Andreas Richter

Tattoo


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ist … mit ihr?« Die Stimme des Blonden war kurz vor dem Versagen. Er ahnte die Antwort bereits. Ihm brach der Schweiß am ganzen Körper aus.

      Der Lockenkopf holte tief Luft und sagte: »Es gibt nur eine Formel, die unsere Ärsche rettet, und die lautet: Keine Leiche plus keine Anklage gleich kein Knast.«

      Der Blonde verstand. Seine Gesichtsmuskeln zuckten.

      »Es ist die einzige Möglichkeit, Mann. Uns bleibt keine andere Wahl.«

      »Das können wir nicht machen, auf gar keinen Fall.« Der Blonde schüttelte hektisch den Kopf und kämpfte mit einer Welle Übelkeit.

      »Nein, das geht nicht!«

      »Wir müssen es machen. Oder hast du etwa einen besseren Vorschlag?«

      Der Blonde war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Wie stellst du dir das denn vor? Das geht nie gut. Wenn ein Mädchen verschwindet, wird alles in Bewegung gesetzt, um es zu finden. Die Polizei verfolgt die kleinsten Spuren, die graben Landstriche um und pumpen ganze Teiche leer. Die hören nicht auf zu suchen, bis sie das Mädchen gefunden haben, und selbst wenn fast die ganze Welt die Sache längst vergessen hat, suchen und jagen sie weiter, die lassen nicht locker. Alter, wenn wir jetzt noch mehr Scheiß bauen, wird alles nur noch schlimmer. Komm, lass' uns vernünftig sein. Wir gehen zur Polizei und erzählen denen die Geschichte. Wir müssen die Verantwortung übernehmen. Wir können uns nicht drücken, das geht nicht.«

      Der Lockenkopf holte tief Luft und sagte: »Hör' zu, Mann: Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass das Mädchen aufsteht, sich an nichts erinnert und uns fragend ansieht und einfach davongeht. Doch das wird sie leider nicht. Weil sie nämlich tot ist. Und daher spielt es für sie nicht mehr die geringste Rolle, was mit dir und mir passiert. Aber für dich und mich, für uns spielt es sehr wohl eine Rolle, wie es mit uns weitergeht. Ja, Scheiße, wir haben sie getötet. Das ist nicht zu verzeihen, aber sollen wir den Rest unseres Lebens dafür zahlen? Für immer geächtet sein?«

      Der Blonde starrte in die Dunkelheit.

      Der Lockenkopf sagte mit betont ruhiger Stimme: »Hör' zu, Mann, ich sag' dir, was wir machen: Wir werden das Mädchen erst mal verstecken. Gleich hier. Dann gehen wir nach Hause und kommen ein wenig zur Ruhe, fahren uns runter und schlafen ein paar Stunden. Okay? Wenn es hell ist, kehre ich zurück und kümmere mich um sie. Du brauchst nicht dabei zu sein, ich mach' das schon. Klingt das soweit okay für dich?«

      »Alleine?«, fragte der Blonde und sah den Lockenkopf staunend an. »Warum du alleine?«

      »Weil wir auf Nummer sicher gehen müssen. Wenn nur einer von uns beiden hier ist, werden weniger Spuren hinterlassen. Und sollte plötzlich jemand auftauchen, kann einer sich schneller und besser verstecken als zwei. Das ist der Grund.«

      Der Blonde glaubte ihm nicht, doch es war ihm lieber, diese durchschaubare Lüge zu hören als die Wahrheit, dass der Lockenkopf ihm nicht viel zutraute.

      »Was wirst du mit ihr ... machen?«, fragte er.

      »Das weiß ich noch nicht. Ehrlich nicht. Es ist jetzt auch nicht wichtig, Mann. Entscheidend ist, dass das Mädchen niemals gefunden wird.«

      Der Blonde betrachtete die Tote. »Gott, wir machen einen Riesenfehler«, sagte er leise. »Das klappt nicht, am Ende wird es für uns nur noch schlimmer enden.«

      Der Lockenkopf legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich verspreche dir, dass alles gut gehen wird. Ehrlich, Mann. Wichtig ist, dass wir beide dichthalten. Für immer. Also, ich werde gegenüber keiner Menschenseele auch nur ein einziges Wort über diese Nacht verlieren, darauf kannst du dich verlassen. Und was ist mit dir? Schweigst du auch eisern? Kann ich mich auf dich verlassen, mein Freund?«

      Ich bin nicht dein Freund, dachte der Blonde wie betäubt, und nach dieser gottverdammten Horrornacht werde ich es auch niemals sein.

