S.C. Keidner

Unvergängliches Blut - Sammelband


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Im Gegensatz zu der Festung, in die man Gregorius und die anderen verschleppt hatte, erschien diese Burg imponierend und bedrohlich zugleich.

      Taran zog fröstelnd die Schultern hoch. Es war ein verzweifelter wie vergeblicher Versuch, sich im kalten Nachtwind zu wärmen. Sie betete zu den Göttern. Sie flehte sie an, ihr den Tod zu gönnen, das Pferd stürzen und sie unter sich begraben zu lassen. Doch die Götter erhörten sie nicht. Ehe sie es sich versah, hatten sie das Tal durchquert, den Anstieg zur Burg gemacht und waren durch das Tor auf einen weiten gepflasterten Burghof gelangt. Ein Fallgatter fuhr rasselnd herunter und die hölzernen, mit Eisen beschlagenen Torflügel schlossen sich unheilvoll knarrend hinter ihnen. Zu ihrer Rechten lag das Torhaus, dahinter Hundezwinger, dann eine Halle mit hell erleuchteten bunten Fenstern. Wohngebäude schlossen sich an. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes lagen Stallungen und Werkstätten. Am anderen Ende ein Bau mit vergitterten Fenstern, vor ihm der Brunnen, ein Kampfplatz und daneben eine Reihe von rostigen mannshohen Käfigen. Ringsherum standen die Türme, von denen aus Wachposten zu ihnen hinuntersahen. All dies war aus dem schwarzen Stein der Berge errichtet worden. Die Fackeln, die in eisernen Halterungen an den Mauern hingen, vermochten kaum, gegen die Dunkelheit der Steine und der Nacht anzukommen.

      Sie versuchte, sich auf ihrem Pferd klein und unsichtbar zu machen. Da waren hochgewachsene Krieger in Rüstungen aus Leder und Eisen, die ihre Kampfübungen abbrachen und sich ihnen mit gezückten Waffen näherten. Edel gekleidete Frauen und Männer, die aus der Halle geströmt kamen, und sie aus sicherer Entfernung begutachteten. Schwer bewaffnete Torwächter mit großen wolfsähnlichen Hunden, die geifernd an ihren Ketten zerrten. Und Sklaven mit eingefallenen Gesichtern in einfachen Arbeitskitteln.

      »Kemp.« Einer der Schwertkämpfer, ein riesiger Vampir mit muskulösem Körper, kahl geschorenem Kopf und finsteren Zügen musterte den Anführer der Wajaren aus dunklen Augen. Er strömte eine ruhige tödliche Macht aus, wie ein Feuer speiender Berg, der jeden Augenblick ausbrechen konnte. Taran schauderte. Dieser Mann war gefährlicher als alle Wajaren um sie herum.

      »Was willst du? Dich gegen Gold wieder als Söldner andienen, um in der Schlacht vor dem Feind zu fliehen?«

      »Damien.« Der Anführer nickte knapp. »Nun, wir können lange debattieren, ob der geordnete Rückzug in besagter Schlacht sinnvoll war oder nicht.«

      Der Vampir, der Damien hieß, schnaubte verächtlich und einige der Krieger um ihn stießen Verwünschungen aus. »Nenne es, wie du willst, du bist nicht willkommen.« Sein Blick wanderte über die Wajarengruppe. Taran zuckte zusammen, als er sie ansah und sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildete, was ihn noch furchterregender aussehen ließ.

      »Ah«, sagte Kemp lächelnd. »Ich bin hier, um deinem Vater ein Geschäft vorzuschlagen. Wo ist er?«

      »Mein Sohn hat dir bereits gesagt, dass du nicht willkommen bist, Kemp.« Ein hagerer Mann kam die Treppe, die zur Halle führte, hinunter. Er war in Hosen, Wams und einem Hemd aus grauer Seide gekleidet. Sein langes dunkles Haar umrahmte ein Gesicht, das an einen Falken erinnerte.

      »Raiden.« Kemp deutete eine Verbeugung an. »Sei gegrüßt. Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.«

      »Warum sollte ich mit dir Geschäfte machen? Du hast mich betrogen.«

      Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte Kemp diese Wendung der Dinge nicht vorhergesehen. Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen und deutete auf Taran. »Ich habe hier eine Ewige, Raiden. Die ich dir anbiete.«

      »So, eine Ewige?« Der spöttische Unterton in Raidens Stimme war unüberhörbar.

