sich Lennox damit nicht an seine eigene Behörde gewandt hatte. Irgendetwas steckt dahinter, was du mir sicher noch sagen wolltest, mein Freund, ging es ihr durch den Kopf.
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Kapitel 5
Als Isabelle Parker wieder zu sich kam, schien nicht viel Zeit vergangen zu sein. Es hatte sich nichts geändert. Es würgte sie, als sie die beiden Leichen sah. Gott sei Dank hatte die Kugel des einen sie nicht getroffen. In der Wand hinter ihr, fiel ihr ein kleines Loch auf. Es war der letzte Schuss gewesen, den der Mann in seinem Leben abgegeben hatte. Wie betäubt taumelte sie wie aufgelöst ins Wohnzimmer zum Telefon.
Lennox hatte ihr wiederholt eingeschärft, in der Angelegenheit keinem seiner Kollegen etwas zu sagen. Nun, er hatte es nach der ersten Bedrohung nicht für notwendig erachtet, sie beschützen zu lassen. Aber nachdem sich die Dinge derart zugespitzt hatten, wollte sie keine Sekunde mehr länger zögern. Die beiden Leichen waren ohnehin nicht mehr zu leugnen.
*
Bereits eine Viertelstunde später traf die Mordkommission ein. Sie wurde von Chief Inspector Richard Whitehead geleitet, einem Kollegen und persönlichen Freund von Lennox. Er sprach kein Wort, überließ Isabelle erst einmal sich selbst und den Tatort den Jungs von der Spurensicherung. Ein für ihn ungewohntes Vorgehen, denn es wäre naheliegend gewesen, dass Whitehead erst einmal mit der Verlobten seines Freundes über den genauen Tathergang gesprochen hätte. Zumindest vermisste Isabelle, die völlig am Boden zerstört war, jegliches tröstendes Wort in Anbetracht des Schrecklichen, was sie hatte erleben müssen.
Als sie Whitehead ansprach, wich er ihrem Blick aus, und Isabelle kam ein schrecklicher, ein ungeheuerlicher Gedanke. »Was ist mit Lennox, Richard?«
»Was soll mit ihm sein, Isabelle?«, zuckte er mit den Achseln. »Er ist seit einer Woche in Urlaub. Woher soll ich wissen, was er treibt.« Er versuchte zu lächeln. »Du solltest das eigentlich viel besser wissen, nicht wahr?«
»Er ist tot!«, kam es ihr plötzlich über die Lippen, und in ihrer Stimme lag eine untrügliche Bestimmtheit.
Whitehead zeigte sich entsetzt. »Wo … Woher weißt du das?«
Isabelle Parker bekam einen Weinkrampf.
Whitehead empfand Mitleid mit ihr und suchte krampfhaft nach einigen tröstenden Worten. Dann winkte er seinen Sergeant heran. Zusammen mit Smithers kümmerte er sich um die Verlobte ihres toten Kollegen.
Isabelle erholte sich erstaunlich schnell. Sie hatte in ihrem Beruf als Journalistin gelernt, persönliche Gefühle in den Hintergrund zu drängen, wenn es um Wichtigeres ging. »Richard«, sagte sie gefasst, »wo habt ihr ihn gefunden?« Bittend sah sie ihn an. »Wie ist er umgekommen?«
»Es tut aufrichtig mir leid«, erwiderte Whitehead mit brüchiger Stimme, »aber du weißt genau, dass ich darüber nichts sagen darf.« Er zögerte kurz. »Wenn … wenn du in der Lage bist … Würdest du mir erzählen, was hier passiert ist?« Innerlich verfluchte er es, für einen Kollegen eingesprungen zu sein und dessen heutigen Bereitschaftsdienst übernommen zu haben. Ich bin dieser Sache einfach nicht gewachsen, dachte er verbittert.
Chief Inspector Richard Whitehead war normalerweise ein absoluter Routinier, der bereits lange genug der Mordkommission angehörte und noch um vieles länger dem Yard. Aber die Tatsache, dass er gerade einen guten Freund auf tragische Weise verloren hatte und dessen Leichnam von Kollegen des Stadtbezirks ›Bromley‹ im Moment wohl schon ins Leichenschauhaus zur Autopsie gebracht wurde, setzte ihm mehr zu, als er sich einzugestehen bereit war.
»Wer ist diese Clairé Beauvais?«, fragte Isabelle unvermittelt und kniff ihre schwungvollen Lippen zusammen.
Die Erwähnung dieses Namens riss ihn aus seinen trüben Gedanken. »Hey«, entfuhr es ihm überrascht, »woher kennst du diesen Namen, Isabelle?«
Endlich hatte sie ihn soweit, dass sie ihm ihr Herz ausschütten konnte, und ihm gingen die Augen über.
