bin ich
mein armer kopf
Taiga"
Was dieses Gedicht anging, so waren sich Frau Doktor Vera Allenstoon und Prof. Dr. Dr. phil. etc. Allessandro Garivelli völlig einig:
"Dieses Gedicht, dem der Verfasser bewusst keinen Namen gegeben hat, hat die Tiefe, die viele seiner anderen Werke vermissen lassen. Es zeigt, durch seinen kurzen und prägnanten Telegrammstil, dass sich das lyrische Ich in einer Situation befindet, in der es nicht mehr weiter weiß. Es stellt sich die essentielle Frage, ob etwas ist, so scheint es, doch schon die nächste Zeile klärt auf, dass es eigentlich der Existenzialismus ist, um den es geht. 'mein kopf', es geht darum, wer oder was er ist, wie es auch in der sofort angeschlossenen nächsten Zeile heißt: 'bin ich'. Diese Frage nach dem Sein, nach der Existenz, nach dem Gott und dem Universum, sie bleibt vorerst noch unbeantwortet. Dann wieder die Wiederholung der Metapher 'kopf', die hier für den Geist, das innere Wesen aller Dinge steht, nach dem gestrebt werden soll. Er wird als 'arm' bezeichnet, womit gemeint ist, dass für den menschlichen Geist kein Entkommen aus dieser Welt möglich ist. 'Taiga', der Abschluss dieses phantastischen Werkes, bietet viele Interpretationsmöglichkeiten. Zum einen könnte es bedeuten, dass, wenn es doch einen Ausweg auf die implizite Frage nach der Erkenntnis über alles Sein, geben sollte, die Antwort in Russland zu suchen sei. Andererseits versucht der Autor durch diesen völligen Gegensatz zu dem Vorangegangenen einen so starken Kontrast aufzubauen, dass er sie der Lächerlichkeit preisgibt. Dadurch will er zeigen, dass eine Suche nach dem Sinn des Lebens völlig wirkungslos bleiben wird."
Besonders in Russland. Offensichtlich hatte Prof. Dr. Dr. phil. etc. Allessandro Garivelli das Gedicht noch nicht gelesen. Ähnlich der Meinung Frau Dr. Vera Allenstoons äußerte sich auch die Weltpresse nach Erscheinen der neu aufgelegten und erweiterten Fassung: "Endlich ein Gedicht, das sich von den üblichen Gedichten Tenderbilts durch seinen erfrischenden Humor und seine unergründliche Tiefe abhebt. Ein wahres Meisterwerk!"/"Noch nie wurde die Frage nach dem Sinn des Lebens in derart komplexer und gleichzeitig hintergründiger Weise (dar)gestellt. Weiter so!"/"F.T. fasst mit seinem neuen Gedicht ein heißes Eisen an. Die Russlandpolitik der USA in derartiger Weise darzustellen erfordert Mut. Hoffentlich bleibt es nicht das letzte politische Gedicht von ihm!"
Als ihm Veronika, seine Frau, den neuen Druck des Bandes in die Hand drückte, war selbst Frederico verwundert, was er da geleistet hatte. Er musste es dreimal lesen, bis er endlich wusste, was passiert war. Jetzt wurde ihm alles klar. Deswegen hatte er die erste Version seines Gedichtes 'Eichenlaub im Schnee' nicht wieder gefunden. An einem Herbsttag hatte sich der fatale Irrtum ereignet, der für seinen Aufstieg in den literarischen Olymp verantwortlich war.
Er hatte gerade einen Brief von seinem Verleger gelesen, in dem er ihn bat, für die Neuausgabe seines Gedichtbandes noch ein neues Werk zu schreiben. Tatsächlich hatte er gerade erst eines geschrieben und fasste nun, da er es sonst vielleicht vergessen hätte, einen Brief an seinen Verleger ab, in dem er von dem neuen Gedicht sprach. Leider hatte er an diesem Tag starke Kopfschmerzen und konnte sich nicht richtig konzentrieren. Als er ein Blatt eingespannt hatte, begann er mit dem Satz: "Ich weiß nicht, ob das neue Gedicht in deine Sammlung passen wird, aber..." Er vertippte sich fast, als das Telefon klingelte, sein Kopf dröhnte, er drückte die Returntaste und sein gerade begonnener Satz verschwand irgendwohin. Jemand hatte sich verwählt.
Ohne darauf zu achten, was er tat, schrieb er etwas über seinen Kopf. Dann, als er sich dessen bewusst wurde, wollte er denken: "Bin ich denn verrückt?", schrieb es jedoch teilweise. Dann schob er es wieder auf seine Kopfschmerzen. Er drückte noch ein paar Mal Return und wollte dann von vorne beginnen. Der Name seines Verlegers war Tigington. Was auf dem Blatt stand hatte damit jedoch nur entfernte Ähnlichkeit.
