Ivy Mirror

Blutiges Verlangen - Erotik


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      „Was ist jetzt, Johann?“, wollte Marie herausfordernd wissen und ging ein paar Schritte auf den Jungen und seine Bande zu. „Wenn du möchtest, kannst du auch meine Hand halten und wir gehen gemeinsam.“

      Diese Schmach schien ihm gar nicht zu gefallen. Künstlich prustend drehte er sich zu seinen Jungs. „Du sollst meine Hand halten?“ Er schüttelte mit dem Kopf, sodass seine blonden Haare nur so um ihn herum wirbelten. „Wenn schon, dann halte ich deine Hand.“

      „Gut, dann nicht.“ Marie zuckte mit den Schultern. „Bist du bereit?“

      Die Gruppe hielt den Atem an. Der kleine Bach, der ihre Wassermühle antrieb, rauschte bedächtig, und hier am Waldesrand schienen die Geräusche des Wassers noch lauter zu sein, fast als würde er sie warnen wollen.

      „Ja, bin ich“, antwortete Johann voller Trotz.

      Gerade als sie den ersten Schritt auf den ausgedörrten Feldrand vollführen wollte, wurde sie von Charlotte angestupst. „Marie, du kennst die Geschichten über den Grafen. Bitte, gehe nicht.“

      „Hat irgendjemand ihn schon einmal gesehen?“ Marie schluckte trocken. „Ihn oder einen der anderen Vampire, die angeblich im Brandwald leben?“

      „Aber die Geschichten sind wahr“, protestierte Jette. „Seit dem großen Brand dürfen wir den Wald nicht mehr betreten, dafür bekommt der Graf Blut für seine Armeen und behelligt die Königsländer nicht.“

      „Der Brand war weit vor unserer Geburt, selbst meine Adoptiveltern haben es nicht miterlebt. Und die sind steinalt.“ Marie wischte den Gedanken mit einer Geste beiseite und sah hoch zum voller werdenden Mond, dann wieder zum Wald. „Wer weiß, ob sie nicht doch beim großen Vampirkrieg alle gestorben sind. Ich habe noch nie einen gesehen. Ihr etwa?“

      Die Gruppe schüttelte mit dem Kopf.

      „Meine Oma hat ihn gesehen.“ Jettes Stimme war so leise, dass man meinen könnte, ihre wallenden Haare hätten den Ton ihrer Stimme verschluckt. „Damals, als der Graf noch das Dorf besuchte und Mädchen auf sein Schloss nahm.“

      „Das sind Legenden und Geschichten, um uns vom Wald fernzuhalten“, entgegnete sie zunehmend nervös. Doch auch sie kannte jedes einzelne Wort, das die Alten immer wieder betonten. Als die Vampire immer weiter in die Königslande eindrangen und immer mehr Menschen ihrem Blutdurst zum Opfer fielen, sammelte der damalige König Theodor eine riesige Armee und zog in den Wald.

      Doch die Untoten, die Skelette und Gruftghule, die Harpyien und die Geister waren übermächtig. Man sagte sogar, dass die von Hartsteins Totenbeschwörer wären und egal, wie oft ihre Armee fiel, sie ließen sie immer wieder aufstehen.

      Der König erkannte, dass dieser Krieg nicht mit mehr Männern zu gewinnen sei, und schickte seine besten Maschinenbauer. Kurzerhand fackelte er große Teile des Waldes ab. Die Flammen stachen so hoch in den Himmel, dass man es angeblich noch von den Küstenstädten aus sehen konnte. Tagelang brannte der Wald und mit ihm die Untoten und auch einige Zweige der stolzen Familie von Hartstein.

      Die Vampire zogen sich zu ihren Schlössern zurück und ernannten ihren jüngsten Sohn Alexander zum Herrn der Brandburg. Er sollte darüber wachen, dass kein Untoter einen Fuß über die Grenze des Waldes setzte und die Vampire dafür Blut erhielten. Die von Hartsteins schworen, sich an die Abmachung zu halten, bis der Mond erneut selbst sein Blut vergieße. Wie damals, im großen Brandkrieg.

      Marie lief ein Schauer über den Rücken, als sie die Geschichte im Kopf wiederholte. Es waren nur einige Zoll bis zum Waldesrand. Sie würde einige Schritt ins Dickicht setzen und dann wieder umkehren. Selbst wenn der Graf oder eins seiner Geschöpfe noch leben würde, seine Aufmerksamkeit hätte sie bestimmt nicht, nur weil sie ein paar Lidschläge in seinem Wald verbrachten.

      „Wir sind nur ganz kurz da“, sagte sie, um sich selbst Mut zuzusprechen, und blickte zu Johann. „Ich denke einfach an die Karaffe Wein, die du mir schuldest, wenn ich es schaffe.“ Sie musste sich zwingen, gewinnend zu grinsend. Dann setzte sie sich in Bewegung.

