Anina Toskani

Braco - kleiner Bruder, großer Engel


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sie darauf, niemals mit leeren Händen dort zu erscheinen. Sie nickte zufrieden. Dann hakte ich sie unter und setzte sie, wie die Mutter der Porzellankiste, auf den Beifahrersitz. Ich sagte ihr, wir würden gemütlich fahren, da wir genügend Zeit für die Strecke hätten. Nachdem ich ihr so begeistert von meinem ersten Besuch in Stuttgart bei Braco erzählt hatte, war es nun vermutlich leichter für sie, ihre stetige Angst vor Fremden zu überwinden und sich auf die Reise einzulassen. Sie saß ohnehin, tagaus tagein, gelangweilt daheim, weil sie sich kaum noch allein auf die Straße traute.

      Die Fahrt war doch eine willkommene Abwechslung. Unterwegs nach Stuttgart, hörten wir klassische Musik und Deli genoss es sichtlich, von mir chauffiert und unterhalten zu werden. Sie war guter Dinge. Der 28. September 2013 war, wie bestellt, ein schöner sonniger Tag. Bei geringem Verkehrsaufkommen kamen wir wohlbehalten gegen 8 Uhr an. Die Warteschlange an der Kasse für die Eintrittskarten war noch klein. Deli versank in ihrer gewohnten schweigsamen Schüchternheit, beobachtete alles ringsherum mit Argusaugen. In der Kongresshalle waren schon viele Menschen versammelt und wir gaben beim Hereingehen unsere Blumensträuße ab. Dann wurden wir in den Saal geleitet. Braco‘s Helfer wollten Deli wegen ihres Alters und, weil sie so klein ist, in die erste Reihe platzieren, doch sie protestier-te, ganz erschrocken, heftig gegen dieses Privileg und wehrte die Helfer sogar mit aufgeregten Armbewegungen ab. Sie hatte einfach nur Angst, ungeschützt direkt vor der Bühne zu sitzen. Wenn sie einen Stuhl vor sich hatte, an dessen Lehne sie sich beim Aufstehen festhalten konnte, war das für sie viel angenehmer. Also nahm ich sie mit, in eine der vorderen Reihen, wo sie in sich versank und sich, hinter den vorderen Personen, versteckte. Sie hasste es, in der Öffentlichkeit aufzufallen und wollte um keinen Preis gesehen werden. Wachsam wie ein Luchs, musterte sie argwöhnisch die Bühne, die anderen Menschen in den Reihen neben und vor uns und ganz besonders Braco, als er still und unerwartet eintrat und seinen Blick langsam über die Köpfe gleiten ließ. Von Deli kam kein einziger Kommentar. Gemeinsam gingen wir noch mindestens vier weitere Male in die Sitzungen. Ich spürte deutlich, wie Delis Gefühlspanzer transparenter wurde und sie von Mal zu Mal heiterer wurde. Auch mir ging es ähnlich. Trotzdem gab es noch immer etwas Dunkles um sie herum, etwas, dass entschlossen war, Erfolge zunichte zu machen. Ich kannte dieses krokodilartige Wesen schon, denn, mit seinen bissigen Angriffen, hatte ich bereits mehrfach unliebsame Bekanntschaft gemacht.

      Sobald Deli daheim schlechte Laune hatte, verwies sie mich aus ihrer Wohnung und wollte allein sein. Sie beschäftigte sich dann stundenlang mit dem Sterben. Das Sterben nahm überhaupt den größten Raum in ihren Gedanken ein. Weil sie sich das nicht vorstellen konnte, wirkte es wohl so beängstigend auf sie.

      In solchen Momenten, war es für mich besser, schnellstens das Weite zu suchen, um einem aggressiven Ausbruch oder einem tätlichen Angriff aus dem Weg zu gehen, denn Deli kannte auch meine sämtlichen Empfindsamkeiten und wunden Punkte. Sie konnte dann alle Knöpfe wie Fernsehprogramme betätigen und mich mit spitzen Bemerkungen bis aufs Blut reizen. Ließ ich mich hinreißen, wütend zurück zu bellen, mit meiner Opernstimme, bereute ich es bitter, gleich danach, denn im Grunde war Deli hilflos. Diese negativen Energien traten oft spürbar wie eine elektrische Ladung in Deli’s Umgebung auf und konnten auf Menschen oder Dinge wie ein unsichtbarer Dämon überspringen. Erst durch Achtsamkeit und wachsames Beobachten, erkannte ich das im Laufe der Jahre, nachdem ich viel zu oft auf diesen Mechanismus, mit üblen Folgen, hereingefallen war. Oft schon hatte ich beobachtet, wie ich, in ihrer Gegenwart, ur plötzlich grundlos wütend wurde. Irgendetwas reizte mich und brachte mich in Wut. Dann spürte ich Attacken wie von einem Gegner mit Tarnkappe. Es wirkte gelegentlich wie schwarze Magie, das war nicht zu leugnen!

