Andreas Richter

Tattoo


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vielmehr: Es betete in ihr.

      Wie ein natürlicher Reflex, dachte sie schaudernd.

      ●

      Lars stand im Badezimmer und in seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Wann war das hier endlich vorbei, wann rief Karla an und befreite ihn aus diesem irrsinnigen Traum? Doch er wusste nur allzu genau, dass dies die Wirklich-keit war, auch wenn sie ihm nie unwirklicher vorgekommen war als in diesem Moment.

      Die Präsentation, fuhr es ihm durch den Kopf, er musste sich fertigmachen.

      Irgendwie gelang es Lars, sich halbwegs aus der Starre zu befreien. Während er sich rasierte, fiel sein Blick immer wieder auf die Zeichnung auf dem Arm, und jedes Mal traute er seinen Augen kaum.

      Auch unter der Dusche konnten Wasser und Seife den Farben nichts anhaben. Minutenlang stand Lars unter dem Wasserstrahl, den Kopf gedankenleer gesenkt und die Hände gegen die Wand gedrückt. Als er schließlich aus der Dusche heraustrat, hing die Feuchtigkeit wie ein Schleier in der Luft und der Spiegel war beschlagen. Lars öffnete die Badezimmertür und sah zu dem Bett.

      War es möglich, dass ...? Nein, dachte Lars, vollkommen unmöglich. Niemand war während der vergangenen Nacht herein spaziert und hatte ihn seelenruhig tätowiert, während er tief und fest geschlafen hatte. Auf der anderen Seite wusste Lars mit absoluter Sicherheit, dass er die Tätowierung gestern Abend noch nicht gehabt hatte – also musste sie ihm während des Schlafens gestochen worden sein. Und dann war da noch etwas, das nicht passte, und zwar etwas ganz Entscheidendes. Denn obgleich Lars nicht wusste, wie es sich anfühlte, tätowiert zu werden, wusste er eines sehr wohl: Es dauerte einige Tage, bis die von der Tätowiernadel verletzte Haut wieder verheilt war.

      Und genau das war der Knackpunkt. Denn die Haut auf Lars' Arm war unversehrt.

      Fünfzehn Minuten später saß Lars im Frühstücksraum und starrte vor sich hin. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Becher Kaffee. Um ihn herum herrschte gemäßigtes Treiben. Lars hörte das Klappern von Geschirr und Besteck, er vernahm Stimmen und sogar das Umschlagen von Zeitungsseiten, doch das alles schien weit entfernt zu sein.

      Ein Mann mit vollbeladenem Frühstücksteller in der Hand stieß ihn beim Vorbeigehen leicht an. Es riss Lars aus den kreisenden Gedanken heraus. Der Mann entschuldigte sich knapp und Lars akzeptierte mit einem kurzen Nicken. Er blickte auf die Uhr. Es wurde Zeit.

      Er stand auf und kehrte in das Hotelzimmer zurück. Mit schnellen Griffen stopfte er seine Sachen in die Reisetasche, zog den Mantel über und schnappte sich den Pilotenkoffer mit Trolly, in dem er den Laptop und die Unterlagen für die Präsentation verstaut hatte. Dann atmete er tief durch und sagte vor sich hin: »Lars Benthien, du hast eine wichtige Präsentation vor der Brust und willst diesen Auftrag unbedingt haben. Du und deine Mannschaft, ihr habt dafür geackert wie die Wahnsinnigen, und es geht um eine Menge Kohle. Du fährst da jetzt hin und tütest den Auftrag ein. Keine Gedanken an andere Dinge, du konzentrierst dich nur auf deinen Job, nichts anderes zählt.«

      Lars verließ das Zimmer und marschierte zur Rezeption. Er checkte aus, unterschrieb die Kreditkartenabrechnung und bat Karla, ihm ein Taxi zu rufen. Dann setzte er sich auf einen der Sessel im Foyer und wartete.

      Während der gesamten Präsentation war Lars vollkommen fokussiert. Es war, als würden ihm alle Antworten auf die gestellten Fragen der sechs Unternehmensvertreter ins Ohr geflüstert. Er war getragen von absoluter Sicherheit, spürte, dass nichts schief gehen, ihn nichts in Verlegenheit oder aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

      Obgleich für die Präsentation ein ganzer Tag angesetzt worden war, war bereits am späten Mittag Schluss. Lars wusste, dass er auf der ganzen Linie überzeugt hatte, doch er vermied es, es sich anmerken zu lassen. Er überreichte ein detailliertes Leistungs- und Kostenangebot, und ihm wurde gesagt, dass man sich innerhalb der kommenden Woche bei ihm melden würde. Dan verabschiedeten sich die Unternehmensvertreter von Lars und ließen ihn alleine, damit er in Ruhe seine Sachen zusammen-packen konnte.

