Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit


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mit einem Male wusste Nik, was ihn die ganze Zeit über stutzig gemacht hatte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Stromschlag und machte seine Glieder beinahe bewegungsunfähig. Sein Unterbewusstsein hatte ihm gerade die Antwort, mit voller Wucht gegen den Kopf gedonnert. Es war Theas Wagen. Doch wo war sie? Was war hier passiert? Und wieso hatte sie sich nicht bei ihm gemeldet? Er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und drehte sich hektisch im Kreis. Plötzlich vernahm er das Klingeln seines Handys aus dem Wageninneren. Nur unter größter Anstrengung gelang es ihm, dass seine Beine ihm wieder gehorchten. Er stolperte zu seinem SUV, riss die Tür auf und suchte fieberhaft die Mittelkonsole nach dem Telefon ab. Endlich fand er das Gerät auf dem Beifahrersitz und stieß erleichtert den Atem aus, als er Theas Namen auf dem Display las.

      <<Herrgott nochmal Thea!>>, schimpfte Nik drauf los. <<Bist du dir eigentlich im Klaren darüber, dass ich gerade den Schock meines Lebens erlitten habe? Wo zum Teufel bist du?>> Angespannt wartete er auf eine Erklärung, aber nichts dergleichen geschah.

      <<Verflucht Thea. Könntest du bitte etwas dazu sagen?>> Nik wurde fast hysterisch.

      <<Sehr gut. Dann haben sie den Wagen also gefunden, Dr. Berger. Das hat länger gedauert, als ich angenommen habe>>, hörte er eine Stimme sagen. Nur war es nicht Thea, die dort mit ihm sprach. Die Stimme war männlich und sie gehörte zweifelsohne zu einer älteren Person.

      <<Was? Wer spricht da?>>

      <<Das muss sie im Augenblick nicht weiter interessieren>>, antwortete der Mann selbstsicher.

      <<Scheiße auch. Ich will sofort mit Dr. Meissner sprechen.>> Panik stieg jetzt in ihm auf. Er verstand einfach nicht, was hier gerade über ihn zusammenbrach.

      <<Alles zu seiner Zeit, Nikolas. Ich darf doch Nikolas zu ihnen sagen?>>

      <<Bitte. Sagen sie mir doch einfach, was passiert ist.>> Nik flehte jetzt.

      <<Frau Dr. Meissner geht es den Umständen entsprechend gut. Sie können sich also erstmal beruhigen.>>

      <<Ich soll mich beruhigen? Das reicht mir jetzt. Ich rufe die Polizei an.>>

      <<Davon würde ich Ihnen dringend abraten, Nikolas. Sie sollten mir stattdessen einfach zuhören, wenn sie Frau Dr. Meissner wohlbehalten wieder zurück haben möchten.>>

      <<Was wollen sie?>>, sprach Nik mit zitternder Stimme, fast schon unverständlich.

      <<Sie haben genau zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Sie bewahren Ruhe und warten ab, bis ich mich wieder bei ihnen melde. Und bis dahin sagen sie nichts zu niemandem.>>

      <<Und die zweite Möglichkeit?>>, fragte Nik krächzend. Mittlerweile hatte die Angst seine Stimmbänder lahm gelegt. Kaum ein Wort verließ gut verständlich seinen Mund. Es war, als ob ihm jeder Buchstabe im Hals stecken blieb.

      <<Nun, Nikolas, dann sieht es so aus. Halten sie sich nicht an Möglichkeit ,Eins´ und Sie gehen zur Polizei, stirbt sie. Falls Sie versuchen sollten, mich auszutricksen, stirbt sie. Und falls Sie versuchen sollten, ihrem Freund Karsten von unserer Unterhaltung etwas zu erzählen, stirbt sie ebenfalls. Sie haben die Wahl. Denken sie gründlich darüber nach. Ich melde mich wieder bei ihnen.>>

      <<Nein! Warten sie!>>, schrie Nik, doch die Leitung war bereits unterbrochen.

      Vier

       Montag, 06. Mai, 14 Uhr 21

      Nik hatte keine Ahnung, wie er die letzten Meter nach Hause, zurücklegen konnte. Seine Gedanken drehten sich nur um das Eine. Wo war Thea? Was war mit ihr passiert? Und war sie vielleicht verletzt? Die bittere Wahrheit war, er wusste es nicht. Und das zerriss ihn innerlich. Immer wieder malte er sich aus, wie sie sich gerade fühlen musste. Welche Ängste sie ausstehen musste. Nur warum das Ganze? Und warum jetzt? Nik fühlte sich mit der Situation überfordert. Noch vor wenigen Stunden war er der glücklichste Mann der Welt gewesen. Jetzt bescherte ihm das Schicksal einen weiteren Scherbenhaufen, den es nun galt, irgendwie zu beseitigen.

