Stefan Raile

Rückkehr nach Strapen


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Pelle rücken möchten, kann mit Freiwilligen allein nicht auskommen.“ Fredi nahm wieder seine Schirmmütze ab und wischte mit dem Taschentuch über die feuchte Stirn. „Nun aber Schluss mit dem Disput!“, entschied er. „Ich hab einen Bärenhunger. Wollen wir noch hoch ins Restaurant?“

      „Aber nur, wenn es auf meine Rechnung geht.“

      Fredi lächelte ein bisschen, während er sagte: „Wenn‘s sein muss …“

      „Es muss“, meinte ich. „Im Übrigen bin ich nicht ganz uneigennützig.“

      „Nein?“

      „Ich hoffe, du wirst mir noch was erzählen.“

      „Worüber denn?“

      „Über deinen Dienst.“

      5

      Wir hatten uns auf eine Bank gesetzt. Dagmar stützte den linken Ellbogen auf die Lehne und blickte ins Tal, wo an den Häusern Lichtflecke schimmerten. „Hat er erzählt?“, fragte sie.

      „Ja“, sagte ich.

      „Und es hat dich beindruckt?“

      „Ziemlich.“

      „Das verstehe ich“, meinte sie. „Da begegnest du einem, der in der Schule schlechter war als du. Nun ist er dir über, hat dich auf deinem imaginären Hang überholt. Jeder will da ja hoch, scheint mir. Zumindest die meisten. Der Mensch braucht ein Ziel. Etwas muss immer locken und ziehen. Sonst wird es nichts. Du hattest kein Ziel mehr. Nichts war da. Nichts. Und der Andere befand sich über dir. Ein gutes Stück sogar. Daran dachtest du damals sicher. Oder nicht?“

      „Vielleicht.“

      „Es wurmt, wenn man merkt, dass andre erfolgreicher sind“, sagte sie. „Aber gleichzeitig kitzelt einen schon der Ehrgeiz, und man denkt: Was ein andrer schafft, schaff ich auch.“

      „Irrtum“, sagte ich. „So gradlinig ist es nicht verlaufen. So gradlinig verläuft es nie. Vieles wird einem gar nicht richtig bewusst. Es bleibt unterschwellig. Natürlich gibt‘s welche, die ihre Motive wie aus der Pistole geschossen runterleiern können. Schale Lippenbekenntnisse, die niemand was nutzen!“

      „Mach keine Affäre draus“, bat Dagmar. „So absolut habe ich‘s nicht gemeint. Trotzdem glaube ich, dass in meiner Ansicht ein Körnchen Wahrheit steckt.“

      „Mag sein“, gab ich zu. „Im Übrigen kommt es nicht so sehr darauf an, warum einer etwas tut. Wichtiger ist, finde ich, dass er‘s tut.“

      „Natürlich“, pflichtete sie mir bei. „Und doch sollte man es im Zusammenhang sehen. Wie willst du sonst Fehler rechtzeitig erkennen und korrigieren?“

      „Werd deutlicher!“, forderte ich.

      Dagmar sah mich an. „Du warst in einer vertrackten Situation. Verständlich, dass man daraus entfliehen möchte. Nur besteht die Gefahr, dass man nach einer raschen Lösung sucht und die erste beste wählt, die sich bietet.“

      „Es war kein Trugschluss“, behauptete ich, dachte: Du hast einen Platz gesucht, auf dem du durchhältst, wo du dich beweisen kannst. Fredi hat bloß den letzten Anstoß gegeben. „Es war meine Entscheidung“, sagte ich. „Und ich bereue sie bisher nicht.“

      „Nein?“, zweifelte sie. „Du bist also ausgefüllt vom Soldatenleben?“

      Sie gibt keine Ruhe, dachte ich. Manchmal will sie‘s um jeden Preis besser wissen. Warum nur? Fürchtet sie um ihr Prestige? Glaubt sie, als Medizinstudentin dürfe man sich nicht irren? „Gegen große Worte hab ich was“, sagte ich.

