Raphael Nibbana

Sand und Kiesel


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Tasse Tee

      Nanin1 war ein japanischer Zen-Meister, der während der Meiji-Ära lebte. Eines Tages empfing er einen Professor, der eine Frage über Zen auf dem Herzen hatte.

      Nanin servierte Tee. Er nahm die Tasse seines Gastes, schenkte ein und hörte nicht mehr auf: Der Professor sah, wie die Tasse sich füllte und füllte und wie der Tee schließlich überlief. Dann konnte er nicht mehr an sich halten: »Es ist übervoll! Es wird nicht mehr rein gehen!«, platzte es aus ihm.

      »Wie diese Tasse auch«, sagte Nanin, »bist du voller Mutmaßungen und Meinungen. Wie kann ich dir Zen zeigen, bevor du nicht zuerst deine Tasse geleert hast?«

      Schlammiger Strasse Smaragd

      Gudo war seinerzeit des Kaisers Lehrer. Dennoch reiste er allein als bettelnder Landstreicher.

      Als er eines Tages auf dem Weg nach Edo2 war, näherte er sich einem kleinen Dorf namens Takenaka. Es dämmerte bereits und es regnete Sturzbäche. Gudo war völlig durchnässt: Seine Sandalen lösten sich auf.

      Bei einem Bauernhaus in der Nähe des Dorfes entdeckte er vier oder fünf Paar Sandalen im Fenster und entschied sich, ein trockenes Paar zu kaufen.

      Die Bauersfrau, die ihm die Sandalen feilbot, sah, wie nass er war und lud ihn ein, die Nacht in ihrem Haus zu verbringen. Ihr dankend nahm Gudo die Einladung an. Er trat ein und rezitierte ein Sutra vor dem Familien-Schrein. Dann wurde er der Mutter der Bauersfrau vorgestellt und schließlich ihren Kindern. Gewahr werdend, dass die ganze Familie deprimiert war, fragte Gudo nach dem Grund dafür.

      »Mein Mann ist ein Zocker und Säufer«, antwortete ihm die Frau. »Wenn er mal gewinnt, trinkt er und wird ausfallend. Wenn er verliert, leiht er sich Geld von anderen. Und manchmal, wenn er richtig betrunken ist, kommt er gar nicht erst nachhause. Was soll ich nur tun?«

      »Ich werde ihm helfen«, sagte Gudo. »Hier ist etwas Geld. Gib mir eine Gallone feinen Weines und etwas Gutes zu essen. Dann kannst du dich zurückziehen. Ich werde indes vor dem Schrein meditieren.«

      Als der Mann des Hauses um Mitternacht zurückkam, war er ziemlich betrunken und brüllte: »Hey Frau, ich bin zuhause! Hast du was zu essen für mich?«

      »Ich hab was für dich«, sagte Gudo. »Ich wurde vom Regen überrascht und deine Frau bot mir netterweise an, über Nacht zu bleiben. Dafür habe ich etwas Wein und Fisch gekauft, von dem du auch haben kannst.« Der Säufer war hocherfreut! Er trank den Wein mit einem Zug und legte sich auf den Fußboden. Gudo saß neben ihm und meditierte.

      Am nächsten Morgen, als der Trunkenbold erwachte, hatte er die letzte Nacht vergessen. »Wer bist du? Woher kommst du?«, fragte er Gudo, der immernoch meditierte.

      »Ich bin Gudo aus Kyoto und ich gehe weiter nach Edo«, antwortete der Zen-Meister.

      Der Mann war zutiefst beschämt! Er entschuldigte sich heftig beim Lehrer seines Kaisers.

      Gudo lächelte nur. »Alles in diesem Leben ist vergänglich«, erklärte er. »Das Leben ist sehr kurz. Wenn du weiterhin zockst und säufst, wird die Zeit fehlen, um irgendwas anderes zu vollbringen. Und darunter wird auch deine Familie leiden.«

      Der Mann öffnete die Augen – erwachte wie aus einem Traum! »Du hast Recht«, beteuerte er. »Wie kann ich dir jemals diese wunderbaren Worte vergelten? Lass mich deine Sachen tragen und dich ein Stück begleiten.«

      »Wenn du das wünschst«, stimmte Gudo zu.

