Miss Ramirez«, für einen kurzen Augenblick horchte Ava interessiert auf »weil Sie beide im selben Team spielen.«
»Hä?« Mit einem Schlag schrumpfte Avas Wortschatz beachtlich. Verständnislos schaute sie ihren Boss an.
»Äh, ich spiele mit dieser Frau in keinem Team. Ich kenne sie nicht und bin ihr noch nie in meinem Leben begegnet. Wieso sollten wir also in einem Team spielen?« Mister Lay schmunzelte und blickte zu der Psychiaterin an die Wand.
»Miss Jercy macht keinen Hehl daraus, lesbisch zu sein. Von daher dachte ich, es wäre sinnvoll, wenn Sie mit ihr zusammenarbeiten, weil Sie sicherlich schneller eine Verbindung zu ihr aufbauen können, als manch anderer.«
Enttäuscht richtete sich Ava in ihrem Stuhl auf. Sie warf einen scharfen Blick auf ihren Vorgesetzten, der bis heute große Stücke auf sie hält.
»Und nur weil wir beide auf Frauen stehen, sind wir gleich Leckschwestern, oder was?« Unüberlegt fuhr Ava ihrem Boss über den Mund. Das ist ein Talent von ihr, welches sie manchmal den einen oder anderen Kopf kostet. Sie sagt was sie denkt und denkt erst später darüber nach.
Als ihr bewusst wurde was sie sagte, presste sie die Lippen aufeinander und zog ihren Kopf so tief zwischen die Schultern, dass sie kaum noch zu sehen war.
»Ein weiterer Grund, weshalb ich Sie für diesen Job ausgesucht habe, Miss Ramirez. Sie lassen sich nichts gefallen und können Miss Jercy die Stirn bieten. Jeder andere«, Avas Boss ließ seinen Blick über die restlichen Mitarbeiter gleiten »würde als Miss Jercys Spielball enden.«
***
Schulterzuckend blickt Ava aus dem Fenster, reckt den Hals und hält nach der blonden Frau Ausschau.
»Chef erzählte irgendwas von Psychiaterin, Mittelalter, Polizei und solch einen Kram. Wird bestimmt interessant.«
»Ach und dass sie zufällig Soziopathin ist, hat er natürlich rein zufällig vergessen?!«
»Sollte mich das interessieren?« Mit einem lautlosen Knall fällt Sarahs Kinn auf den Tisch.
»Ava, ich bitte dich. Soziopathen können gefährliche Menschen sein. Viele Mörder, Vergewaltiger und Serienmörder sind Soziopathen. Und dein Chef schickt dich zu so einer kranken Person, damit du eine Biografie schreibst? Weiß er überhaupt, auf was du dich da einlässt? Ist ihm eigentlich bewusst, dass diese Geschichte für dich gefährlich werden kann?« Langsam dreht Ava den Kopf in Sarahs Richtung. Endlich hat sie die Aufmerksamkeit ihrer Freundin.
»Meinst du?« Schnaufend lehnt sich Sarah in den Stuhl zurück. Sie blickt auf die Akte unter ihren Händen.
»Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass dein Chef dich zu ihr schicken würde, wenn sie wirklich für ihre Mitmenschen eine Gefahr darstellt. Trotzdem ist sie auf ihre ganz eigene Art gefährlich. Sie hasst die Menschen und kann nichts mit ihnen anfangen. Jedem dem sie begegnet wirft sie solch einen wütenden Blick zu, dass man sich auf der Stelle in den Uterus seiner Mutter zurückwünscht. Sie behandelt die Menschen wie Dreck und lässt jeden in ihrer näheren Umgebung Scheiße fressen.« Sarah beugt sich über die Akte und klappt sie auf. Nachdenklich betrachtet sie das Foto der Doktorin.
»Das haben die Kollegen aus dem Büro auch getratscht, als die Besprechung zu Ende war. Plötzlich ist jeder froh, dass nicht er die Biografie schreiben muss. Ich bin echt mal gespannt, wie das bei ihr wird.« Überrascht blickt Sarah auf.
»Was meinst du?« Ava zieht das Foto unter den Händen ihrer Freundin weg.
»Ich soll für den Zeitraum, wo ich das Buch schreibe, bei ihr wohnen. Es sei wohl schon alles in trockenen Tüchern. Nächste Woche geht es los.« Ein weiteres Mal klappt Sarah das Kinn herunter.
»Du sollst was?«, keucht sie fassungslos.
»Du sollst bei ihr wohnen? Du sollst tatsächlich«, mit einem Ruck reißt Sarah das Foto der Doktorin aus Avas Händen »bei Doktor Nora Jercy wohnen, die dich zum Frühstück auffrisst, zum Mittag ausspuckt und zum Abendessen den letzten Rest auf der Toilette rauslässt? Bei der sollst du wohnen? Und du hast dem zugestimmt? Hast du sie nicht mehr alle?«
»Na vielen Dank für deine tatkräftige Unterstützung«, brummt Ava und schaut Nora Jercy intensiv an.
