Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit


Скачать книгу

Willen musste er das tun, was man von ihm verlangte.

      <<Hey! Wo kommt denn das Mittagessen auf einmal her?>>, fragte Anni und legte von hinten einen Arm um Maximilians Hüfte.

      <<Ein Mitbringsel von den Pröppers>>, antwortete er und schaute seinem Vater weiterhin hinterher.

      <<Was ist? Habt ihr Stress?>>

      Maximilian schüttelte den Kopf. <<Nein. Er benimmt sich nur sehr komisch. Sagt, dass er Kopfschmerzen habe.>>

      Anni lachte auf. <<Ja. Das glaube ich sofort. Ein Wunder, wenn dem nicht so wäre.>> Und wieder zog Maximilian die Stirn kraus und schaute seine Freundin fragend an. <<Er und Thea haben es gestern Abend wohl so richtig krachen lassen. Ich habe heute Morgen zwei leere Rotweinflaschen in der Küche gefunden>>, erklärte sie ihm. <<Mach dir nicht so viele Gedanken. Es ist alles in Ordnung. Und weißt du auch, warum ich mir da so sicher bin?>>, neckte sie ihn weiter.

      <<Mh.>>

      <<Rate mal, wo wir deinen Vater vorhin entdeckt haben.>> Maximilian zuckte mit den Schultern und Anni verdrehte die Augen.

      <<Er war im Büro, Schatz. Nik hat diesen Raum seit einem Jahr nicht mehr betreten. Und dann stand er plötzlich da, um nach einem Buch zu suchen.>>

      <<Im Ernst?>>, fragte er erleichtert.

      <<Ja. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?>> Anni lächelte und legte ihm eine Hand an seine Wange. <<Es geht ihm gut. Und jetzt komm. Lass uns was essen. Ich sterbe vor Hunger und deine Tochter auch.>>

      <<Und wenn es ein Junge wird?>>, fragte Maximilian voller Stolz.

      <<Auch gut. Aber es wird ein Mädchen. Mütter haben so etwas im Gespür. Hab ich zumindest gehört.>> Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn mit sich. Seine gute Laune war wieder hergestellt, auch wenn er die Situation mit seinem Vater noch nicht ganz vergessen hatte. Aber nachdem, was er gerade erfahren hatte, wollte er die Sache auf sich beruhen lassen. Wahrscheinlich hatte ihm das Ganze doch mehr zugesetzt und die Kopfschmerzen waren nur eine natürliche Reaktion darauf. Trotzdem. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen ein Auge auf seinen alten Herrn zu werfen.

       Montag, 06.Mai, 15 Uhr 31

      Ein merkwürdiger Geruch stieg ihr in die Nase. Es war eine Mischung aus Holz, Moos und Tannenzapfen. Dazu vernahm sie das Knistern eines Kaminfeuers, das hier irgendwo in diesem Raum loderte. Thea schlug langsam die Augen auf, schloss sie aber sofort wieder, weil der pochende Schmerz in ihren Schläfen sie dazu zwang. „ Ich hätte vorsichtiger mit dem Wein sein sollen.“

      Behutsam drehte sie Ihren Kopf und riskierte einen erneuten Blick in die Helligkeit. Zur ihrer Linken erspähte sie die Umrisse eines Glases, gefüllt mit prickelndem, kaltem Wasser. Daneben lag eine einzelne, noch in der Umverpackung geschützte, Tablette.

      Mit der Zunge strich sich Thea über Ihre Lippen, die sich genau wie ihr Rachen spröde und staubtrocken anfühlten. Das Wasser hatte jetzt eine so magische Anziehungskraft, dass sie nicht wiederstehen konnte. Mit beiden Ellbogen drückte sie sich ein Stück weit nach oben und biss die Zähne zusammen, als alles um sie herum anfing sich zu drehen. „ Gott. Was hab ich mir da nur angetan?“

      Darauf bedacht, nicht zu schnelle Bewegungen von sich zu geben, führte Thea eine Hand an ihren Kopf.

      Doch sie hielt sofort inne, als sie den scharfen Schmerz spürte. Vorsichtig inspizierte sie mit ihren Fingerspitzen die deutliche Schwellung auf ihrer Stirn. Und plötzlich war alles wieder da. Die Erkenntnis traf sie mit voller Härte. Nicht der Wein war Schuld an ihrem jämmerlichen Zustand. Sie hatte sich die hübsche Beule bei einem Unfall zugezogen. Aber was geschah danach? „ Denk nach. Versuch dich zu erinnern.“

