Raphael Nibbana

Sand und Kiesel


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und ihre Kleidung einfach war. Mehrere Mönche verliebten sich heimlich in sie: Einer von ihnen schrieb ihr sogar einen Liebesbrief, in dem er auf ein geheimes Treffen beharrte. – Eshun antwortete nicht.

      Am nächsten Tag gab der Meister der Gruppe Unterricht und als er vorbei war, stand Eshun auf. Sich an denjenigen wendend, der ihr geschrieben hatte, sagte sie: »Wenn du mich so sehr liebst, komm und küss mich!«

      Keine liebevolle Freundlichkeit

      Einst lebte eine alte Frau in China, die über zwanzig Jahre hinweg einen Mönch versorgte: Sie hatte ihm eine kleine Hütte gebaut und verpflegte ihn, während er meditierte. Schließlich fragte sie sich zu Recht, welchen Fortschritt er in all der Zeit gemacht hat.

      Um das herauszufinden, fragte sie eine Nymphe um Hilfe. »Geh und schmieg dich an ihn«, sagte sie ihr, »und dann frag ihn ›Und was jetzt?‹«

      Das Mädchen ging zu dem Mönch und ohne große Umschweife liebkoste sie ihn und fragte, was er wohl dagegen tun werde.

      »Ein alter Baum steht auf einem kalten Felsen im Winter«, entgegnete der Mönch irgendwie poetisch. »Nirgendwo etwas Wärme.«

      Das Mädchen kehrte zurück und erzählte, was er gesagt hatte.

      »Wenn ich daran denke, dass ich diesen Kerl für zwanzig Jahre gefüttert habe!«, schäumte die Alte vor Wut. »Er konnte weder Einfühlungsvermögen zeigen, noch hinter deine Fassade blicken. Er soll ja Leidenschaft auch nicht erwidern, aber wenigstens hätte er etwas Mitgefühl beweisen können!«

      Sie ging auf der Stelle zur Hütte des Mönchs und brannte sie nieder.

      Meldung

      Tanzan schrieb sechzig Postkarten am letzten Tag seines Lebens und bat einen Schüler, sie zu versenden. Dann starb er.

      Auf den Karten stand:

       Ich gehe von dieser Welt.

       Das ist meine letzte Meldung.

       Tanzan

       27. Juli 1892

      Grosse Welle

      In den frühen Tagen der Meiji-Ära lebte ein bekannter Kämpfer namens Onami, Große Welle.

      Onami war unglaublich stark und kannte sich in den Kampfkünsten aus. Im Training schlug er sogar seinen Meister. Aber in der Öffentlichkeit war er so schüchtern, dass ihn seine eigenen Schüler auf die Matte schickten.

      Onami fühlte, dass ihm irgendwas im Weg stand. Und damals war es nicht unüblich, Hilfe bei Zen-Meistern zu suchen.

      Hakuju, ein wandernder Lehrer, hielt Rast in einem kleinen Tempel in der Nähe. So ging Onami zu ihm und erzählte ihm von seinen Sorgen.

      »Große Welle ist also dein Name! Bleib heute Abend in diesem Tempel«, riet der Lehrer. »Stell dir vor, du bist diese große Welle. Du bist kein Kämpfer mehr, der Angst hat. Du bist diese riesige Welle, die alles vor sich her fegt und alles verschlingt, was ihren Weg kreuzt. Tu das und du wirst der größte Kämpfer im Land sein!«

      Der Lehrer zog sich zurück. Onami setzte sich, um sich zu versenken und versuchte sich selbst als Welle vorzustellen. Doch trübten dieses Bild zu viele Gedanken. Stunden vergingen. Dann, allmählich, fühlte er Wellen in sich aufsteigen. Und als die Nacht ihren Lauf nahm, wurden die Wellen größer und größer. Sie fegten die Blumen aus ihren Vasen – selbst der Buddha im Schrein wurde überschwemmt! Er fühlte, wie die Wellen seine Ängste und Zweifel hinfort spülten. Er fühlte. Und vor der Morgendämmerung war der Tempel nichts als Ebbe und Flut eines riesigen Meeres.

