zwischen hohen Felsen. Man erreichte ihn über einen schmalen Durchgang, der von einem Strauch mit roten Blüten verdeckt wurde. Ein Esel war an einem Baum angebunden und begrüßte sie mit einem Schnauben. Unter einem Felsüberhang hatte sich der Fallensteller einen Schlafplatz eingerichtet und die Felle der von ihm erjagten Tiere säuberlich aufgestapelt. Ein über einen Holzrahmen gespanntes Fuchsfell harrte seiner weiteren Bearbeitung. In einer Grube brannte ein Feuer. Daneben lagen ein Rost und Geschirr aus Blech, Becher, Teller und ein kleiner Topf. Sträucher, die aus Felsspalten über ihnen wuchsen, schirmten die Lagerstelle zum Himmel ab.
»Hast du keine Angst, dass der Rauch des Feuers dich verrät?«, fragte sie, als er einen Zweig nachlegte und sie bat, sich niederzulassen. Auch wenn es warm war, tat es gut, nach so langer Zeit die Hitze von Flammen zu spüren.
Venor schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn man dünnes trockenes Holz nimmt, entsteht kaum Rauch. Der Geruch des brennenden Holzes ist gefährlicher, aber da die meisten Reisenden direkt am Fluss unterwegs sind, bekommen sie den nicht mit.« Er grinste. »Nicht jeder klettert wie du durch diese Felsenwüste.«
»Nun, ich bin durchaus ab und zu am Fluss, damit ich meinen Lederschlauch auffüllen und einen Fisch fangen kann.« Ihre Vorräte waren längst aufgebraucht und so hatte sie begonnen zu angeln. Der mit einem Stein geschärfte und gebogene Dorn ihrer Umhangschnalle diente als Angelhaken und hing an einem Wollfaden, den sie aus ihrem Rock gezogen hatte. Die Fische nahm sie mit dem Messer aus und schnitt sie in schmale Streifen, die sie an einem dünnen Ast im Bergwind trocknete. Außerdem waren inzwischen alle möglichen Beerensorten reif. Erst einen Tag zuvor hatte sie süße Walderdbeeren gefunden.
Venor ließ den Hasen ausbluten und zog ihm mit geschickten Bewegungen das Fell ab, bevor er die Bauchhöhle öffnete und sie ausnahm. Das Fleisch rieb er mit Salz und Gewürzen ein und legte es auf den Rost, den er über das Feuer hängte. Innerhalb kürzester Zeit zog ein appetitanregender Bratenduft über den Lagerplatz.
Der Fallensteller grinste, als Rodica genüsslich die Luft durch die Nase einsog. »Fleisch braten darf man auch nur, wenn niemand in der Nähe ist. Der Geruch nach Braten ist schlimmer als Rauchgeruch.«
Sie lachte. »Das ist der Grund, warum ich meinen Fisch trockne und nicht brate. Ich habe zwar Zunder dabei, aber zu viel Angst, dass der Feuerschein und der Geruch jemanden auf meine Fährte lockt.«
»Das ist vernünftig.« Venor nickte beifällig. »Ich gebe dir nachher ein wenig von meinen Räucherfleischvorräten mit, ich habe genug. Ist zwar nicht dasselbe wie ein guter Braten, aber immerhin.«
»Das würdest du tun? Danke, Venor!«
»Ceridwen, meine Frau, würde es mir nie verzeihen, wenn ich einer Frau, die guter Hoffnung ist, nicht helfe.« Venor drehte die Fleischstücke auf dem Rost um. »Wohin willst du eigentlich?«
Rodica seufzte. Sie musste ihn anlügen, denn sie konnte nicht sagen, wie er reagieren würde, wüsste er, dass der Vater ihres ungeborenen Kindes ein Vampir war und sie zu den Ewigen wollte. Vielleicht hassten die Menschen die Ewigen genauso, wie es die Vampire taten. Sie erinnerte sich an den Mann und die Frau zu Beginn ihrer Reise. »Ich suche einen Weiler. Dort leben Verwandte. Der Weiler soll dort liegen, wo der Fluss in die westlichen Grasländer fließt.«
»Hm«, machte Venor. »Es gibt ein paar Weiler dort. Weißt du mehr über diesen speziellen Weiler?«
»Mir wurde gesagt, dass eine Art … Kloster in der Nähe ist«, sagte Rodica, immer noch zögerlich, das Wort ›Ewige‹ auszusprechen.
»Kloster? Also, ein Kloster gibt es da nicht.« Er runzelte die Stirn. »Vielleicht meinte derjenige, mit dem du gesprochen hast, den Bund der Ewigen?«
Rodicas Herz begann, aufgeregt zu klopfen. »Er sagte etwas von einem Bund, ja. Ich dachte, das sei ein Orden, mit einem Kloster.«
»Nicht direkt, obwohl die Ewigen angeblich leben wie im Kloster. Ich bin eine ganze Reihe von Wintern nicht mehr in der Gegend am Fluss gewesen. Wenn sich nichts geändert hat, dann musst du dich, wenn du die Berge verlässt, entlang des südlichsten Arms des Flusses weiterbewegen. Das Haus der Ewigen befindet sich eine Tagesreise vor dem Weiler, auf einer Anhöhe über dem Fluss. Der Weiler liegt an einigen Stromschnellen. Falls er noch da ist.«
»Falls er noch da ist?«, wiederholte sie verwirrt.
