Andreas Richter

Tattoo


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begann zu schluchzen. »Lass' mich in Ruhe«, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und eilte aus dem Raum. Kurz darauf hörte Lars die Haustür zuschlagen.

      »Na, klasse«, murmelte er.

      Durch das Sprossenfenster sah er Melanie in ihren Wagen einsteigen und mit Bleifuß davonfahren. Kopfschüttelnd blickte er ihr hinterher. Was war bloß los mit ihr? Es war das erste Mal, dass er Melanie so erlebt hatte. Und dabei hatte er ihr doch nichts weiter erzählt als die Wahrheit. Zugegeben, die Art und Weise, wie er es ihr gesagt hatte, war nicht die beste gewesen, aber war es bei alldem nicht zu verstehen, dass er die Beherrschung ein wenig verloren hatte?

      Er seufzte. Alles halb so schlimm. Melli würde sich schon wieder beruhigen. Sie würde ein wenig durch die Gegend fahren oder bei einer Freundin Dampf ablassen und dann wieder nach Hause kommen, er würde sich entschuldigen und sie würden noch einmal vernünftig über alles reden.

      Lars sah auf die Uhr. Siebzehn Uhr. Er zog sich das Hemd wieder über und ging hoch zum Kinderzimmer seiner Tochter.

      Juli hatte Lara zu Besuch, ein gleichaltriges Mädchen aus der Nachbarschaft. Sie lagen auf dem Fußboden und malten, während sie einer Hörbuch-Geschichte lauschten. Als Lars eintrat, rappelte Juli sich auf und sprang ihrem Vater in die Arme. Er drückte sie und gab ihr einen Kuss, dann begrüßte er Lara, indem er ihr über den Kopf strich. Das introvertierte Mädchen sah nicht einmal hoch, aber das kannte Lars bereits.

      »Wann musst du nach Hause?«, fragte Lars sie.

      »Mama holt mich ab.«

      Lars nickte. Das war zwar nicht die Antwort auf seine Frage, aber zumindest wusste er nun, dass er sich nicht weiter kümmern musste. Er sah, dass die Mädchen etwas zu trinken und eine Schale mit Butterkeksen hatten. Sie waren also versorgt. Lars verließ das Kinderzimmer und kehrte nach unten zurück.

      Im Schlafzimmer zog er sich etwas Bequemeres an – nicht, ohne erneut einen ausgiebigen Blick auf die Zeichnung auf seinem Arm zu werfen. Die Linien waren sauber gezogen und das Rot hatte leichte Schattierungen, die dem Herzen Tiefe gaben, die Dornen wiesen feine Strukturierungen auf. Die Zeich-nung schien dem Arm regelrecht zu entwachsen. Lars musste zugeben, dass es eine gelungene Arbeit war.

      Er ging in das Badezimmer und versuchte noch einmal und mit wenig Hoffnung, die Zeichnung vom Arm zu waschen. Nichts passierte. Lars schüttelte den Kopf. Das Ganze war nicht zu begreifen.

      In der Küche nahm er eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ging weiter in das Wohnzimmer. Er setzte sich auf das Sofa und schaltete den Fernseher ein. Er zappte sich durch den Bildschirmtext und anschließend durch die Sender, doch es lief nichts, was ihn interessierte, und außerdem war er viel zu unruhig, um sich zu konzentrieren.

      Lars wusste nichts mit sich anzufangen. Wäre Melanie zu Hause, würde er nach Hamburg ins Büro fahren, doch er konnte die beiden kleinen Mädchen nicht alleine lassen. Es blieb ihm also nichts übrig als zu warten, dass dieser grauenhafte Tag endlich zu Ende ging.

      Melanie kehrte erst gegen einundzwanzig Uhr zurück. Sie ignorierte Lars und ging direkt in Julis Kinderzimmer. Sie sah, dass ihre Tochter bereits schlief. Anschließend machte sie sich im Badezimmer fertig für die Nacht und ging ohne ein einziges Wort in das Schlafzimmer.

      Als Lars zwei Stunden später ins Bett ging, schlief Melanie bereits. Auch er fiel schnell in den Schlaf. An seine Träume während jener Nacht sollte er sich am nächsten Tag nicht erinnern – mit einer Ausnahme: In einem Traum ging er nackt durch den Regen, war am ganzen Körper tätowiert und marschierte durch eine Schneise toter Menschen.

      5.

      Bereits seit einer Stunde saß Lars im Wartezimmer und blätterte desinteressiert in Zeitschriften. Zwar hatte er den kurzfristigen Termin überhaupt nur deshalb bekommen, weil er Privatpatient war, doch dass er so lange warten musste, nervte ihn gewaltig.

