Victoria Trenton

Mein neuer Job - Die unerhörte Geschichte der Sabine G.


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dem Hochgericht!

       Auch die Toten sollen leben!

       Brüder, trinkt und stimmet ein:

       Allen Sündern soll vergeben,

       Und die Hölle nicht mehr sein!

      Chor

       Eine heitre Abschiedsstunde!

       Süßen Schlaf im Leichentuch!

       Brüder, einen sanften Spruch

       Aus des Totenrichters Munde!

      Kapitel 1 – Vorstellungsgespräch

      Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit machte ich mir ernsthafte Gedanken, wie es mit meinem Leben weitergehen würde. Ich war nicht nur aus der Firma rausgeflogen, sondern hatte, wenige Monate bevor ich meine gute Arbeit verlor, mir eine eigene Wohnung genommen, hatte meine Sieben Sachen gepackt und war bei meinem damaligen Freund ausgezogen. Ich liebte ihn schon noch, irgendwie, aber seine Art war mir zunehmend auf den Geist gegangen. Er war wenig experimentierfreudig und erdrückte mich mit seiner Zuneigung und seinen peniblen Regeln; Zahnputzbecher rechts, Duschmatte nach dem Duschen aufhängen, Socken einzeln über einen Bügel, ach, seine pedantische Art war schrecklich. Ordnung schön und gut, aber wenn ich ihn spontan spüren wollte, warum mußten wir dann immer erst unter die Dusche? Es war das Schlimmste für ihn, verlassen zu werden, genau deshalb mußte ich es tun. Der wahre Grund war aber eher, daß ihm jeder Sinn für Tiefsinnigkeit fehlte. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis bewege, möchte ich mich auch über interessante Themen unterhalten, nicht nur über Fußball; wobei das zunehmend schwerer wird, denn die wenigsten haben noch eine solide Allgemeinbildung.

      Ich hatte mir also ein kleines, schickes Apartment genommen und war schon am zweiten Tag, nachdem ich über ein verlängertes Wochenende im Mai alles eingerichtet hatte, nicht allein ins Bett gegangen. Herrlich, diese neue Freiheit! Leider lief es im Job von da an immer schlechter. Vielleicht habe ich zuviel an meine neue Freiheit gedacht, die ich als totale Befreiung empfand, und daran, wie ich das Jucken zwischen meinen Beinen am nächsten Abend stillen würde. Vielleicht war mein Ex, von dem ich mich in „aller Freundschaft“ – und dem ganzen Bla-Bla – getrennt hatte, hinter meinem Rücken aktiv geworden. Ein Verdacht, der mir erst viel, viel später kam. Schließlich hatten wir uns indirekt über die Arbeit kennen gelernt, er damals bei einem unserer wichtigsten Kunden. Sei es drum.

      Nun stand ich da, mit einem eigentlich zu teuren Zweiraum-Apartment und ohne Job. Gut, nachdem ich bei Gunter & Kiesling rausgeflogen war, weil ich erst grundlos eine Abmahnung bekam, dann mich regelrecht gemobbt fühlte und schließlich tatsächlich einen Bock geschossen hatte, ein dummer Fehler, eine Nachlässigkeit, ein Ärgernis, daß normalerweise mit zünftigen Kommentaren von den Chefs versehen worden wäre und dann ad acta gelegt, aber nun zu meiner Entlassung geführt hatte, sah ich die Dinge zunächst nicht weiter tragisch. Der Schleimi von Betriebsrat hat noch vermittelt und meinte, nachdem ich zu einem Aufhebungsvertrag genötigt wurde, ich solle ihm noch dankbar sein, weil ich so noch zwei Monatsgehälter Abfindung erhielt. So ein Mist.

      Ich fand dann auch gleich eine neue Stelle, die war zwar schlechter bezahlt, aber immerhin. Sie war sogar näher, als meine alte Arbeitsstelle, ich hätte vielleicht auf meinen schwarzen Polo verzichten können. Dort flog ich aber schon in der Probezeit, genauer nach nur sechs Wochen, wieder raus. Das Blöde ist, in der Probe braucht es keine Begründung. Und die Trottel von der Personalabteilung haben mir nicht auch nur andeutungsweise gesagt, wieso ich meinen Schreibtisch wieder räumen durfte. War ich zu langsam? Haben sie doch keine Kohle für die zusätzliche Stelle mehr gehabt? Hat die flachbusige Vorstandszicke mich mit Blick auf meine 80 D beneidet? Oder weil ich besser mit dem Arsch wackeln kann und auch in hohen Schuhen sicher laufe? Oder etwa, weil ich den unbeholfenen Avancen des Chefbuchhalters keine Beachtung geschenkt hatte? Der Mann hatte scheinbar viel Einfluß, und er hat mich mit seinen Blicken regelrecht ausgezogen. Ich steh aber nicht auf dickbäuchige Halbglatzen, und das gab ich ihm auch zu verstehen. Vermutlich ein Fehler. Sonst habe ich mich ja auch nicht geniert, meine weiblichen Reize einzusetzen. Im Nachhinein denke ich, hierin den wahren Grund für meine schnelle Entlassung zu sehen. Gekränkte männliche Eitelkeit.

