Martin Cordemann

Tenderbilt


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man sagen, alles was er tat, tat er um des Gartens willen, eine Tatsache, die kaum jemand in der Historie zu würdigen wusste und die auch Sir Percy erst bewusst wurde, als es zu spät war.

      Ein anderer Historiker, dessen Glaubwürdigkeit zu Recht angezweifelt werden darf, beschäftigte sich in der folgenden Art und Weise mit diesem Teil der Geschichte der Familie Tenderbilt:

      "Ein weiteres Merkmal der Verrücktheit der Tenderbilts wird darin erkennbar, dass sie ihren Gärtner anwiesen, Menschen zu ermorden und sie als Dünger zu verwenden. Diese infame Art der Botanik spricht eindeutig für sich. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich jeden, der seinem Gärtner sagt, er solle doch, wenn er welche habe, ein paar Leichen im Garten vergraben, weil dann die Orchideen besser blühen, aus tiefstem Herzen verachte."

      Es handelte sich um Rosen, nicht etwa um Orchideen! Jedoch wird dem Leser ein gewisser ablehnender Ton in der Wortwahl des besser ungenannt bleibenden Verfassers nicht entgangen sein, welcher ebenfalls die Tatsachen nicht in korrekter Weise darzustellen weiß. Er erreicht seinen Höhepunkt, als er mutmaßt, die Familie Tenderbilt habe entweder Jack the Ripper als Gärtner eingestellt, oder aber einer der Familie sei selbst der ungeschlagene Mörder gewesen. Das Buch "Geschichte aus meiner Sicht", welches der ungenannte Verfasser veröffentlichte und welches nur eines von vielen, den ganzen Markt überschwemmenden Werke über den Aufstieg und Fall der Tenderbilts darstellt, ist genau das, was er in seinem Titel sagt: aus seiner Sicht! Aber wer kann schon ahnen, dass so ein Autor keine Ahnung hat?

      Kapitel 6

      "Irgendwie wirkst du wirklich nicht so ganz verrückt, wie du es nach den Geschichten, die man sich über deine Familie erzählt, eigentlich sein müsstest", meinte Veronika Tenderbilt zu ihrem Mann Frederico, nachdem er ihr gestanden hatte, wer und was er war.

      "Danke", murmelte er.

      "Nichts zu danken. Aber wie kommt das?" Sie setzte sich auf und bedeckte ihren Busen mit dem Betttuch.

      "Naja", meinte er, während er versuchte, ihr das Betttuch zu entfernen, "ich kompensiere meine Verrücktheit, ich lenke sie auf eine andere Bahn."

      Sie grinste: "Sex?"

      Da er es endlich geschafft hatte, ihr das Tuch zu entreißen, musste er grinsen und meinte: "Ja, auch." Nachdem er seinen Kopf in ihrem Nacken vergraben hatte, murmelte er: "Aber das ist es nicht, was ich meinte!"

      "Was denn?" hauchte sie ihm ins Ohr und befreite sich aus der Decke.

      "Weswegen hast du dich in mich verliebt?" fragte er, kaum noch fähig, sich auf ihr Gespräch zu konzentrieren.

      "Also doch Sex", flüsterte sie. Später setzten sie dann ihr Gespräch fort: "Ach das meinst du." Sie sah ihn erstaunt an. "So kannst du deine Verrücktheit kompensieren?"

      "Ja, es geht. Man lässt seine Triebe so wenigstens nicht an anderen aus. Und manchmal kann man ganz gut damit verdienen."

      "Stimmt, deine Schriftstellerei hat mich schon immer fasziniert"

      "Das andere ist aber auch nicht schlecht", murmelte er und begann wieder, sie aus der Bettdecke zu befreien.

      Als sich Theobald Melberg mit dem Thema 'Kunst als Ausdruck von Schwachsinn' beschäftigte, kam er auch, nicht ohne vorher die Kabelprogramme als völlig unbrauchbare Untersuchungsobjekte eingestuft zu haben, zur Familie Tenderbilt, die, zumindest was den Schwachsinn anging, ein bekannter Name war. Was den Garten anging, hatte es nie einen Künstler in der Familie gegeben, was wohl auch mit der Furcht davor zusammenhing, dass wieder Knochen unter den Beeten gefunden werden könnten. Eduard Tenderbilt, welcher seinerzeit Haus Senkmoor erbaut hatte, galt als meisterlicher Architekt, bis sich herausstellte, dass nur fälschlicherweise behauptet wurde, er habe es gebaut, in Wirklichkeit sei es aber Leonardo da Medici gewesen, wenn auch diese Theorie noch durch einen Beweis bekräftigt werden muss. Da es ein Zeitgenosse von ihm war, stieß Melberg, nachdem er sich eingehend mit der Familienchronik befasst hatte, auf Frederico Tenderbilt, den Schriftsteller in der Familie. Doch werfen wir zunächst einen Blick auf das, was Melberg in der Familienchronik vorfand:

      "Von Kunstverständnis oder gar künstlerischem Können, gleich welcher Gattung, kann in der Familie Tenderbilt nicht die Rede sein. Es hat nie eines gegeben und so wird es vermutlich auch bleiben. Es sei denn, man bezeichnet die Fähigkeit, sich bei allen möglichen Gelegenheiten und Leuten zum Gespött zu machen, oder sich stets durch derbe Scherze über andere lustig zu machen, als Kunst!"