      <<Gut. Sie sind wach.>> Eine fremde, männliche Stimme. Entsetzt richtete sich Thea noch weiter auf. Aber der Schwindel setzte wieder ein und sie musste sich auf der weichen Matratze abstützen. <<Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.>> Wieder diese Stimme. Thea zwang sich, den Kopf zu heben und schaute sich vorsichtig um. Die Wände waren aus massiven Holzbalken gefertigt. Es gab jeweils ein Fenster zu ihrer rechten und eines zu ihrer linken. Jedoch beide verschlossen. Das Bett, auf dem sie lag, stand in der Mitte des nicht allzu großen Raumes. Schräg gegenüber stand eine spartanisch eingerichtete Küche, mit einem modernen Kühlschrank, der so gar nicht in das altbackene Bild der übrigen Einrichtung passen wollte. „ Wo bin ich nur?“

      Eine Bewegung am Rande ihres Sichtfeldes ließ sie zusammenfahren. In einer Ecke stand ein kleiner Tisch mit insgesamt zwei Stühlen. Und auf einem schien die Person zu sitzen, die gerade mit ihr gesprochen hatte. Dummerwiese konnte Thea nur die Umrisse erkennen, da der Mann halb im Schatten saß. So allmählich wurde ihr die ganze Situation unheimlich. Instinktiv zog sie ihre Beine an und erstarrte. Sie war angekettet. An Ihrem rechten Fußgelenk. Panik stieg in ihr auf, aber sie versuchte, sich zu beruhigen und atmete tief ein und aus. Sie verstand einfach nicht, was hier vor sich ging. Eigentlich hätte sie schon längst in der Klinik sein sollen. Doch jetzt fand sie sich in dieser Hütte wieder. Und ohne zu wissen wo genau sie sich eigentlich befand. Aber warum nur?

      Der nächste Schreck durchfuhr Thea, als der Mann quietschend seinen Stuhl nach hinten schob um aufzustehen. Ohne es zu merken, hatte sie ihre Position verändert und sich weiter in Richtung Wand gedrückt. Sie musste es sich eingestehen, sie hatte Todesangst.

      <<Ganz ruhig>>, sagte der Mann und ging auf die kleine Kochinsel zu, die fast die gesamte Mitte des Raumes einnahm. Thea ließ die Gestalt jetzt nicht mehr aus den Augen und beobachtete, wie der Mann einen Teebeutel in einen dunklen Becher legte und anschließend mit heißem Wasser aus dem danebenstehenden Kocher übergoss. Er tunkte den Beutel ein paar Mal auf und ab, nahm den Becher und trat näher ins dämmrige Licht. Er war schätzungsweise Mitte Fünfzig, Anfang Sechzig. Er besaß eine kräftige Statur und sowohl die kurzen Haare als auch sein gesamtes Auftreten erinnerten Thea ans Militär. <<Sie haben vor mir nichts zu befürchten, wenn sie sich angemessen verhalten>>, sagte er und bedachte sie mit einem prüfenden Blick. Sie fühlte sich nicht in der Lage auch nur ein Wort von sich zu geben. Stattdessen nickte sie kaum merklich, was ihn dazu bewegte, sich ihr weiter zu nähern. Behutsam stellte er den Becher neben dem Wasser ab, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen. <<Trinken Sie das. Der Tee wird Ihnen gut tun.>> Er registrierte, dass Theas Blick automatisch von ihm zu der Kette an Ihrem Fußgelenk wanderte. <<Tut mir Leid. Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen>>, bemerkte er wahrheitsgetreu. <<Ich hoffe, sie ist nicht zu eng?>>

      <<Was hat das alles zu bedeuten?>>, fragte Thea mit belegter Stimme. Der Mann drehte sich um und ging wieder zurück an die Kochinsel. <<Was wollen Sie von mir?>>

      Er schaute über seine Schulter. <<Von ihnen direkt? Eigentlich gar nichts.>>

      <<Und dennoch haben Sie mich entführt.>>

      <<Das ist wohl so, ja>>, gab er knapp zurück.

      <<Warum?>>

      <<Darüber sollten Sie sich keine Gedanke machen. Ich schätze, die ganze Situation ist eh schon schlimm genug für Sie. Wie geht’s ihrem Kopf? Die Beule sieht nicht gut aus.>> Er wollte nicht weiter auf das Thema eingehen.

      Und Thea ahnte, dass sie hier und jetzt keine weiteren Antworten bekommen würde. Grundsätzlich nahm sie dem Fremden die väterliche Nummer ab, denn er kam ihr bekannt vor. Auf der anderen Seite hatte er sie entführt und angekettet. Sie befand sich also durchaus in Gefahr. Wenn auch wahrscheinlich noch nicht zu diesem Zeitpunkt.

      <<Wer sind Sie?>>, fragte Thea zu ihrer eigenen Überraschung. Sein Kopf fuhr abrupt um und er musterte sie mit einem aggressiven Ausdruck. Erneut fuhr Thea zusammen.

      <<Sie erinnern sich wirklich nicht, oder?>> Sekunden verstrichen. Dann endlich entspannte er sich wieder und zuckte mit den Schultern. <<Nicht weiter schlimm. Es wird Ihnen schon noch einfallen.>>

      <<Mir