Valuta Tomas

Final Game


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stampft in den Flur und rupft die Schublade der Kommode fast heraus. Hektisch schiebt sie Ersatzschlüssel, Kinokarten, Kugelschreiber, kleine Blöcke und sonstige lästige Gegenstände herum bis sie fündig wird. Mit einem Feuerzeug und einer Schachtel Zigaretten ausgestattet, trampelt sie in die Küche zurück und zieht die Kaffeetasse unter dem Automaten weg.

      Draußen auf der Veranda setzt sie sich auf die Stufen, stellt den Kaffee ab und zündet sich eine Zigarette an. Gleich der erste Zug wird mit einem ausgestreckten Mittelfinger ihrer Lunge quittiert. Ihr ist es egal. Es ist Ewigkeiten her, dass sie geraucht hat. Sie brauchte dieses Zeug nicht. Nie gab es eine Situation der sie nicht Herr war und unter Kontrolle hatte. Aber jetzt, jetzt braucht sie einfach eine Zigarette. Sie hat das Gefühl ihre Nerven würden blank liegen. Sie fühlt sich erschöpft und zugleich aufgekratzt. Sams Verhalten macht sie nervös. Irgendetwas stimmt nicht. Nur was? Eigentlich bringt sie kaum etwas so schnell aus der Fassung, dass sie sich tatsächlich hilflos fühlt. Aber Sams Verhalten von vorhin lassen ihre Alarmglocken läuten.

      Neve legt das Feuerzeug zur Seite und zieht noch einmal an der Zigarette. Auch dieser Zug wird hustend aufgenommen.

      Ihr Blick fällt auf die Hand, die bis eben noch das Feuerzeug hielt. Langsam hebt sie diese bis vor die Augen. Sie dreht sie und schaut sich den Handrücken genau an. Sie betrachtet die Finger und den Ringfinger mit dem Zeichen dieser unerklärlichen Liebe Sam gegenüber.

      Neves Augen wandern über die Hand, bis sie schmunzelt. Ihr Blick tanzt über alte und faltige Haut. Nichts sitzt mehr so wie sie es eigentlich gewohnt ist. Altersflecken belagern ihre Haut, die wie ein ledriger Lappen über ihren Knochen hängt. Da cremt sie sich jeden Abend vor dem zu Bett gehen die Hände ein, kann die Zeit und deren Fortschritt dennoch nicht aufhalten.

      »Kein Wunder, dass sich Sam jüngere Frauen sucht. Das ist doch nicht mehr schön«, murmelt sie enttäuscht über sich selbst und betrachtet ihre leicht sehnige Hand noch immer eingehend.

      »Du sollst damit aufhören.« Sams keifende Stimme lässt Neve zusammenfahren. Erschrocken dreht sie sich um. Ihre Frau steht mit geballten Fäusten und vor Wut kochend in der Verandatür. Ihr Blick verweilt flüchtig auf der Zigarette in Neves Hand, dann schaut sie ihre Frau wütend an. Wenn Blicke töten könnten, würde Neve wie ein steifes Stofftier zur Seite umkippen.

      »Du rauchst, nur weil wir keinen Sex mehr haben? Macht dich das wirklich so fertig?« Sams Stimme zerreißt es fast vor Wut. Was ist nur in diese Frau gefahren? Weshalb scheint sie so maßlos wütend zu sein?

      Bevor Neve aber antworten kann, dreht sich Sam um und verschwindet im Haus. Mit einer schnellen Bewegung wirft die ältere Frau die Zigarette in den Garten und eilt ihrer Frau hinterher. Im Flur bleibt sie verwundert stehen. Mit dem Rücken zu ihr, steht Sam regungslos vor ihr. Der Kopf ist leicht gesenkt, die Hände noch immer zu Fäusten geballt.

      »Soll ich dir zeigen, weshalb wir nicht mehr miteinander schlafen? Willst du wirklich den Grund dafür wissen?« Neve schluckt. Will sie den Grund wirklich wissen? Will sie der Wahrheit in die Augen blicken?

      Sam schaut über ihre Schulter hinweg nach hinten und hebt die Hände.

      »Es ist jedenfalls nicht, weil ich irgendwelche jüngere Frauen vögel. Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass es für mich nur noch dich gibt.« Sams Stimme sprüht vor Aggressivität. Ihre Hände werkeln währenddessen am Oberteil des Schlafanzuges herum. Nachdem alle Knöpfe geöffnet sind, schiebt sie das Kleidungsstück von den Schultern und dreht sich um. Kaum steht sie ihrer Frau halbnackt gegenüber, greift sie an den Hosenbund und schiebt auch das letzte Kleidungsstück ihren Körper entlang.

      »Das ist der Grund. Das und nichts anderes«, zischt Sam, kaum, dass die Hose den Boden berührt.

      Als sie anfing sich dem Oberteil zu entledigen, dachte Neve für einen kurzen Augenblick, dass Sam eine Verletzung hat von der sie nichts weiß und sie hässlich entstellt. Aber wenn sie jetzt Sams Körper betrachtet kann sie nichts Auffälliges sehen.