      Bevor wir nun zu dem kommen, was Melberg über Frederico herausfand, werfen wir erst noch einmal einen Blick auf ein Ereignis, das sich mit seinem Großvater, Sir, damals schon Lord Henry Tenderbilt, ereignete. Er befand sich, damals schon auf die 60 zugehend, auf einer Party anlässlich der Taufe eines Kindes aus der Nachbarschaft, wenn auch nicht aus seiner Nachbarschaft, denn er befand sich gerade bei Freunden zu Besuch in einem Dorf in der Nähe von Cambridge.

      Leicht angetrunken, der Zustand, in dem er die Party betreten hatte, sprach er viele der jungen Frauen an, machte ihnen unsittliche Anträge und wäre, hätte er sich in einer anderen Zeit befunden, zu diversen Duellen herausgefordert worden, so aber ließ man es damit bewenden, ihm nahe zu legen, doch bitte die Party zu verlassen, was er jedoch nicht tat, da die Gastgeber in ihrer Tauffreude auf sein Treiben noch nicht aufmerksam geworden waren.

      So begab es sich aber, dass der eigentliche Pate des Kindes auf dem Weg von London nach Cambridge im Verkehr stecken geblieben war – ein Lastzug war so freundlich, ihn mitzunehmen, frontal! Man hörte sich um, wer denn wohl an seiner statt dieses Amt auf sich nehmen würde, und da Würde etwas sehr Wichtiges war, kam man auf den adeligen Herrn mit den grauen Haaren. Der Gastgeber trat an Henry heran, der gerade seinen 29. Scotch leerte und fragte: "Sie sind doch Lord Henry, der Freund der Clingfords, nicht wahr?"

      Henry nickte und wartete auf Nummer 30.

      "Unser Pate ist auf dem Weg hierher stecken geblieben und da wollten wir fragen, ob Sie vielleicht Pate des Kindes werden wollen."

      Etwas irritiert meinte er: "Um der Vater des Kindes werden zu können, dürfte es jetzt wohl etwas zu spät sein!" (Die Geschichtsschreibung nimmt an, dass Lord Henry Tenderbilt unter Schwerhörigkeit litt!)

      "Pate, Sie sollen sein Pate werden."

      Scheinbar konnte Henry mit diesem Begriff nicht viel anfangen, im Gegensatz zu seinem Drink. "Was muss ich da denn machen?" fragte er scheinheilig.

      "Nur das Kind halten." Der stolze Vater strahlte, wessen Kind hatte schon einen Lord als Taufpaten?

      "Na gut, äh, was kriege ich denn dafür?" (Dieser Satz, der von einigen auf dieser Party Anwesenden, darunter Raymond und Jill Clingford, die Freunde, bei denen er zu Gast war, bestätigt wird, wird von der modernen, wie auch der unmodernen und veralteten Geschichtsschreibung so gedeutet: "Auf einer Party anlässlich der Taufe eines Kindes bestätigte sich, dass die Tenderbilts ihre Vorfahren in den Highlands von Schottland zu suchen haben, denn Sir Henry Tenderbilt, der sich schon damals als Lord ausgab, fragte: '...'")

      "Sie werden der Pate meines Kindes", soll daraufhin wahrheitsgemäß der stolze und nun etwas verwirrte Vater des Kindes gesagt haben.

      Henry ließ sich überreden und hielt das Kind. Während der Taufe musste er kurz die Orientierung verloren haben, denn als das Kind anfing zu schreien, versuchte er es abzuschalten, offensichtlich in dem Glauben, es handele sich um eine Art Radio. Nur die Umsicht des Pfarrers verhinderte schwere Schäden des Kindes. Als es dann soweit war, das Kind in das Weihwasserbecken zu tauchen, fragte Henry, ob sie es pur haben wollten, oder 'on the rocks'. Auch hier verhinderte das scharfe Auge des Pfarrers ein Ertrinken des Kindes in dem großen Becken. Nach der Taufe kam Henry dann endlich dazu, sich ordentlich zu betrinken.

      Es war allerdings nicht so, dass Frederico Tenderbilt aus dieser Tradition, wie man es nannte, heraus fiel, nein, auch er leistete sich in seiner Jugend so manchen Fehltritt, ohne den sich Melberg wahrscheinlich auch nicht für seine Arbeit interessiert hätte, doch versuchte er, diese Triebe, die in seiner Familie zu herrschen schienen, diesen Hang zum Extravaganten, der schon ins extrem Exzentrische ging,