      „Gut“, lenkte sie ein. „Also schlichter: Bist du zufrieden?“

      „Wer ist das schon?“

      „Du kneifst.“ Sie stieß hörbar die Luft aus. „Also noch anders: Bist du glücklich?“

      „Ja“, erwiderte ich. „Durchaus.“

      Da lächelte sie wie eine, die es besser weiß. „Und du bist es ganz umfassend?“

      Ihre Hartnäckigkeit brachte mich auf. „Wozu das alles? So finden wir kein Ende!“

      „Vielleicht ist meine Fragerei wirklich eine Marotte“, sagte Dagmar versöhnlich. „Ich hab schon meinen Vater damit genervt. Was wollte ich nicht alles erläutert haben! Er hat mir immer mit großer Geduld geantwortet. Nur einmal musste er sich tüchtig den Kopf zerbrechen. Da hatte ich ihn gefragt: Was ist Glück? Er grübelte lange, bevor er antwortete: Das zu erklären, ist schwierig. Alle möchten es finden, das Glück. Sie jagen ihm hinterher, wieder und wieder, doch nur wenige erlangen es wirklich. Ich werde darüber nachdenken. Morgen erkläre ich‘s dir.

      Sicher überlegte er gründlich, trotzdem fand er keine kurze plausible Antwort wie sonst. Und so erzählte er mir ein Märchen:

      Vor langer, langer Zeit lebte hinter einem großen Wald eine alte Frau mit ihrem Enkel. Sie bewohnten ein armseliges Häuschen, durch dessen rohrgedecktes Dach der Regen troff. Der Bursche arbeitete von früh bis spät auf dem kleinen Acker. Dabei musste er sich tüchtig placken; denn der Boden war steinig und unfruchtbar.

      Eine Woche verging so trostlos wie die andre, nur sonntags wanderte der Bursche manchmal in ein fernes Dorf. Dort trank er im Wirtshaus einen Becher Wein, tanzte mit dem hübschesten Mädchen und war voller Freude.

      Nach solch einem Ausflug sagte er zur Großmutter: ‚Es geht ungerecht zu auf der Welt. Man muss sich allzu lange schinden, um ein paar Stunden froh zu sein.‘

      Die alte Frau dauerte die trübselige Stimmung ihres Enkels. Sie überlegte die ganze Nacht, wie sie ihm helfen könnte. Am nächsten Morgen sagte sie: ‚Vielleicht lässt sich deine Lage ändern.‘

      ‚Wie denn?‘, fragte der Bursche. ‚So sprich doch!‘

      ‚Was ich dir vorschlagen möchte, ist nicht ungefährlich‘, meinte die Großmutter. ‚Du brauchtest eine Menge Mut.‘

      ‚Daran soll‘s nicht mangeln‘, versprach der Enkel.

      ‚Nun gut‘, sagte die Alte. ‚Dann hör mir aufmerksam zu.‘ Und sie erzählte ihm von einer Waldfee, die tief im Dickicht eine Höhle unter einer mächtigen Eiche behause. Bei Vollmond käme sie aus ihrem Versteck, wenn man sie mit einem Sprüchlein riefe und erfüllte dem Bittenden allerlei Wünsche.

      Von jener Stunde an vergingen dem Burschen die Tage zu langsam, nachts schlief er unruhig, träumte von Reichtum und Glück. Als der Mond gelb und rund am Himmel stand, machte er sich auf den Weg. Weit drang er in den Wald ein, unter seinen Schuhen barsten Zweige, raschelte Laub, über ihm flatterten Vögel, schrien gellend Käuze, um ihn funkelten die Augen von vielerlei wildem Getier. Obwohl es warm war, kroch dem Burschen Kälte über den Rücken.

      Gegen Mitternacht erreichte er die mächtige, uralte Eiche und rief sogleich:

      ‚Waldfee mit dem Menschgesicht,

      komm hervor ins Mondenlicht.‘

      Da bebte die Erde und öffnete sich spaltbreit zwischen den knorrigen Wurzeln, ein schleierumhülltes Wesen mit flachshellem Haar schwebte heraus und blieb vor dem Burschen stehen.

      ‚Was willst du?‘, fragte die Fee.

      ‚Schenk mir das Glück‘, bat der Bursche.

      ‚Das kann ich nicht‘, sagte sie. „Niemand kann‘s. Man muss es allein finden, weil es in einem selbst liegt. Ich verfüge bloß über irdische Güter.‘

      ‚Das reicht‘, meinte der Bursche. ‚Zaubere mir ein schmuckes Haus, und stelle in den einen Raum eine Truhe mit Dukaten. Jedes Mal, wenn ich davon eine Hand voll entnehme, sollen ebenso viel Münzen nachgefüllt werden. Die übrige Einrichtung kann nach deinem Geschmack sein. Da bin ich nicht mäklig. Nur eins möchte ich noch erbitten: einen prächtigen Rappen, der schneller ist als die anderen Pferde.‘