      In den vergangenen Stunden und Minuten hatte Nik einfach nur funktioniert, ohne großartig darüber nachzudenken, was er da eigentlich tat. Er hatte dafür gesorgt, dass Theas Wagen von der Bildfläche verschwand und Gerd und Maria angelogen. Außer einer wirren Geschichte über einen Bekannten, dem der Wagen gehörte, fiel Nik nichts Besseres ein. Gemeinsam hatten sie den BMW mit Gerds altem Deutz, in dessen Scheune gezogen und Nik hatte ihnen versprochen, sich schnellstmöglich um den Wagen zu kümmern. Anhand ihres ungläubigen Gesichtsausdruckes, glaubte er nicht wirklich daran, dass die beiden ihm diese plumpe Lüge abgekauft hatten. Aber die Pröppers waren loyale Menschen und stellten keine weiteren Fragen. Und nun blieb ihm nichts weiter übrig, als zu warten. Darauf, dass sich der Unbekannte wieder meldete. Und er Gewissheit darüber erlangen würde, dass Thea zumindest noch am Leben war. Und bis dahin sah er sich gezwungen, bei diesem dreckigen Spiel mitzumachen. Doch wie lange er dieser mentalen Belastung standhalten würde, vermochte er nicht zu sagen. Schon jetzt hatte er eine Grenze des Machbaren überschritten.

      Nur mit größter Mühe schaffte er es, sich zu beherrschen und das Innere seines Wagens nicht in Schutt und Asche zu zerlegen.

      Er hatte seine Stirn auf dem Lenkrad abgelegt und hielt die Augen geschlossen. Er konzentrierte sich nur auf seine Atmung und nahm überhaupt nichts von seiner Umwelt war. Das Herz wäre ihm beinahe stehen geblieben, als Maximilian plötzlich neben der Fahrertür auftauchte und gegen die Scheibe klopfte. Mit zitternden Fingern tastete Nik nach dem Griff, um die Türen zu entriegeln.

      „ Reiß dich verdammt nochmal am Riemen“, dachte er und schaffte es, den Blick zu heben.

      <<Da bist du ja endlich>>, sagte sein Sohn und runzelte die Stirn, als er seinen Vater in diesem merkwürdigen Zustand auffand. <<Was hat denn da so lange gedauert?>>

      <<Marias Kochkünste>>, antwortete Nik knapp und schnallte sich ab. Alles in seinem Körper schrie danach, auf jede weitere Konversation zu verzichten, um wieder allein mit sich, seinen Gedanken und seinem verfluchten Handy zu sein.

      <<Und du hast mir nichts mitgebracht? Wehe dir, wenn es ihre berühmte Erbsensuppe gab>>, maulte Maximilian.

      <<Kofferraum.>> Nik zeigte mit dem Daumen nach hinten. <<Bediene dich.>> Er zog die Wagenschlüssel ab und stieg aus. Jedoch nicht ohne sich weiterhin an der geöffneten Tür festzuhalten. Seine weichen Knie wollten ihm nach wie vor nicht richtig gehören.

      <<Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen>>, sagte Maximilian und öffnete die Heckklappe. <<Muss heftig gewesen sein.>> Nik zog die Stirn kraus und musterte seinen Sohn. <<Den Unfall, meine ich.>>

      <<Ach so. Nein… nein, war es nicht. Ich hab nichts gefunden. War wohl falscher Alarm.>>

      <<Mh. Merkwürdig. Anni meinte, es hätte sich schlimm angehört. Soll ich später nochmal nachschauen? >>

      <<Wie gesagt. Falscher Alarm.>>

      <<Aber Gerd ruft doch sonst nicht ohne Grund an.>>

      <<Bitte Max. Könnten wir die Diskussion vertagen. Mir platzt gerade der Schädel>>, blaffte Nik seinen Sohn an. <<Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht so anfahren>>, entschuldigte er sich sofort wieder. <<Aber ich habe wirklich rasende Kopfschmerzen.>>

      Maximilian stand mit unverständlicher Miene da und hielt den Topf mit der Suppe umklammert. <<Könntet ihr meine Termine für heute bitte verschieben? Ich werde eine Tablette nehmen und mich etwas hinlegen.>>

      <<Natürlich. Brauchst du sonst noch was?>>

      <<Nur ein bisschen Ruhe. Dann geht’s schon wieder>>, antwortete Nik und ging in Richtung Haupthaus. Er spürte die Blicke seines Sohnes in seinem Nacken.