      »Kannst dich auf mich verlassen«, sagte er leise und senkte den Blick. »Zu niemandem ein Wort, niemals.«

      Der Lockenkopf nickte kaum merklich und reichte dem Blonden die Hand, um die Abmachung zu besiegeln.

      Der Blonde schlug ein.

      Und spürte in seinem Innersten, dass er einen unverzeihlichen Fehler beging.

      2.

      Er blickte in den Spiegel und hörte das Lachen. Dieses zynische, spöttische Lachen. Es kam von allen Seiten und drückte wie gewaltige Wassermassen.

      Damals, nachdem er endlich begriffen hatte, was vor sich ging, hatte er es zum ersten Mal gehört. Das lag bereits einige Zeit zurück, aber längst nicht lange genug, um sich nicht daran zu erinnern, dass das Lachen damals genauso geklungen hatte, wie es heute klang. So klirrend kalt und so unumstößlich endgültig.

      Sie betrat das Badezimmer und blieb hinter ihm stehen. Sie betrachtete ihn im Spiegel und las die Wut und Resignation in seinen Augen, sah diesen traurigen Ausdruck, den sie nur zu gut kannte.

      »Wie geht es dir?«, fragte sie.

      »Fantastisch«, knurrte er.

      Sie nahm ihm die Haarbürste ab und legte sie zurück in den Korb aus geflochtenen Wasserhyazinthen, in dem seine wenigen Pflegeutensilien lagen.

      Er betrachtete seine Finger und murmelte: »Schau' nur, wie vertrocknete Zweige, sie sehen so aus wie abgestorbene Holz-zweige. Bin ich etwa ein Scheißbaum?«

      Während sie mit schnellen Griffen ihren Pferdeschwanz richtete, betrachtete sie ihr Spiegelbild und stellte einmal mehr fest, dass sie entsetzlich müde aussah. Es verwunderte sie nicht im Geringsten. Sie hatte einen leichten Schlaf und hörte es jede Nacht, wenn er sich laut stöhnend im Bett umdrehte, vor sich hin murmelte oder in die verschließbare Urinflasche pinkelte, die sie im Sanitätshaus gekauft hatte, damit er Nachts nicht aufstehen musste. Was sie allerdings seit längerem nicht mehr gehört hatte, war Schluchzen. Er weinte nicht mehr. Und ihr war klar, weshalb: Er hatte akzeptiert, was geschah und nahm es hin als etwas, das er nicht verhindern konnte.

      Das niemand verhindern konnte.

      »Ich bin froh, dass wir gestern Abend alles besprochen haben«, sagte er plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken heraus. »Es wird nicht einfach für dich werden, Engel, aber ich erwarte, dass du dich an unsere Absprache hältst. Denn ab dann geht es nur noch um dich und nicht mehr um mich. Ich möchte nicht wissen, was los ist, wenn du dich nicht an die Absprache hältst und die Prozedur ihren üblichen Lauf nimmt.«

      Sie verspürte ein Ziehen im Magen. Es stimmte, es wäre kaum auszudenken. Doch die Vorstellung von dem, was sie zugesagt hatte, behagte ihr ganz und gar nicht. Sie hoffte, dass ihr bis dahin noch eine Menge Zeit blieb – und gleichzeitig wünschte sie sich, dass es möglichst bald soweit sein würde. Dass der Tag rasch kommen würde.

      »Wir machen es wie besprochen«, sagte sie und lächelte gequält.

      »Gut, so ist es gut. Engel. Weißt du, auch wenn es kitschig klingt, aber ich hätte mir nie vorstellen können, jemals einem Menschen so dankbar zu sein wie dir. Ich könnte das, was du für mich tust, für niemanden tun. Nicht mal für dich. Ist das nicht eine schlimme Aussage, die ich da mache? Du leistest Unmenschliches für mich und musst dir anhören, dass ich dasselbe für dich nicht tun würde.«

      »Das stimmt nicht, du würdest an meiner Stelle ebenso handeln.«

      »Ach ja? Nun, zu deinem Glück werden wir es nie herausfinden.«

      Sie wandte sich ab und sagte: »Ich werde mal losgehen und die Einkäufe erledigen.«

      »Ach ja, deine tägliche Auszeit. Jeden Tag zwischen neun und zehn Uhr für ziemlich genau zwei Stunden, auch am Sonntag. Raus hier und durchatmen. Ja, das kann ich verstehen, Engel, ich verstehe es wirklich.«

      Sie half ihm vom Schemel hoch.

      »Es ist nicht schlechter geworden in den vergangenen Wochen«, sagte er und drückte gequält den Rücken durch. »Wäre ich ein beschissener