      Unsere erste Begegnung mit Braco’s Blick zu zweit verlief in Stuttgart ungestört. Die herzliche Begrüßung durch einen Helfer und ein kleiner Videofilm lenkten die Aufmerksamkeit auf Bracos internationales Wirken. Die Bühne war an beiden Seiten wunderschön mit weißen Lilien geschmückt, die den Raum mit einem paradiesischen Duft erfüllten. Ich fühlte mich wie über den Wolken. Braco kam auf leisen Sohlen, fast unbemerkt, von der Seite auf die Bühne. Ein Schweigen breitete sich im Publikum aus, dass man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Als er langsam seinen Blick erhob und auf das Publikum richtete, sah ich um ihn herum wieder viel silbrig helles Licht und lauter glänzende Pünktchen. Der helle Schein intensivierte sich in den sieben Minuten mehr und mehr. Er schien durch den Saal zu fluten. Die lichte helle Energie floss durch Braco’s Aura und strahlte von seinen Pupillen aus zu den Menschen im Saal wie zwei Laserstrahlen. Auch sah ich diesmal wieder, wie eine zweite Person, in ihrem Lichtkörper, dicht hinter ihm ging, die Bühne betrat und wieder mit ihm von der Bühne herunterging. Manchmal blieb die silbrig helle Aura noch eine Weile nach seinem Abgang auf der Bühne stehen. Ich fragte mich, ob das real war oder ein Nachbild meiner Augen. Es erstaunte mich maßlos, denn, normalerweise, bin ich im Alltag nicht hellsichtig, sondern mehr intuitiv veranlagt. Die zweite Person, hinter ihm, stand leicht erhöht, wie in der Luft. Sie blieb immer hinter ihm, wenn er sich bewegte. Ich dachte bei mir, das kann ja nur Ivica sein, sein verstorbener Lehrer und Meister. Aus der Lektüre der Bücher wusste ich schon, dass Ivica mit 48 Jahren durch einen Unfall beim Schwimmen an der südafrikanischen Küste ums Leben gekommen war und Bracos weltweite Mission erst danach begonnen hatte. Nur so konnte ich mir, das was ich sah, irgendwie zusammenreimen.

      Wir saßen so weit vorn, dass ich einen Heiligenschein gewahrte, der sich über Braco’s Kopf befand und in etwa 15 cm Entfernung über seinem Hinterhaupt schwebte. Das faszinierte mich ganz besonders, denn bisher hatte ich dieses Phänomen nur auf Heiligendarstellungen und bei Ikonen aus alter Zeit gesehen. Mittendrin in einer der Sitzungen spürte ich, wie die heilende Energie bei mir den Bauch erfasste und tief in meine Gedärme nach innen ging und sich dort flugs ausbreitete. Es war so ein wohliges Gefühl, dass mir ganz warm und heimelig davon wurde. Die lichte Energie strömte in alle Ritzen und hatte eine heilende Wirkung, das konnte ich deutlich spüren: Ich wunderte mich, woher diese Energie auf intelligente Art wusste, dass ich seit Jahrzehnten an massiven Darm- und Verdauungsproblemen litt. Ein glückseliges Gefühl stellte sich dazu ein und ich hörte innerlich den Satz: „Ich bin vollkommen geheilt, ich bin vollkommen heil!“ Im gleichen Augenblick wusste ich, dass das stimmte und wunderte mich sehr über diesen spontanen Heilungserfolg. Ich kämpfte seit meiner Studentenzeit schon über vierzig Jahre gegen wiederkehrende Darmentzündungen, tausenderlei Allergien und Unverträglichkeiten. Essen war für mich konstant ein Stressfaktor wegen der Folgeerscheinungen. Ich konnte es kaum fassen, doch es war eine hundertprozentige Heilung. Ich fühlte mich in diesem Augenblick so leicht wie eine Feder und war sehr gerührt. In meiner Dankbarkeit kamen mir Tränen. Doch, im gleichen Moment, spürte ich in meinem intellektuellen Den-ken einen Zweifel, ob das überhaupt wahr sein könne. „Es war ja, wie man so sagt, viel zu schön, um wahr zu sein!“ Ich ließ den Zweifel auf sich beruhen, denn der lästige Verstand mit seinem inneren Kritiker zweifelt immer alles an. Später vergaß ich das Ganze und beobachtete still weiter meine nähere Umgebung und Deli. Auf Deli’s Seite spürte ich unsichtbare, winzige stechende Nadeln und unangenehme elektrische Entladungen, die sogar in mein Energiefeld eindrangen. Darüber wunderte ich mich sehr und konnte mir keinen Reim darauf machen, denn Deli sah beim Herauskommen aus dem Saal, nach dem Blick von Braco, so glücklich und entspannt aus, wie schon lange nicht mehr.

      In einer der Sitzungen danach, hörte ich, hin und wieder, wenn ich zu Deli besorgt herüberhorchte, eine mir fremde, unsympathische, spitze, feindselige Stimme die Worte flüstern: „Du Schwein, Du Schwein, Du Schwein!“ Mir wurde ganz heiß und es fühlte sich wirklich so an, als hätte Deli unsichtbare Wesen um sich herum, die versuchten, Braco auf der Bühne boshaft anzugeifern. Ich war entsetzt, konnte das alles nicht klar definieren und spürte sofort Beschämung über diese frechen Angriffe und bekam das alles genau mit. Verwirrt fragte ich mich, wer und was das wohl sei. Erst nach längerem Nachdenken wurde mir klar, dass da dunkle Kräfte am Werk waren. Auch in anderen Sitzungen konnte ich mich mehrfach von diesem Phänomen überzeugen. Es war so, als ob sich negative Emotionen regelrecht personifizieren würden. Sobald ich das spürte, empfand ich, kurz darauf, immer, tiefe innere Beschämung über mich selbst, so als ob die Angriffe von mir ausgegangen wären, doch es schien etwas in der Luft zu hängen, was undefinierbar war und irgendwie mit Deli zusammenhing und sich mit mir, durch meine stetige Sorge um sie, verband. Als ich ein paar Jahre später mit Deli, auf dem Gelände der psychiatrischen Klinik, einen Spaziergang machte, konnte ich in einem hellsichtigen Augenblick,