Da tun sich ja Abgründe auf, dachte er bei sich. Aber ich kann ihr nicht sagen, wer genau diese Clairé Beauvais ist. Ich kenne nur ihren Namen …. Aber da ich dich eh mit auf die Dienststelle nehmen muss. Mal sehen, vielleicht kann ich dir dort weiterhelfen.
*
Drei Stunden später war Isabelle Parker auf dem Weg zu Clairé Beauvais. Auf eine Schutzhaft hatte sie freiwillig verzichtet, obwohl ihr Clairé in einem vorausgegangenen Telefonat, dringend dazu geraten hatte. Sie ahnte nicht, in welcher Gefahr sie sich aufgrund ihres Leichtsinns befand.
Hoffentlich würde Clairé Beauvais nicht umsonst auf sie warten, denn sie hatte den Fehler begangen, den Brief, den ihr Lennox vor einer Woche anvertraut hatte, in ihrer Handtasche mitzuführen, weil sie der Meinung war, dass er dort am besten aufgehoben wäre. Ein Fehlschluss!
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Kapitel 6
Leonard Edwards hatte damals, als die Körperfülle verteilt worden war, wahrscheinlich gleich mehrfach ›Hier!‹ gerufen, weshalb er von Clairé Beauvais auch heimlich ›Fatso‹, Fettsack, genannt wurde. Auf jeden Fall hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Schauspieler Charles Laughton in seinen späten Jahren. Aber die äußere Erscheinung täuschte über die ungeheure Energie hinweg, die dem Mann innewohnte. Sein bürgerlicher Tarnberuf war der eines Rechtsberaters der Großindustrie und ›High Society‹. In Wirklichkeit aber hatte er einen gewissen politischen Ehrgeiz und Freunde im Unter- und Oberhaus. Als Patriot arbeitete er längere Zeit für den britischen Auslandsgeheimdienst, dem ›Secret Intelligence Service‹, der den meisten besser als ›MI6‹, ›Military Intelligence, Section 6‹ bekannt war. Seine Aufgabe war es gewesen, nach gängiger Geheimdienstmanier Vertrauensleute in Firmen, gesellschaftlichen Gruppen, politischen Vereinigungen anzuwerben, die durch politische Unterwanderung und durch mafiaähnliche Strukturen gefährdet waren.
Verärgert durch das ständige Aneinandervorbeiarbeiten der großen Organisationen ›SIS‹, ›Defence Intelligence Staff‹, ›MI5‹ und Justizministerium, setzten politische Freunde im Parlament in einem Geheimausschuss für die Schaffung einer Art Superjobs durch. Er sollte in speziellen Fällen die Aktionen der britischen Geheimdienste und Spezialeinheiten koordinieren. In seinem Büro, verborgen hinter einer Tür, hinter die nicht einmal Clairé Beauvais einen Blick werfen durfte, liefen also alle wichtigen Fäden zusammen.
Es war kein Wunder, dass sie sich direkt mit ihm in Verbindung setzte, denn ›Fatso‹ war für ihren einträglichen Nebenjob verantwortlich. Eines Tages war er auf die Idee verfallen, das Luxus-Callgirl für den Geheimdienst zu akquirieren, um so eine gute Plattform für wichtige Operationen und vor allem eine ausgezeichnete, gut florierende Informationsquelle aus dem Bett und darüber hinaus zu haben.
Dennoch war Clairé nach wie vor eine freie Mitarbeiterin geblieben. Sie sah in ›Fatso‹ nicht ihren Chef, sondern nur einen Auftraggeber.
Wie immer war Edwards sofort am Apparat, als sie seine Nummer wählte. Sie hatte ihm vom Tod Lennox Walshs berichtet, und er hatte alles Erforderliche veranlasst. Nachdem alles überstanden war, telefonierten sie ein weiteres Mal.
»Miss Beauvais«, beschwor Leonard Edwards sie, »Sie schweben jetzt in ständiger Lebensgefahr. Die Gangster sind auf Sie aufmerksam geworden. Vielleicht wäre es besser, Sie tauchten zunächst für eine Weile unter.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Mr. Edwards? Das wäre ja das erste Mal, dass ich kneife, nicht wahr?«
Edwards holte tief Luft und seufzte. »Von mir bekommen Sie jedenfalls keinen Auftrag in diese Richtung, falls sich das erhofft haben.«
»Chief Inspector Walsh war ein guter Freund«, gab Clairé zu bedenken.
»Warum