      Schließlich war es soweit. Eine Helferin führte Lars in den Behandlungsraum. Er musste kurz warten, dann kam der Hautarzt. Er war kaum älter als Lars, reichte ihm die Hand und fragte routiniert, was er tun könne.

      Lars sagte: »Ich möchte Sie bitten, sich meinen linken Oberarm anzusehen und mir zu sagen, um was es sich handelt, was da auf meiner Haut ist.«

      »Na, dann zeigen Sie mal her!« Der Arzt deutete auf die Behandlungsliege.

      Lars zog Hemd und T-Shirt aus und setzte sich auf die Kante der Liege. Er vermied den Blickkontakt mit dem Arzt und sah stattdessen auf die Wanduhr mit dem Logo eines Pharma-konzerns.

      Der Arzt zog den Praxishocker zu sich heran und setzte sich. Er griff unter Lars' linken Oberarm. Zwei Sekunden vergingen, dann ließ er den Arm wieder los und sagte: »Ich entdecke nichts Ungewöhnliches.«

      Lars stutzte. »Die Zeichnung, Herr Doktor – sehen Sie sie denn nicht?«

      »Doch, selbstverständlich. Ich wusste nicht, dass es darum geht. Was ist damit?«

      Lars holte Luft und sagte. »Ich weiß, dass es seltsam klingt, aber bitte sagen Sie mir: Handelt es sich bei der Zeichnung um eine Tätowierung?«

      »Nun, das sollten Sie selbst doch am besten wissen.«

      Jetzt sah Lars den Arzt an. »Ich weiß es aber nicht. Fragen Sie mich bitte nicht nach dem Grund, sondern sagen Sie es mir einfach. Also, bitte: Ist es eine Tätowierung?«

      Der Arzt musterte Lars kritisch, dann strich er mit dem Daumen über die Zeichnung und sagte: »Es ist zweifelsohne eine Tätowierung.«

      Obgleich Lars mit dieser Antwort gerechnet hatte, erschrak er leicht. Er holte Luft und fragte: »Sie werden mich vielleicht für verrückt erklären, aber was würden Sie sagen, wie alt die Tätowierung ist?«

      Nichts im Gesicht des Arztes verriet, was er dachte. Er betrachte die Tätowierung und sagte: »Die Farben sind sehr kräftig, nicht ausgeblichen. Die Tätowierung dürfte bislang nicht viel Sonnenlicht abbekommen haben. Ich würde sagen, sie ist etwa ein Jahr alt, maximal zwei.«

      Lars sah ihn staunend an. »Ein bis zwei Jahre?«

      »Ja, in etwa.«

      »Kann es ...« – Lars' Stimme drohte wegzubrechen und er räusperte sich rasch – »... sein, dass die Tätowierung jünger ist? Ich meine, wesentlich jünger? Sagen wir ... zwei Tage alt?«

      Die Blicke der beiden Männer trafen sich und Lars war sicher, in den Augen des Arztes zu erkennen, dass dieser ihn für komplett übergeschnappt hielt.

      »Das ist nicht möglich«, sagte der Arzt betont ruhig. »Beim Tätowieren wird die Haut verletzt und es dauert seine Zeit, bis sie wieder vollständig verheilt ist. Ihre Haut ist in einem tadellosen Zustand, und das wäre sie nicht, wenn sie erst vor wenigen Tagen von der Nadel einer Tätowiermaschine verletzt wurde.«

      Lars schloss die Augen und drückte die Hände gegen die Schläfen.

      Der Arzt rollte auf dem Hocker ein Stück zurück, legte die Hände in den Schoss und sagte: »Ihr Verhalten irritiert mich, ich muss es Sie einfach fragen: Erinnern Sie sich nicht daran, tätowiert worden zu sein?«

      Lars antwortete nicht sofort. Schließlich öffnete er die Augen, sah den Arzt an und sagte: »Ich will diese verdammte Tätowierung nicht haben. Welche Möglichkeiten gibt es, sie entfernen zu lassen?«

      »Nun, Herausschneiden und Wegätzen gehören glücklicherweise der Vergangenheit an, heutzutage wird die moderne Lasertechnik angewendet. Das Entfernen von Täto-wierungen mittels Laser ist verhältnismäßig gewebeschonend und vergleichsweise schmerzarm.«

      »Erzählen Sie mir, wie es funktioniert – aber bitte frei von Fachchinesisch und so auf den Punkt gebracht, dass ich es auch als Nichtmediziner verstehe.«

      Der Arzt schaute kurz verdutzt, dann räusperte er sich und sagte: »Ich werde mein Bestes geben, es so laiengerecht wie möglich darzustellen. Also: In unserer Praxis verwenden wir je nach Farbpigmenten unterschiedliche