpicht darauf, dass ich so ende?

      „Sie dachte, das ist alles, was glücklich macht. Dabei hat sie selbst nie so leben können. Niemals. Sie hatte dich, ja! Aber alles andere war für sie nicht machbar. Sie brauchte selbst so viel mehr. Und dennoch glaubte sie, dass du nur glücklich wirst, wenn du mit dem großen „Erste Liebe und forever“ Scheiß lebst. Sie glaubte, wenn man auf diese Art sein Leben beginnt, dann bleibt man rein und unversehrt.“

      „Aber Mama war doch auch nicht so!“, sage ich entrüstet, weil sie offensichtlich etwas für mich wollte, was sie für sich für inakzeptabel hielt.

      Marco schüttelt resigniert den Kopf. „Nein, sie war nicht so. Aber sie haderte deshalb auch ständig mit ihrem Schicksal. Sie meinte, sie hätte so sein müssen. Aber in ihrem Innersten war etwas, dass wollte keinen Sex unter der Decke, im Dunkeln und dreißig Jahre mit dem einen Mann. Vielleicht sehnte sie sich tief in ihrem Inneren nach der einen großen Liebe und war nur traurig, weil sie sie nie fand. Nicht mal bei mir!“ Den letzten Satz spuckte Marco regelrecht in den Raum und mir wird klar, er muss meiner Mutter wirklich gemocht haben.

      Er sieht mich wieder an, wohl von seinem Ausbruch selbst erschrocken und stößt grinsend an mein Glas.

      Ich nehme es und trinke einen Schluck. Es ist Whiskey pur. Ich trinke den höchstens mit Cola. Nun brennt mir das Zeug unverfälscht durch meine Speiseröhre.

      Als ich mich erholt habe, bestätige ich ihm: „Ja, Mama wollte die Liebe für alle und vor allem für mich. Aber sie glaubte, dass es sie für sie nicht gibt. Das Thema hatten wir oft. Sie sagte immer: Joel, verlieb dich in ein ganz tolles Mädchen und habe erst Sex, wenn die Liebe gegenseitig und echt ist.“ Ich schaffe, etwas Spott in meine Ausführung zu legen und Marco lächelt versonnen. „Ja, so war sie. Alle Liebe für Joel. Nur für Joel. Soll der Rest der Welt doch lieblos zugrunde gehen.“

      Ich bin etwas irritiert über seine Worte. Irgendwie klingen sie, als würde er mich dafür verurteilen. Doch er nickt versonnen, trinkt einen großen Schluck und fragt: „Und? Hast du das Mädchen gefunden? Hat Cecilia sie noch kennengelernt?“

      Ich sehe ihn verunsichert an. Warum fragt er das? Dann schüttele ich den Kopf.

      „Nein?“ Ein lautes Lachen setzt ein und erfüllt den Raum. „Du hast selbst auch nicht so begonnen? Was für eine Enttäuschung für Cecilia. Und dennoch scheinst du ganz normal geworden zu sein.“

      Ich trinke noch einen großen Schluck und muss mit der brennenden Flüssigkeit in meiner Kehle kämpfen.

      Marco schlägt sich auf die Beine und ruft: „Naja. Cecilia konnte viel bestimmen, aber halt nicht alles. Aber jetzt erklär mir, warum du Jeannie kennst. Das ist erschreckend und nicht gut. Wenn sogar du das herausfinden konntest, haben wir ein Problem.“

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Darum sage ich erst noch nichts und trinke lieber mein Glas leer. Mittlerweile brennt das Zeug nicht mehr so und alles in mir fühlt sich angenehm warm an.

      „Ist noch etwas auf dem Laptop?“ Marco zeigt auf das Gerät auf dem Tisch.

      Ich nicke und er wird ernst. „Was? Das kann nicht sein!“

      „Der Tor Browser.“

      Marco sieht mich überrascht an. „Nur der Tor Browser? Mehr nicht. Aber damit hast du doch nicht Jeannie gefunden. Das kann nicht!“, murrt er entrüstet.

      „Ich habe auch noch Mamas alten Laptop aus dem Cafe. Da habe ich ihren Lycos Account gefunden.“ Ich schlucke schwer, weil ich mir wirklich nicht sicher bin, was passiert, wenn ich Marco sage, wie ich von Jeannie erfuhr. Wird er mich dann an die Wand stellen und lunchen?

      „Ja und? Den kenne ich auch. Aber da ist doch nichts drinnen, was Jeannie verrät. Gar nichts.“ Marco scheint wirklich langsam wütend zu werden. „Also sag, wie hast du es herausgefunden? Ich muss das wissen. Unbedingt!“

      Ich schlucke schwer und spüre, dass das Bier und der Whiskey langsam in meinem Kopf Wellen schlagen. „Mich sprach ein Typ an, der Mama wohl kannte und der hat etwas von dunkler Seite und so geschrieben und dass er seine Antwort auf seine Probleme gefunden hat. Dann gab er mir die Adresse einer Internetseite …“

      „Er