in ihrem Schoß vergraben und folgte jeder seiner Bewegungen. Ein großes Stück Pizza landete auf ihrem Teller. Der Appetit war ihr schon vor einigen Stunden vergangen und hatte sich bisher auch noch nicht wieder eingestellt. Trotzdem zwang sie sich eine kleine Ecke in den Mund und schluckte den Bissen mit Widerwillen herunter. Der Mann hatte bereits ein komplettes Tortenstück verputzt und war gerade dabei, sich ein weiteres auf seinen Teller zu laden. Doch plötzlich hielt er inne und lehnte sich kauend zurück. Seine Blicke ruhten auf ihr und wogen tonnenschwer auf ihren Schultern. Auf einmal fühlte sich Thea provoziert. Wütend schlug sie mit der flachen Hand auf die Tischplatte.
<<Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen>>, brüllte sie ihn an. Mit zufriedener Miene schluckte der Mann den letzten Bissen herunter und spitzte die Lippen.
<<Ich denke, damit wäre der Knoten wohl geplatzt>>, antwortete er und richtete sich wieder auf.
<<Was?>>
<<Ich hatte damit gerechnet, dass ich länger brauchen würde, um Sie aus der Reserve zu locken.>> Er zuckte mit den Achseln. <<Einseitige Gespräche sind nicht so mein Ding, wissen Sie.>>
<<Schön>>, fauchte Thea. <<Unterhalten wir uns. Darüber zum Beispiel, warum Sie mich entführt haben. Oder darüber, warum ich gegen meinen Willen hier festgehalten werde. Ach ja. Und diese ganze Inszenierung hier. Halten Sie mich für so naiv, dass ich Ihnen diese fürsorgliche Nummer abkaufe?>>
<<Ich kann verstehen, dass Sie aufgewühlt sind>>, antwortete er ruhig und aß weiter von seiner Pizza.
<<Das beruhigt mich ungemein>>, sagte sie sarkastisch.
„ Beruhige dich wieder. Sonst zieht er dich nur auf sein Niveau herab“, dachte sie. „ Du bist ihm überlegen. Besinn dich auf deine Stärken.“
<<Nochmal. Sie haben von mir nichts zu befürchten, solange Sie keine Dummheiten machen, Frau Doktor. Und das meine ich auch so.>>
<<Und genau den Punkt verstehe ich nicht>>, sagte sie nun eine Spur leiser. <<Ich würde Ihnen ja gerne glauben, aber Sie besitzen eine Waffe. Noch dazu tragen Sie keine Maske, um Ihr Gesicht vor mir zu verbergen. Ihnen muss doch klar sein, dass ich Sie jederzeit erkennen könnte. Und das wäre ein unkalkulierbares Risiko.>>
<<Ich verberge mein Gesicht nicht vor Ihnen, weil es für mich keinen Sinn ergibt.>> Er schaute kurz auf und betrachtete ihr ausgesprochen schönes Profil, an dem auch die mächtige Beule nichts ändern konnte. <<Es ist ganz einfach. Was mit mir geschieht, ist nicht weiter von Bedeutung. Kurz gesagt, es ist mir egal.>>
Thea sank der Mut. Aus Erfahrung wusste sie, dass es sehr schwierig werden würde, diesen Menschen davon zu überzeugen, dass er im Begriff war, eine Dummheit zu begehen.
Entweder war der Mann sterbenskrank oder von Selbstmitleid so zerfressen, dass das Leben wirklich keinen Sinn mehr für ihn machte. Vielleicht sogar beides.
<<In dem Fall, können Sie mir doch sagen, um was es geht.>>
<<Um ihrer selbst willen, Frau Doktor. Es ist besser, wenn Sie es nicht wissen. Jedenfalls noch nicht. Nur so viel. Man hat mir etwas genommen. Etwas, dass ich nie wieder zurückbekommen werde.>>
<<Dann geht es hier um Rache?>>
<<Nein. Eher um Gerechtigkeit. Ich finde, das klingt angenehmer. Und dabei wird mir Ihr Freund helfen.>> Er schob seinen Teller beiseite und stand auf. Ungläubig schaute sie ihm hinterher.