Sie kann nicht behaupten, dass ihr als Lesbe diese Frau gefällt. In dieser Hinsicht kann ihr also nichts passieren. Sie wird die Frau nicht anfassen und somit auch nicht ihre Karriere gefährden. In erster Linie steht das Buch im Vordergrund. Und weil Ava keinerlei Interesse an dieser Frau hat, dürfte es kein Problem werden, dieses zu schreiben.
»Süße, du hast doch gar keine Ahnung, wie lange du an dieser Biografie arbeitest. Und dann sollst du für diesen Zeitraum auch noch bei ihr wohnen? Das kann Jahre dauern.« Mit hochgezogenen Augenbrauen blickt Ava vom Foto auf.
»Traust du mir tatsächlich zu, dass ich solange an einer Story schreibe?« Trotzig schiebt sich Ava ihre brünetten Haare zur anderen Schulter.
»Das ist keine Story, Schatz! Das ist eine Biografie!« Sarahs Hand schiebt sich über den Tisch und umgreift Avas.
»Eine Biografie ist etwas völlig anderes, als der Bericht über einen Hollywoodreifen Überfall. Das ist eine völlig andere Herangehensweise, ein anderer Stil, eine andere Taktik. Du hast so etwas noch nie gemacht und dann sollst du auch noch bei ihr wohnen.«
»Ich schaffe das schon, keine Sorge. Weißt du aber wo sie wohnt?« Als wenn Ava nicht verstehen will, worauf Sarah hinaus will, wedelt sie unbeeindruckt von den Worten ihrer Freundin, mit dem Foto vor ihrer Nase herum.
»Die wohnt in Montana. In Montana! Da fliege ich ja alleine schon vier Stunden und muss dann noch zwei Stunden mit dem Auto fahren, bis ich an ihrer Haustür klingeln kann.«
Bockig schiebt Ava die Unterlippe vor. So hat sie sich das sicherlich nicht vorgestellt. Biografie und Karrieresprung gut und schön. Aber muss sie dafür tatsächlich so weit weg von ihrer Familie und von ihren Freunden sein? Geht das nicht etwas leichter? Kann diese komische Doktorin nicht einfach nach L.A. kommen?
***
»Ist das dein Ernst? Ist das jetzt echt dein scheiß Ernst?« Wütend brüllt Ava das Navigationssystem des Firmenwagens an, der extra für sie nach Helena gebracht wurde, nur damit sie mobil ist.
Nahe dem Bildschirmrand kann Ava ihr Ziel erkennen. Sheep Creek Lane. Aber sie hat keine Möglichkeit dort hinzukommen. Der Weg führt sie weiter über die Interstate fünfzehn. Es gibt keine Brücke, keine Abzweigung, kein Geheimweg. Kein Nichts zum Sheep Creek Lane.
Grummelnd schielt Ava immer wieder auf den Bildschirm und sieht ihr Ziel weiter nach unten rechts zum Bildschirmrand wandern, bis es ganz verschwunden ist. Nun ist sie absichtlich an ihrem Ziel vorbeigefahren, nur weil sie keine Möglichkeit hat, dort hinzugelangen.
Das ist also der Preis dafür in Montana zu wohnen? In der Pampa? Im Nirgendwo?
»Das fängt ja schon super an. Ich habe jetzt ja schon keine Lust mehr.«
Nachdem sie vier Stunden wie eine Sardine im Flieger verbracht hat, stieg sie mit Verrenkungen und chronischen Krämpfen aus dem Flieger, nur um noch geschlagene zwei Stunden auf ihren Wagen zu warten, der am anderen Ende der Stadt geparkt wurde.
»Welcher Hirnverbrannte Esel war dafür verantwortlich?« Schimpfend suchte sich Ava das nächstbeste Restaurant und ließ es sich auf Firmenkosten gutgehen. Das war das Mindeste.
Nun fährt sie die Interstate solange weiter, bis ihr diese nervige Stimme endlich sagt, dass sie auf die Frontage Road fahren soll. Von dort aus nach Cascade hinein, rechts an der Angus Bar vorbei und weiter über die Central Avenue Richtung Ziel.
Weil das ja aber noch nicht genug Pampa ist, muss sie nach unzähligen Malen rechts und links abbiegen. Diese Gegend soll ihr also wohl noch mal verdeutlichen, dass es hier nicht an jeder Straßenecke einen Starbucks gibt. Nein, staubige Straßen, Bäume die Ava noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hat und Gerüche, die ihre Nase bisher noch nicht aufnehmen durfte. Alles um sie herum wirkt surreal. Befindet sie sich