      Jedenfalls sollte es nicht sein.

      Und irgendwie war danach der Wurm drin. Sicher warf auch die Wirtschaftskrise bereits ihre Schatten voraus. Ich schrieb an die 50 Bewerbungen und erhielt kaum mal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch, obwohl ich früher oft schon allein meines nicht unattraktiven Äußeren wegen eingeladen worden war. Damit die Herren Chef mal was zu glotzen haben.

      Bei der Annonce im Main-Echo hatte ich zwar ein seltsames Gefühl, aber ich habe doch geschrieben, weil die Stellenbeschreibung recht gut zu meinen Fähigkeiten zu passen schien. Und prompt wurde ich eingeladen. Der Mann am Telefon hatte eine merkwürdige Stimme, nicht uninteressant aber auch nicht so recht männlich. Jedenfalls suchte er eine Privatsekretärin, wobei er das „Privat“ besonders betonte. Schon in der Anzeige waren die Begriffe Verschwiegenheit, Loyalität und Diskretion überdeutlich betont worden.

      Ich entschloß mich, trotzdem hinzufahren, denn Absagen kann man ja immer und die Monate, die mir das Arbeitsamt noch ALG I zahlen würde, wurden weniger. Und dann Miete, Auto... Urlaub war sowieso schon gestrichen.

      Das Anwesen lag etwas außerhalb, mit einem richtigen schmiedeeisernen Tor – welches allerdings immer offen stand – und eigener Zufahrt. Rechts ein größerer Garagenanbau, weiter hinten auf dem recht großen Grundstück ein kleines Gewächshaus mit irgendeinem Gebäude, wie ein Geräteschuppen, aber innen wohnlich ausgebaut, wie ich später erfuhr. Eine Art Cottage.

      Ich ging die fünf Stufen hinauf, und bevor ich klingeln konnte – wo war eigentlich die Klingel? – machte mir eine junge Dame auf. So ganz jung war sie auf den zweiten Blick dann doch nicht, aber sie machte zunächst einen sehr mädchenhaften Eindruck. Weil ich vor dem Bewerbungsgespräch ziemlich aufgeregt war, beachtete ich erst einmal nicht weiter, daß sie klassisch wie eine Haushälterin angezogen war, mit kleinem schwarzen Kleid, weißer Schürze und sogar einem weißen Häubchen. In welcher Zeit leben wir eigentlich?

      Sie war sehr freundlich und bat mich hinein. In einem kleinen Raum, oder besser: einer Art Diele, durfte ich mich setzen. Alles war mit alten Stilmöbeln sehr vornehm eingerichtet. Der Polsterstuhl, auf dem ich saß, war vermutlich ein Vermögen wert, aber er war ein wenig klein und auch straff, so daß ich in der nun kommenden, längeren Warterei doch unbequem saß. Die Haushälterin servierte Kaffee, ziemlich stark. Sie ließ sich länger nicht blicken, als sie dann wieder vorbeischaute, um mir zu sagen, daß es noch etwas dauern würde, Herr Lukas, der Chef, sei noch in einer Besprechung, bat ich um ein Glas Wasser, was sie mir umgehend besorgte. Ich war erstaunt, wie schnell sie dieses kleine Fläschchen San Pellegrino samt Glas herbeizauberte, die Flasche öffnete und einschenkte.

      Es dauerte länger. Jetzt, ich saß wohl schon fast eine Stunde, traute mich aber nicht auf die Uhr zu sehen, weil ich mich irgendwie beobachtet fühlte, mußte ich auch noch auf die Toilette. Aber wo war eine? Die Haushälterin war auch verschwunden, und beim letzten Mal, wo sie sich nach meinem Befinden erkundigte, dachte ich noch, ich kann locker anhalten, bis das Gespräch gelaufen sein wird. Ich stand auf, betrachtete mir eine Weile die zwei Ölbilder an der Wand, die offenbar Originale waren, und ging durchs Zimmer, von dem aus mehrere Türen abgingen. Ich war mir jetzt nicht mal mehr sicher, durch welche ich hereingekommen war. Endlich hörte ich sie. Sie trat ein, und bevor sie mir etwas sagen konnte, fragte ich nach der Toilette. Sie zeigte mir den Weg, ging mit hinein und sagte mir dort, daß Herr Lukas jetzt bereit sei, mich zu sprechen. Klasse. Echt peinlich. Sie stand jetzt mitten in dem großen, luxuriös eingerichteten Bad und machte keine Anstalten, zu gehen, um mich schnell mein Geschäft machen zu lassen. Schließlich bemerkte sie meine Verlegenheit und sagte: „Oh, ich lasse sie dann mal kurz alleine, sie kommen danach bitte sofort raus!“ Wieso sprach sie so mit mir, ich meine, als Haushälterin? War das ihre Angst vor ihrem Chef, wenn sie nicht gleich mit mir antanzt? Ich beeilte mich. Ich hätte mich gern noch etwas frisch gemacht, aber ein kurzer Blick in den Spiegel mußte reichen.

      Wir stöckelten durch mehrere Zimmer, klack-klack-klack, klack-klack-klack, ich war mehr darauf bedacht, ihrem