<<Lassen Sie Nik daraus. Er hat in den letzten Monaten genug durchgemacht.>>
<<Weiß ich. Und ob Sie es glauben oder nicht, gäbe es einen anderen Weg, würde ich ihn gehen.>> Aus dem Rucksack, den er zuvor an der Tür hatte stehen lassen, holte er ein Handy und seine Waffe heraus. Dann kehrte er zurück und legte beides auf den Tisch. Thea versteifte sich automatisch beim Anblick der Glock. <<Er möchte mit Ihnen reden. Beruhigen Sie ihn. Sagen Sie ihm, dass es Ihnen gut geht. Mehr verlange ich für den Moment nicht. Sollten Sie allerdings versuchen, mich reinzulegen oder Ihrem Freund etwas sagen, was mir nicht gefällt…>> Er ließ den Satz offen und legte seine rechte Hand auf die Waffe. <<Haben wir einen Deal?>>, fragte er und hob eine Augenbraue.
Ihr Herz stolperte. Sie hatte immer noch keine Ahnung, was der Mann von ihr verlangte. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als erst einmal mitzuspielen. Sie musste Zeit herausschlagen. Vor allem aber musste sie irgendwie sein Vertrauen gewinnen. Resigniert gab sie nach.
<<Ich sehe, was ich tun kann>>, sagte sie und hielt ihm die flache Hand entgegen.
<<Sie haben eine Minute. Nutzen sie die Zeit sinnvoll>> sagte er, wählte eine Nummer und wartete geduldig, bis das Gespräch angenommen wurde. <<Hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte. Fassen Sie sich kurz, Dr. Berger.>>
Er stellte das Gerät auf Lautsprecher und legte das Handy in die Mitte des Tisches. Mit der Waffe in der Hand ließ er sich gegen die Lehne fallen und schaute auf seine Uhr.
<<Nik?>>
<<Gott. Ich bin so froh deine Stimme zu hören. Hat dieser Scheißkerl dir etwas angetan?>>
<<Nein. Nein, es geht mir gut.>> Unsicher hob sie den Blick und sah, dass er zufrieden nickte. <<Sei unbesorgt, ich werde gut behandelt.>>
<<Ich weiß einfach nicht, was hier gespielt wird und warum man dich entführt hat, aber ich werde alles tun, um dich so schnell wie möglich nach Hause zu holen.>>
<<Das weiß ich. Nur bitte versprich mir, dass du keine unüberlegten Dinge tust.>> Wieder der kurze Blick zu ihm.
<<Hab keine Angst. Es wird alles gut. Ich liebe dich.>>
<<Ich liebe dich auch.>>
<<Die Zeit ist um>>, unterbrach der Mann, griff nach dem Handy und stellte den Lautsprecher aus. <<Sie werden morgen ein Päckchen erhalten, Dr. Berger. Darin finden Sie alle wichtigen Informationen, die Sie benötigen. Bis dahin verhalten Sie sich ruhig und warten ab, bis Sie wieder etwas von mir hören>>, sagte er und beendete das Gespräch.
<<Zufrieden?>>, flüsterte Thea.
<<Durchaus. Aber ich muss zugeben, dass ich für einen kurzen Augenblick gedacht habe, Sie würden es sich anders überlegen und mir in den Rücken fallen.>> Erneut stand er auf und ging zu seinem Rucksack.
<<Und wie soll es jetzt weiter gehen?>>, fragte sie.
<<In dem Vorratsschrank hier drüben, finde Sie alles, was sie brauchen. Konserven, Wasser und so weiter.>>
<<Sie gehen?>>
<<Ja. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen. Sie sind erst einmal auf sich gestellt.>>
<<Was haben sie vor?>>
Er seufzte und hielt inne. <<Sie geben nicht auf, was.>> Sie sah, dass er mit sich rang. Und sie fühlte, dass tief in seinem Innern, ein liebevoller Mensch vorhanden war. Kein unmoralisches Monster, das im Stande war, einen Menschen zu entführen und vielleicht sogar zu töten. <<Ruhen Sie sich aus. Und wenn Ihnen langweilig wird… >> Er nickte in Richtung des kleinen Bücherregales in der Ecke. <<Dort finden Sie bestimmt etwas für sich.>> Den Türgriff bereits in der Hand, schaute er ein letztes Mal über seine Schulter. <<Tun Sie mir den Gefallen und essen Sie was, solange es noch warm ist. Ach ja. Und bevor ich es vergesse. Auch wenn ich nicht da bin, ich habe Sie im Auge. Abhauen ist sowieso zwecklos. Sie würden sich hier hoffnungslos verlaufen. Und wir wollen ja schließlich nicht, dass Ihnen etwas zustößt, nicht wahr?>>