»Ja, die Überfälle der Vampire sind über die letzten Winter erheblich mehr geworden. Die Menschen verlassen ihre Weiler und ziehen entweder in die Städte oder bilden wandernde Siedlungen.«
»Was sind ›wandernde Siedlungen‹?« Der Mann und die Frau hatten diesen Begriff ebenfalls benutzt.
»Siedlungsstellen, die nur für kurze Zeit bestehen. Die Siedler bleiben lange genug, um die Ernte einzubringen und zu überwintern. Dann ziehen sie weiter. Das macht es den Vampiren schwer, sie aufzuspüren. Und wenn man sich nah an die Grasländer hält, dann hat man fast nichts zu befürchten, da die Vampire sich dort nicht vor der Sonne schützen können.«
Sie schwiegen eine ganze Weile, bis Venor das Fleisch vom Rost nahm und ein großes Stück abschnitt, das er ihr auf einem Blechteller reichte. »Hier, iss.«
Der Hasenbraten war köstlich. Der Fallensteller schmunzelte, als sie entzückt die Augen verdrehte. »Ich werde Ceridwen erzählen, wie es dir geschmeckt hat. Sie behauptet immer, dass ich das Fleisch zu lange brate.«
»Es ist genau richtig.« Rodica nahm einen weiteren Bissen. »Wie lange, glaubst du, ist es noch von hier bis zu dem Weiler?«
»Nun, ich würde sagen, da du den Weg meidest, wirst du ein wenig länger als die zehn Tagesmärsche, die es normal dauern würde, benötigen. Vielleicht fünfzehn Tagesmärsche?« Er schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Was machst du, falls es den Weiler nicht mehr gibt?«
Rodica konnte ihm nicht sagen, dass ihr der Weiler gleich war. »Er muss einfach noch da sein«, sagte sie.
»Nun, es gibt ein kleines Dorf zwei Tagesmärsche südlich von dem Weiler. Falls alle Stricke reißen.«
»Ich hoffe, dass es dazu nicht kommt. Aber alles ist besser, als im Gebirge zu sein.«
»Da hast du recht!« Während er sprach, schnitt Venor sich sein Fleisch in mundgerechte Stücke. »Als Sklave zu leben, kann ich mir nicht vorstellen! War das schlimm?«
Sie dachte nach, bevor sie antwortete. »Nun, die meisten der Vampire haben mich gut behandelt. Ich … ich bin nur an einen Vampir … eine Vampirin geraten, die grausam war.« Sie zeigte ihm ihr vernarbtes Handgelenk.
Venor zischte einen Fluch. »Kein Wunder, dass du dein Kind da nicht bekommen wolltest.«
Rodica nickte langsam. »Ja. Wie gesagt, die meisten haben uns gut behandelt. Wir hatten ein Dach über dem Kopf und reichlich zu essen. Aber wir waren nicht frei.« Es war Maksim, der aus ihr sprach. Beinahe hätte sie zärtlich gelächelt. Es verging nicht ein Tag ihrer Reise, an dem sie nicht an ihn dachte. Ihn vermisste. »Ich habe mir die Menschen, denen ich begegnet bin, aus der Ferne angesehen. Sie sahen schlecht aus, litten Hunger. Einem Paar waren die Vorräte ausgegangen. Manchmal habe ich mich gefragt, ob die so viel besser dran sind als Sklaven.«
»Möglicherweise nicht. Die Menschen aus dem Niemandsland, die versuchen, über das Gebirge in die nördlichen Städte zu gelangen, sind meist verzweifelt. Ich glaube, viele überleben die Wanderung nicht. Nicht unbedingt wegen der Vampire, sondern weil sie verhungern.«
»Aber wieso gehen sie nicht in die blaue Stadt? Da müssen sie das Gebirge nicht überqueren. In den Grasländern gibt es keine Vampire.«
»Nein, das nicht. Aber es gibt Wegelagerer. Und man muss sich auskennen. Es gibt Sümpfe. Und wenn man die gemeistert hat, muss man wissen, wie man sich auf den riesigen Ebenen, die überall gleich aussehen, orientiert. Das können viele nicht. Es ist einfacher, das Gebirge zu queren. Man folgt dem Fluss bis zu seiner Quelle und geht von dort strikt nach Norden. Es gibt da einen Gipfel, der aussieht wie ein Bärenkopf, zu dem muss man gelangen. Jenseits dieses Gipfels beginnt der Abstieg in die nördlichen Grasländer. Die Wege sind ausgetreten