      Am nächsten Morgen fand Hakuju den Kämpfer in sich versunken in der Halle: Ein schwaches Lächeln zierte sein Gesicht. Er klopfte Onami auf die Schulter: »Nichts kann sich dir nunmehr in den Weg stellen«, sagte er. »Du wirst alles verschlucken, was deinen Weg kreuzt.«

      Am selben Tag stieg Onami in den Ring und gewann. Von jetzt an konnte ihn niemand besiegen!

      Den Mond kann keiner stehlen

      Zen-Meister Ryokan lebte auf einfachste Weise in einer kleinen Hütte am Fuße eines Berges. Eines Abends kam ein Dieb des Weges, nur um festzustellen, dass es dort nichts gab, das man hätte stehlen können.

      Als der Hausherr einkehrte, überraschte er den Dieb: »Du bist weit gereist, um mich zu besuchen«, sagte er dem Herumtreiber, »und du sollst nicht mit leeren Händen wieder gehen. Bitte nimm meine Kleider als Geschenk.«

      Der Dieb war verwirrt! Er nahm die Kleider und schlich davon.

      Nackt saß nun Ryokan neben seiner Hütte und blickte hinauf zum Firmament. »Armer Kerl«, sinnierte er, »ich wünschte, ich hätte ihm diesen schönen Mond geben können.«

      Hoshins letztes Gedicht

      Zen-Meister Hoshin lebte viele Jahre in China. Schließlich aber kehrte er nach Nordost-Japan zurück, wo er seine Jünger unterwies. Als er sehr alt geworden war, erzählte er ihnen eine Geschichte, die er in China gehört hatte:

      * * *

      Eines Jahres am 25. Dezember sagte der alte Tokufu zu seinen Schülern: »Ich werde im nächsten Jahr nicht mehr am Leben sein, also solltet ihr mich in diesem gut behandeln.«

      Die Schüler dachten, er mache Witze! Aber da er ein großherziger Lehrer war, kümmerte sich jeder der Schüler abwechselnd um ihn an den folgenden Tagen dieses Jahres.

      Am Vorabend des neuen Jahres schloss Tokufu: »Ihr wart gut zu mir. Ich werde um Mitternacht gehen, sobald es aufgehört hat zu schneien.«

      Die Jünger lachten und dachten, er würde senil werden und Unsinn reden. Denn die Nacht war klar und kein Wölkchen trübte den Himmel. Aber um Mitternacht fiel der erste Schnee.

      Am nächsten Tag suchten sie ihren Lehrer und konnten ihn nirgends finden. Und so gingen sie in die Meditationshalle: Dort war er verloschen.

      * * *

      Hoshin, der diese Geschichte erzählte, sagte seinen Schülern: »Es ist nicht nötig, dass ein Zen-Meister sein Ableben voraussagen kann. Aber wenn er das wirklich will, kann er es.«

      »Können Sie das?« fragte irgendjemand.

      »Ja«, antwortete Hoshin. »Ich werde euch zeigen, dass ich es kann: Sieben Tagen von nun an!«

      Keiner der Jünger glaubte ihm, und die meisten von ihnen hatten diese Unterhaltung sogar vergessen, als Hoshin sie schließlich zusammenrief: »Vor sieben Tagen«, bemerkte er, »sagte ich, ich würde euch verlassen. Es ist üblich, ein Todesgedicht zu schreiben. Aber ich bin weder ein Dichter, noch ein Kalligraph. Lasst also einen von euch meine letzten Worte schreiben.«

      Seine Anhänger dachten, er scherze! Aber einer von ihnen begann dann doch zu notieren.

      »Bist du bereit?« fragte Hoshin.

      »Ja, Meister«, antwortete der Schreiber.

      Dann diktierte Hoshin:

       Ich kam aus Brillanz