Er zog das Blatt aus der Maschine, legte ein neues ein und begann dann in voller Konzentration einen kurzen Brief abzufassen. Den anderen Zettel warf er weg. Leider, so stellte sich jetzt heraus, warf er den Zettel weg, auf dem die erste Version seines Gedichtes 'Eichenlaub im Schnee' stand und schickte den missglückten Brief an seinen Verleger. Als Frederico endlich herausgefunden hatte, was sich ereignet hatte, brach er vor Lachen fast zusammen. Niemand außer ihm wusste, was passiert war und niemand erfuhr es je, wenn auch sein Verleger gewisse Zweifel hegte. Die Weltpresse war begeistert, was wollte man mehr?
Kapitel 7
Die Tür zum Gasthof zersplitterte; die breite Klinge schlug nur noch wenige Male zu, dann stand dem ungehinderten Eintreten nichts mehr im Wege. Lächelnd trat der böse Ritter ein und schlenderte so gemächlich es in seiner Rüstung möglich war zur Theke. Freundlich lächelnd bestellte er einen großen Krug Bier und ließ dann seinen Blick durch den Raum schweifen. Angsterfüllt sahen ihn die Gäste der Schenke an, ein Mädchen begann laut zu beten. Als er sich wieder der Bedienung zuwandte, hörte er leises Getuschel in seinem Rücken.
"Seit wann bestellt er, bevor er tötet?" fragte sich jemand.
"Wir sind verloren!" stellte ein anderer fest. "Das ist das Ende!"
Mühsam verkniff sich der böse Ritter ein Grinsen. Es war das erste Mal, dass er etwas über sich hörte, über seinen Ruf. Er war sehr an Kritik interessiert. Den Krug, den ihm die zitternde Wirtin gab, in der Hand nahm er an einem Tisch mit drei Gesellen Platz. Er lächelte freundlich, hob seinen Krug und prostete ihnen zu. Sie wussten nicht was sie tun sollten, waren aber zu angsterfüllt, um den Tisch zu verlassen.
"Na, was erzählt man sich denn so?" fragte der Ritter.
"Im Nachbardorf soll eine neue Schenke eröffnet werden", murmelte jemand.
"Schade, dass wir sie jetzt nicht mehr besuchen können", murmelte ein anderer.
Böse schlug der Ritter mit der Hand auf den Tisch. "Ich will nichts davon hören. Tut nicht immer so, als wollte ich euch nichts Gutes!"
Überrascht sahen ihn die Burschen an. "Wollt Ihr uns denn nicht umbringen?"
"Natürlich, aber das heißt doch nicht, dass wir uns nicht unterhalten können, wie vernünftige Menschen!" Nachdem er schweigend seinen Krug leer getrunken hatte, tat er seine Arbeit und setzte seine Reise fort.
Über Benedict Tenderbilt wird gemunkelt, dass er in seiner Jugend selbst die Neigung verspürt habe, Menschen ins Jenseits zu befördern. Zwar sah ihn niemand je mit einem breiten Schwert herumlaufen, doch wenn man ihn beim Autofahren beobachtete, stellten sich berechtigte Zweifel ein. Dass er jedoch schon sehr früh in die Armee habe eintreten wollen, ist ein dummes Gerücht; Benedict Tenderbilt verspürte nie die Lust, sein Vaterland zu verteidigen. Viel eher verspürte er die Lust, die Bevölkerung eines Vaterlandes zu vergrößern.
Was also den Bezug der männlichen Tenderbilts zum weiblichen Geschlecht angeht, lässt sich aus der Chronik folgendes entnehmen:
"Wenn wir von Frauen reden, reden wir von Frauen. Das weibliche Geschlecht war in der Familie Tenderbilt schon immer sehr beliebt, wenn nicht gerade als Tochter, dann schon als Geliebte. Abgesehen davon, dass fast alle Tenderbilts von Geburt an männlich sind, waren die Töchter dieser Familie nie am weiblichen Geschlecht interessiert. Im Gegensatz zu den Männern. Zwar ist nicht bewiesen, dass Eduard Tenderbilt auf seiner Europareise die Hälfte der Frauen des Kontinents geschwängert haben soll, von William Tenderbilt dagegen kann man mit Fug und Recht behaupten, dass er die Hälfte aller Frauen in der Umgebung von Brindige beglückte, bevor er in den Hafen der Ehe einlief. Sein Enkel Benedict, so kann man sagen, hatte viel von ihm gelernt."
Noch immer wird auf Eduards angebliche Europatournee angespielt, ein trauriges Zeichen. Der Psychologe Dr. Ferdinant Wentwent, der in seiner Jugend immer gehänselt wurde, weil er lispelte, erklärte das Phänomen folgendermaßen:
"Alles Neid. Diese Geschichte über Eduard Tenderbilt wird, wenn Sie mich fragen, nur deshalb erzählt, weil eine derartige Reise eine Wunschvorstellung desjenigen darstellt, der sie erzählt. Wer würde denn nicht gerne durch