Raphael Nibbana

Sand und Kiesel


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kürzer als die üblichen vier, also sagte der Schüler: »Meister, das ist eine Zeile zu wenig.«

      Hoshin, mit dem Gebrüll eines erobernden Löwen, schrie »Kaa!« und war gegangen.

      Die Geschichte Shunkais

      Die edle Shunkai, die man auch Suzu rief, musste gegen ihren Willen heiraten, als sie noch sehr jung war. Doch die Ehe fand ein jähes Ende und so war es Suzu doch noch vergönnt, zur Universität zugehen und Philosophie zu studieren.

      Suzu zu sehen hieß, sich in sie zu verlieben! Und sie verliebte sich in alle, die ihr begegneten. Ob im Hörsaal oder auf dem Campus: Die Liebe war ihr steter Begleiter. Und als sie der Philosophie den Rücken kehrte und die Universität verließ, um mehr über Zen zu lernen, verliebten sich die Zen-Schüler in sie. Shunkais Leben war Liebe:

      In Kyoto wurde Suzu Zen-Schülerin. Ihre Mitschüler im Untertempel von Kennin lobten ihre Aufrichtigkeit. Einer von ihnen erwies sich sogar als Bruder im Geiste und half ihr, Zen zu meistern.

      Der Abt des Kennin-Tempels hieß Mokurai, Stiller Donner, und war sehr streng. Er hielt die Vorschriften selbst immer ein und erwartete das auch von seinen Priestern.

      Im modernen Japan schien der Enthusiasmus, den diese Priester für die buddhistische Praxis verloren, einer zu sein, den sie für ihre Frauen gewonnen hatten. Mokurai nahm einen Besen und verjagte diese Frauen, wann immer er ihrer in seinem Tempel gewahr wurde. Aber je mehr er verscheuchte, desto mehr schienen zurückzukommen.

      In diesem Tempel war die Frau des Oberpriesters eifersüchtig auf Shunkais Disziplin und Schönheit geworden. Als sie hörte, wie die Schüler ihr ernsthaftes Zen lobten, schüttelte es diese Frau vor Ekel! Schließlich verbreitete sie ein Gerücht über diese Shunkai und den jungen Mann, der ihr Freund war. Als Folge wurde der junge Mann vertrieben und Shunkai aus dem Tempel verbannt.

      »Zu lieben war vielleicht ein Fehler«, dachte Shunkai, »aber wenn mein Freund so ungerecht behandelt wird, soll auch die Frau des Priesters nicht im Tempel bleiben.«

      Mit einer Kanne Kerosin entzündete Shunkai den fünfhundert Jahre alten Tempel noch in derselben Nacht und brannte ihn bis auf die Grundmauern nieder. Am Morgen darauf befand sie sich in Polizeigewahrsam.

      Ein junger Anwalt interessierte sich für sie und bemühte sich, ihre Strafe zu mildern. »Hilf mir nicht«, sagte sie ihm. »Ich könnte Dinge tun, die mich nur wieder hinter Gitter bringen würden.«

      Nach sieben Jahren Haft wurde Shunkai aus dem Vollzug entlassen, in dem sich selbst ein sechzigjähriger Wärter in sie verliebt hatte. In den Augen aller aber war Suzu nun ein Knastvogel. Niemand wollte sich mehr mit ihr abgeben. Selbst Zen-Praktizierende, die an die Erleuchtung in diesem Leben und mit diesem Körper glaubten, mieden sie. Zen, fand Shunkai, war die eine Sache. Aber Zen-Anhänger eine ganz andere. Selbst ihre Verwandten wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben. So wurde sie arm, krank und schwach.

      Schließlich traf Suzu einen Shinshu-Priester, der ihr den Namen des Buddhas der Liebe lehrte. Und in diesem fand Shunkai Trost und Seelenfrieden. Sie starb, kaum dreißig Jahre alt, noch immer wunderschön.