      »Sieh mich an, Neve. Sieh mich an.« Neve schluckt. Was ist mit Sam nur los?

      »Das … das mache ich«, stottert sie verunsichert. Ihre Augen gleiten ein weiteres Mal Sams nackten Körper entlang. Sie weiß nicht worauf sie ihr Augenmerk richten soll. Nichts an Sam ist auffällig was ihre Aufmerksamkeit erregen könnte. Ihre Frau sieht aus wie eh und je.

      »Ich bin hässlich, Neve. Seit Jeans Geburt ist mein Körper nicht mehr das was er einmal war. Ich hasse ihn! Ich hasse ihn mehr als ich es in Worte fassen könnte!« Was? Neves Augen weiten sich erschrocken. Verwundert über diese völlig irrsinnige Aussage, starrt Neve ihre Frau an. Deren wütender Gesichtsausdruck deutet an, dass sie zur Hochform aufläuft.

      »Ich habe während der Schwangerschaft über fünfzehn Kilo zugenommen und bin bis heute nur zwölf davon losgeworden.« Bestätigend greift sie sich in die Seite. Das bisschen Fleisch was sie zwischen ihre Finger quetscht kann doch nicht ihr Ernst sein, oder?

      »Ich habe unzählige Cremes und Öle ausprobiert, nur damit meine Haut nicht reißt, aber nichts half. Mein Bauch sieht mit den Schwangerschaftsstreifen wie ein fettes Zebra aus.« Neve glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. Bitte was? Fettes Zebra? Sam hat insgesamt sechs Streifen auf ihrem Bauch. Ihr Bindegewebe ist so unfassbar gut, dass man diese Streifen kaum sieht. Nur wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man sie. Und damit übertreibt Neve noch nicht einmal. Sams Schwangerschaftsstreifen sind wirklich kaum zu erkennen. Sie sind dünne Fäden. Sam scheint das aber völlig anders zu sehen.

      »Ich hatte so sehr gehofft und tatsächlich gebetet, dass mir das nicht passiert, aber ich habe mich sogar geweitet. Ich wollte so bleiben wie ich war, damit du weiterhin so mit mir schlafen kannst wie du es gewohnt warst.« Sams Stimme bricht. Tränen schießen in ihre Augen.

      »Aber nein, ich musste mich ja unbedingt weiten. Wenn du in mich eindringst benutzt du mittlerweile von Anfang an zwei Finger anstatt einen. Wenn du nur einen benutzen würdest, wäre es, als wenn ein Irischer Wolfshund einen Chihuahua vögelt. Mehr als Luft rammelt der da nicht. Und dasselbe hast du mit mir. Ich wollte dir das nie antun. Ich wollte so bleiben wie ich war. Ich wollte dir für immer gefallen und dir einen wunderschönen Körper bieten. Aber es ist alles im Arsch. Nichts ist mehr so wie es einmal war. Und dafür hasse ich meinen Körper.«

      Neve kann nicht so schnell reagieren, wie Sam sich bückt, die Hose hochzieht und das Oberteil vom Boden aufhebt.

      »Sam … .« Neve macht einen Schritt in ihre Richtung, aber Sam reißt sich herum und rennt weinend die Treppe hinauf. Oben rennt sie Precious fast über den Haufen. Mit Jean umständlich im Arm, schaut Precious ihrer Mutter verwundert hinterher. Verdattert blickt sie nach unten und erfasst Neve. Die steht am unteren Ende der Treppe und blickt ihrer Frau verzweifelt hinterher. Als sie ihre Kinder dort oben stehen sieht, verdrängt sie die Sorgen um ihre Frau. Mit einem Ohr hört sie die Badezimmertür im Schlafzimmer zuschlagen. Alle anderen Sinne richtet sie auf ihre Kids.

      »Guten Morgen«, lächelt sie gequält. Sie drückt Precious einen Kuss auf den Kopf, kaum dass sie mit Jean unten ankommt.

      »Was ist mit Mommy? Warum weint sie? Habt ihr euch gestritten?« Wie kann man so kurz nach dem aufstehen schon so viele Fragen auf Lager haben?

      Precious lehnt sich etwas zurück und blickt skeptisch zu Neve hinauf.

      »Mummy, du stinkst. Hast du etwa geraucht?« Jetzt kriegt man es sogar schon von den eigenen Kindern volle Breitseite.

      Leicht genervt schnauft Neve laut aus und nickt.

      »Ja und es war ein Fehler. Tut mir leid«, pustet sie entkräftet. Kann der Tag eigentlich noch besser beginnen?

      »Hast du Jean etwa ganz alleine aus dem Bett geholt?« Erstaunt streicht Neve dem Zwerg über den Kopf.

      »Mamaaa«, jault Precious genervt. Seit einiger Zeit versucht sich die kleine Maus an den verschiedensten Varianten dieser Betitelungen. Selbst Sam bekommt oft genug ein kurzes Mum an den Kopf geworfen.

      »Ich bin schon fast zwölf Jahre alt und nicht mehr so klein wie ihr immer denkt. Natürlich habe ich Jean alleine aus dem Bett geholt.« Neve