      Die Zwei machten sich auf den Weg. Nach drei Meilen sagte Gudo dem Mann, dass er umkehren soll. »Nur noch fünf Meilen«, bat dieser Gudo inständig. Und sie gingen weiter.

      »Du solltest jetzt umkehren«, schlug Gudo nach weiteren fünf Meilen vor.

      »Nach weiteren zehn Meilen«, antwortete der Mann.

      »Kehr jetzt um!«, sagte Gudo, als die zehn Meilen erreicht waren.

      »Ich werde dir den Rest meines Lebens folgen«, beschloss der Mann.

      * * *

      Moderne Zen-Lehren in Japan entspringen aus der Linie eines berühmten Meisters, der als der Nachfolger von Gudo bekannt war. Sein Name war Munan, der Mann der niemals umkehrte.

      Ist das so?

      Zen-Meister Hakuin wurde von seinen Nachbarn geachtet als ein Mann, der ein einfaches Leben führt.

      Ein hübsches Mädchen lebte in seiner Nähe, deren Eltern ein Lebensmittel-Geschäft führten. Plötzlich und ohne irgendeine Warnung entdeckten sie, dass ihre Tochter ein Kind in sich trug. Sie wurden wütend: Das Mädchen weigerte sich, den Namen des Vaters zu nennen. Auf Drängen der Eltern hin aber verriet sie schließlich den Namen Hakuin. Rasend vor Zorns stellten sie den Meister zur Rede: »Du hast unsere Tochter geschwängert! Also wirst du dich um das Kind kümmern!«

      »Ist das so?«, war alles, was er dazu sagte.

      Nachdem das Kind geboren war, wurde es zu Hakuin gebracht. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seinen Ruf verloren, was ihn aber nicht weiter kümmerte. Er sorgte sich um das Kind und erzog es mit Liebe eines Vaters. Von den Nachbarn bekam er Milch und alles, was er brauchte.

      Nach einem Jahr konnte es die hübsche Mutter nicht mehr aushalten: Sie erzählte ihren Eltern die Wahrheit, dass der Kindesvater ein junger Mann sei, der auf dem Fischmarkt arbeitete.

      Ihre Eltern gingen auf der Stelle zu Hakuin und baten ihn um Entschuldigung, um Vergebung und um ihr Enkelkind.

      »Bitte entschuldige! Bitte verzeih uns! Bitte gib uns unser Enkelkind! Der Vater ist ein junger Fischer.«

      Hakuin entsprach den Bitten. Als er das Kind übergab, war alles, was er sagte: »Ist das so?«

      Gehorsam

      Meister Bankeis Predigten wurden nicht nur von Zen-Schülern besucht, sondern auch von Leuten mit Rang und Namen. Er zitierte aber weder Sutren, noch gab er sich Lehrgesprächen hin. Stattdessen waren seine Worte solche, die direkt von seinem Herzen in die seiner Hörer flossen.

      Das ärgerte einen Priester der Nichiren-Sekte, denn er hatte viele seiner Anhänger an den Zen verloren. Eines Tages stampfte der eitle Priester entschlossen durch die Tempeltore, um mit Bankei zu diskutieren.

      »Hey, Zen-Lehrer!«, rief er. »Halt mal die Luft an! Wer auch immer dich respektiert, wird dem gehorchen, was du sagst. Aber ein Mann wie ich respektiert dich nicht! Kannst du mich dazu bringen, dir zu gehorchen?«

      »Komm neben mich und ich zeig es dir«, sagte Bankei.

      Stolz bahnte sich der Priester den Weg durch die Menge hin zum Lehrer.

      Bankei lächelte. »Komm auf meine linke Seite.«

      Der Priester gehorchte.

      »Nein«, sagte Bankei, »Wir können besser reden, wenn du auf der rechten Seite bist. Tritt hier rüber.«

      Stolz trat der Priester auf die rechte Seite.

      »Wie du siehst«, bemerkte Bankei, »gehorchst du mir und ich denke, du bist ein sehr netter Mann. Nun setz dich hin und hör zu!«

      Wenn du liebst, liebe offen

      Zwanzig Mönche und eine Nonne,