      In einem vergeblichen Versuch, sich selbst reinzuwaschen, schrieb Shunkai ihre Lebensgeschichte nieder. Einiges davon erzählte sie einer Schriftstellerin. So erreichte ihre wahre Geschichte letztlich das japanische Volk: Diejenigen, die Suzu zurückgewiesen und abgelehnt hatten, diejenigen, die sie verleumdet und gehasst hatten, lasen nun von ihrem Leben. Mit Tränen der Reue in den Augen.

      Happy Chinaman

      Wenn man in den Chinatowns Amerikas spazieren geht, stolpert man immer wieder mal über Statuen eines stämmigen Mannes, der einen Leinensack trägt. Chinesische Händler nennen ihn Happy Chinaman oder Laughing Buddha. Tatsächlich hieß er Hotei und lebte während der T'ang-Dynastie. Er sah keinen Anlass, sich Zen-Meister zu nennen oder viele Jünger um sich zu scharren. Stattdessen ging er mit einem großen Sack voller Süßigkeiten, Früchte oder Donuts durch die Straßen, verteilte sie an Kinder, die um ihn herum spielten und etablierte so einen Kindergarten der Straßen.

      Wann immer er einen Zen-Anhänger traf, streckte er seine Hand aus und sagte: »Gib mir’n Penny.« Und wenn jemand ihn bat, in den Tempel zurückzukehren, um andere zu unterweisen, antwortete er: »Gib mir’n Penny.«

      Eines Tages, als Hotei in seine Streetwork vertieft war, kam ein Zen-Meister des Wegs und fragte: »Was bedeutet Zen?«

      Sofort ließ Hotei seinen Leinensack auf den Boden fallen! – Ohne ein Wort!

      »Und«, fragte der andere, »was ist Zen in diesem Augenblick?«

      Sofort schwang der glückliche Chinese den Sack über seine Schulter und setzte seinen Weg fort!

      Ein Buddha

      Im Tokio der Meiji-Zeit lebten zwei prominente Lehrer, die verschiedener nicht hätten sein können: Da war einerseits Unsho, ein Ausbilder aus Shingon. Er hielt es mit den Geboten des Buddha äußerst gewissenhaft: Er trank nie, noch aß er nach elf Uhr morgens. Und da war andererseits Tanzan, Professor der Philosophie an der Kaiserlichen Universität. Er hat nie die Regeln beachtet: Wann immer er Lust hatte zu essen, aß er. Und wenn er tagsüber schlafen wollte, dann schlief er.

      Eines Tages besuchte Unsho Tanzan. Der trank Wein, von dem nicht einmal ein Tropfen die Zunge eines Buddhisten berühren sollte!

      »Hallo, Bruder«, begrüßte ihn Tanzan. »Willst du nicht etwas trinken?«

      »Ich trinke nie!« rief Unsho ernst.

      »Wer nicht trinkt, ist nicht menschlich«, sagte Tanzan und hielt sich die Kanne an den Hals.

      »Willst du mich unmenschlich nennen, nur weil ich mich nicht dem Alkohol hingebe?« schrie Unsho wütend. »Wenn ich kein Mensch bin, was bin ich dann?«

      »Ein Buddha«, antwortete Tanzan.

      Schlammige Strasse

      Einst waren Tanzan und Ekido zusammen auf einer schlammigen Straße unterwegs. Und es hörte nicht auf zu regnen.

      Als die Straße sich teilte, trafen sie ein hübsches Mädchen in einem seidenen Kimono, der mit einer güldenen Schärpe gebunden war. Sie stand wie angegossen vor der Kreuzung.

      »Komm schon, Mädchen«, sagte Tanzan ohne lange zu zögern. Er hob sie auf seine Arme und trug sie über den Schlamm.

      Ekido sprach erst wieder in dieser Nacht, als sie in einem Tempel Quartier bezogen hatten. Er konnte nicht länger an sich halten: »Wir Mönche gehen nicht in die Nähe von Frauen«, sagte er Tanzan, »besonders nicht, wenn sie so jung und hübsch sind. Es ist gefährlich! Warum hast du das gemacht?«

      »Ich habe das Mädchen dort gelassen«, sagte Tanzan. »Trägst du sie immer noch?«

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