      Kaum war Lars alleine im Raum, setzte er sich auf einen der Konferenzstühle, lockerte die Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf, atmete tief durch. Erst jetzt bemerkte er die Anspannung, die nun von ihm abfiel wie ein schwerer Mantel. Kurz darauf rief er die Website der Fluggesellschaft auf, mit der er fliegen würde. Er buchte seinen Rückflug auf einen früheren Flug um, der in etwas mehr als zwei Stunden abheben sollte.

      Anschließend packte er rasch seine Sachen zusammen und bat die Teamassistentin im Empfangssekretariat, ihm ein Taxi zu rufen. Dann ging er zu den Sanitärräumen und schloss sich in einer der WC-Kabinen ein. Er zog das Jackett aus und drückte den Ärmel des weißen Hemdes auf seinen Oberarm.

      Die Zeichnung. Sie schimmerte durch den Stoff.

      Lars schüttelte den Kopf. Er verstand das alles nicht. Doch er brauchte Antworten – und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er sich damit nicht zu viel Zeit lassen sollte.

      4.

      Was ist denn das?«, fragte Melanie verwundert.

      »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Lars, »aber es könnte eine Tätowierung sein.« In Anzugshose und mit freiem Oberkörper stand er im Wohnzimmer.

      Sie runzelte die Stirn. »Aha, es könnte also eine Tätowierung sein, aber du bist dir nicht ganz sicher – alles klar, ich verstehe.«

      Lars kannte diesen abfälligen Tonfall nur zu genau. Niemand beherrschte ihn besser als Melanie.

      Sie sagte: »Also, wenn dies eines dieser Airbrush-Tattoos ist, die nach einigen Wochen wieder verblassen, muss ich dir leider sagen, dass das ziemlich albern ist. Für meinen Geschmack bist du deutlich zu alt für solchen Blödsinn.«

      »Es ist kein Airbrush und auch nichts anderes, das ich auf meinen Arm habe malen lassen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie es dort hin gekommen ist. Ich wachte heute früh auf und da waren diese Farben auf meinem Arm. Sie lassen sich nicht abwaschen, ich habe alles versucht. Morgen Vormittag gehe ich zum Hautarzt und lasse es anschauen, ich habe mir bereits einen Termin besorgt. Es sieht aus wie eine Tätowierung, aber es kann unmöglich eine Tätowierung sein.«

      »Nicht zu fassen«, murmelte Melanie kopfschüttelnd, »der Mann erzählt den größten Müll und hält sich dabei auch noch für oberwitzig.«

      »Melli, verdammt ...! Weshalb glaubst du mir nicht?«

      Sie lachte unecht auf. »Weil es da nichts zu glauben gibt! Du kommst nach Hause und erzählst diesen Schwachsinn von einer möglichen oder angeblichen Tätowierung, doch da eine frischgestochene Tätowierung anders aussieht als das, was auf deinem Arm ist, kann es sich unmöglich um eine frische Tätowierung handeln. Also handelt es sich entweder um eine bereits wochenalte Tätowierung, die du irgendwie vor mir verborgen gehalten hattest oder ...«

      »Ich halte nichts vor dir verborgen.«

      »... oder es ist eines von diesen bescheuerten Airbrush-Dingern, Punkt! Also, was ist es nun?«

      »Ich weiß es nicht, verdammt noch mal. Es ist genau so, wie ich es sage. Ich wachte heute früh auf und da war ...«

      »Hör' auf!«, brüllte sie und Tränen stiegen in ihre Augen. Sie zischte: »Ruhe, sei still, halt den Mund! Ich ertrage diesen Mist nicht länger. Nicht heute, nicht nach diesem Scheißtag.«

      »Oh, du hattest einen Scheißtag?«, fragte er herablassend. »Na, dann frag' mich mal. Ich habe vor einem Haufen Wichtigtuer den Kasper gemacht, um einen fetten Auftrag an Land zu ziehen, für den ich mir wochenlang Tag und Nacht den Arsch aufgerissen habe, und das, nachdem ich heute nach dem Aufwachen diese ... Tätowierung, oder was auch immer es ist, auf meinem Arm entdeckt hatte. Hast du eine Vorstellung davon, was für ein gewaltiger Schreck das gewesen war? Und keine drei Stunden später musste ich auf den Punkt konzentriert und gut drauf sein, damit die Kohle aus den Taschen dieser blasierten Manager-Idioten in meine Tasche wandert. Wie du dir also vorstellen kannst, hat mich dieser Tag gehörig durcheinander gebracht und ziemlich gestresst. Und dann komme ich nach Hause, und meine liebe