      Kemp nickte eifrig. »Wir fanden sie in einer Siedlung. Einer meiner Männer wollte sich von ihr nähren. Er ist zu Staub zerfallen! Sieh das Haar des Mädchens!«

      Der Herrscher der Vampire zuckte mit den Achseln. »Zeig sie mir.«

      Bevor Taran wusste, wie ihr geschah, löste einer der Wajaren ihre Fesseln und zog sie vom Pferd. Kemp packte sie am Arm und zerrte sie zu Raiden. Der Herrscher der Vampire ergriff ihr Haar und ließ es langsam durch die Finger gleiten. Sie stand da, starr vor Angst wie ein Kaninchen vor dem hypnotisierenden Blick einer Schlange. »Nach dem ersten Biss färbt sich das Haar der Ewigen silbern wie das Mondlicht«, sagte Raiden langsam. Der saure Geruch von Wein in seinem Atem schlug ihr entgegen. »Aber wer sagt mir, dass es sich bei dir nicht um ein einfaches Mädchen handelt, dessen Haar nach einem schrecklichen Erlebnis ergraut ist? Bedenke, du hattest es mit Kemp und seinen … Kämpfern zu tun, da verfärben sich auch die Haare Normalsterblicher.«

      Ein paar Vampire lachten. Kemp lächelte gezwungen. »Sie ist eine Ewige, das kann ich beschwören.«

      Raiden kniff die Augen zusammen, als er Taran von Kopf bis Fuß begutachtete. »Was willst du für sie?«

      »Zehn Goldstücke.«

      Die Krieger und der Herrscher der Vampire lachten laut auf. »Du beliebst zu scherzen, Kemp«, sagte Raiden.

      Kemp zog Taran aus seiner Reichweite. »Nein, das tue ich nicht. Du weißt, dass sie es wert ist.«

      »Männer.« Dieser Befehl Raidens, gegeben mit kühler Stimme, war alles, was es brauchte. Die Krieger kesselten die Wajaren mit wenigen schnellen Schritten ein. Taran stöhnte auf, als sich ihr die Klingen von Schwertern entgegenstreckten. Kemps Finger an ihrem Arm verkrampften sich.

      »Ich habe einen anderen Vorschlag, Kemp.« Raidens Stimme war gefährlich leise geworden. »Du wurdest für Söldnerdienste angeheuert und bist desertiert. So, wie ich das sehe, schuldest du mir Gold, und zwar weit mehr als zehn Goldstücke. Das Mädchen ist Teil der Wiedergutmachung. Ziehen wir zehn Goldstücke von deiner Schuld für sie ab. Den Rest wirst du mir hier und jetzt zahlen und du und deine Männer dürft gehen.«

      Kemp trat einen weiteren Schritt zurück, Taran mit sich ziehend, die vor Angst zitterte. Die Krieger sahen aus, als würden sie im nächsten Moment zuschlagen. Schon meinte sie zu fühlen, wie eine scharfe Klinge in ihre Brust gestoßen wurde. Der riesige Vampir, Damien, stand ihr am nächsten. Seine dunklen Augen bohrten sich kurz in die ihren, bevor er Kemp wieder ins Visier nahm.

      »Wenn du sie nicht willst, dann finde ich einen anderen Käufer.«

      Raiden legte den Kopf schief und grinste. »Ach, Kemp. Also, was sagst du zu meinem Vorschlag?«

      »Nein«, erwiderte Kemp wütend. »Ich werde dir das Mädchen nicht überlassen und dir ganz bestimmt kein Gold zahlen!«

      Die Krieger traten wie auf Kommando einen Schritt vor, drängten die Wajaren zusammen. Taran hörte Kemp hektisch neben sich atmen. »Also gut«, sagte er. Mit einer schnellen Bewegung umfasste er sie und zog sie vor sich, sie zwischen sich und die Krieger bringend. Im nächsten Augenblick spürte sie kaltes Eisen an ihrem Hals. Sie schrie auf. »Wenn ihr uns nicht gehen lasst, dann stirbt sie! Und du musst dich wieder auf die Suche nach einem Ewigen machen, Raiden!«

      Raiden erwiderte darauf nichts, sondern nickte seinem Sohn zu. »Lass das Mädchen los«, sagte der ruhig.

      Kemp lachte verächtlich auf. Die Klinge seines Schwertes presste sich an Tarans Hals. Sie stöhnte verzweifelt.

      »Lass. Das. Mädchen. Los«, wiederholte Damien, jedes Wort einzeln betonend.

      »Verdammter Sohn einer Ratte!«, zischte Kemp.

      Es ging rasend schnell. Im nächsten Moment flog etwas an Tarans Ohr vorbei, traf Kemp in die Schulter. Der heulte auf, ließ sein Schwert fallen. Jemand riss sie von ihm fort. Ein starker Arm hatte sie um ihre Mitte gefasst und presste sie gegen einen harten Oberkörper. Sie konnte das Leder und Eisen der Rüstung durch ihr Nachtkleid spüren. Der Mann zog sie zurück, in die Sicherheit der Schatten des Hofes, das Schwert abwehrbereit in der anderen Hand haltend, während sich Raidens Kämpfer brüllend auf die Wajaren stürzten. Klingen blitzten im Licht der Fackeln, zischten durch die Luft. Dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, fielen abgeschlagene Köpfe mit einem dumpfen Klatschen auf das Pflaster. Kemp wurde vor ihr zu Boden gerungen, schrie und stieß vulgäre Flüche aus. Sie versuchte, zurückzuweichen, von dem sich windenden Wajaren fortzukommen, doch der Mann hinter ihr