      Über die Schulter sah sie, dass Johann es ihr gleich tat. Natürlich. Vor all seinen Freunden wollte er nicht als feiges Huhn dastehen und die Aussicht auf ihren Körper erledigte den Rest. Gier frisst Hirn, hat ihre Adoptivmutter immer gesagt, wenn die Männer ihr auf die Brüste starrten und sie auf diese Weise zu wenig Taler zurückgeben konnte. Genau so war es hier!

      Als sie vor dem ersten Baum stand, stockte Marie der Atem. Eine kaum vernehmbare Brise von frischem Moos legte sich angenehm in ihre Nase. Eine dunkle Aura umgab diesen Wald und schien ihn wie durch einen milchigen Schleier zu umhüllen. Marie zwang sich, ihren Brustkorb mit dem seltsamen und doch wundervollen Geruch zu füllen. Alles an diesem Wald rief sie und stieß sie auf gleichsame Art ab.

      „Bereit?“, wollte sie wissen, obwohl ihre Stimme so zitterte wie das letzte Blatt an einem Baum im Herbststurm.

      Johann stellte sich breitbeinig neben sie. Mehrmals musste er sich räuspern, um seine Stimme wiederzufinden. „Bin ich.“

      Dann schritt er voran und wenige Sekunden später legte sich ein gräulicher Schleier über seine Silhouette.

      Wenn der Brand des Königs tatsächlich stattgefunden hatte und es keine Ammenmärchen waren, musste es lange her sein. Die Baumkronen waren dicht zugewachsen und das Mondlicht bekam fast keine Gelegenheit, sich bis auf den bemoosten Waldboden zu setzen.

      Maries Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den ersten Schritt auf den weichen Boden vollführte. Sie konnte doch nicht einfach Johann ihre Wette gewinnen lassen. Das würde gar nicht zu ihr passen und ihren Ruf ganz schön ramponieren. Also beschleunigte sie ihren Schritt.

      Äste knackten zart unter ihren Füßen, ein Uhu warf sein einsames Lied durch den Wald, doch ansonsten war es weiterhin so ruhig, dass sie ihre eigene Atmung hören konnte. Nach wenigen Schritten hatte sie Johann eingeholt. Obwohl sein Gesicht nicht klar zu erkennen war, konnte sie doch sehen, dass sein Unterkiefer zitterte. Sie waren vielleicht zehn Fuß in den Wald gegangen, doch schon jetzt waren ihre Freunde auf den Wiese kaum mehr zu erkennen.

      „Reicht es jetzt?“, wollte Johann wissen und blieb stehen.

      Auch Maries Glieder versagten ihren Dienst für einen Augenaufschlag. „Nein. 30 Fuß hatten wir gesagt. Wer zurückbleibt, hat verloren.“

      Johanns Hände ballten sich zu Fäusten. Er nickte verbissen. „Gut, dann gemeinsam.“

      „Einverstanden“, antwortete Marie. Dabei war sie froh, dass er den Vorschlag gemacht hatte. „Denk einfach an die Belohnung.“

      Doch ihre Worte waren nicht nur an ihn gerichtet, auch sie musste sich Mut zusprechen. Endlich konnte sie sich aus der Starre lösen und weitergehen. Mit jedem Schritt wurde es um sie herum dunkler. Gleichzeitig fasziniert und ängstlich setzte sie einen Fuß vor den anderen. Das Mondlicht fiel nun so durch die Baumkronen, dass man das Gefühl nicht los wurde, durch einen Silberschweif zu marschieren. Dabei fiel ihr gar nicht auf, dass Johann immer weiter zurückfiel.

      „Es ist … es ist …“ Marie fand keine Worte für das Farbenspiel mitten in der Nacht. „… wundervoll“, hauchte sie schließlich und drehte auf dem Absatz.

      Von Johann konnte sie nur noch eine Umrandung erkennen. „Marie!“, schrie er. „Du hast gewonnen!“ Zitterte dieser junge Mann etwa, den sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte?

      „Ach, komm schon.“ Sie winkte und lachte auf. Ihre helle Stimme schien von den mächtigen Bäumen zurückgeworfen zu werden. „Du feiges Huhn, es sind doch nur noch zehn Fuß, dann haben wir beide gewonnen!“ Zu ihrer eigenen Überraschung war der Waldrand kaum mehr zu erkennen.

      „Nein“, schrie Johann entschieden, sah sich um und ging rückwärts. „Dieser Wald scheint zu leben. Kehre auch um, Marie. Ich bitte dich!“

      „Damit du die Wette gewinnst?“ Sie gluckste vergnügt. „Auf keinen Fall.“