zu den treusten der Freunde Hans Carossas, der Studienrat als Beisitzer und der Abteilungsleiter als Schriftführer.
Als sie hörten, dass endlich die Tür der Villa Buschinski ihr melodisches Geläut ertönen ließ, schossen sie wie der Blitz an die Gartenpforte. Mit gezogenen Hüten und vielen Verbeugungen begrüßten sie hier den heraustretenden Ratsherrn.
„Na, meine Herren?“, fragte Horst Buschinski leutselig. „Haben Sie noch letzte Informationen für mich?“
„Nein, verehrter Herr Buschinski, das nicht“, entgegnet der Studienrat schnell mit seiner stadtbekannten Fistelstimme. „Aber wir hielten es für unsere Pflicht, Sie als Vorstandsmitglied des Vereins der Freunde Hans Carossas zur heutigen Ratssitzung untertänigst zu begleiten. Sie gestatten doch, verehrter Herr Buschinski?“
Der Ratsherr rückte schmunzelnd an seiner Hornbrille. „Gewiss, gewiss, meine Herren! Es freut mich, dass Sie sich herbemühten. Haben Sie auch dafür gesorgt, dass unsere Gesinnungsfreunde unter der Zuhörerschaft nicht in der Minderheit sind?“
„Wir werden mindestens eine Zweidrittel–Majorität bilden, verehrter Herr Chef“, versicherte in näselndem Tonfall der tüchtige Reiner Hohn.
„Erfreulich, meine Herren, erfreulich!“, rief Buschinski und setzte sich in Richtung Rathausplatz in Bewegung.
Claudia war inzwischen in der Villa hinter die Gardinen eines Fensters der Straßenfront getreten, von wo aus sie die drei urkomischen Männergestalten draußen an der Vorgartenpforte unauffällig beobachten konnte. Das Bild, das sie sah, rührte offenbar an die heiterste Seite ihrer empfindsamen Seele. Sie begann zu kichern. Ihr Kichern wurde schließlich zu klingendem Lachen, als ihr Horst, dick und plump, zwischen den beiden Vorstandsmitgliedern die Allee hinauf davonging.
Sie sah, dass er sich schon nach wenigen Schritten gewaltig in die Brust warf, während die ihn flankierenden dürren Wichte gleichsam mehr und mehr zu wandelnden Strichen zusammenschrumpften.
„Oh Gott“, entfuhr es ihr da, „wenn er heute Abend nur nicht platzt!“
Horst Buschinski hatte kein Auto. Nicht, weil er sich diesen mehr oder weniger kostspieligen Luxus nicht hätte leisten können. Oh, nein, seine Keksfabrik florierte so sehr, dass er zu den geldschwersten Bürgern der Stadt Passau zählte.
Aber er hatte eine unüberwindliche Scheu davor, seine gewichtige Persönlichkeit einem so unsicheren Verkehrsmittel anzuvertrauen. Zum Chauffieren fehlte ihm das Geschick, die Ruhe und überhaupt alles, was dazu nötig ist. Und als Fahrgast im Fond litt er einfach unter einer ständigen, nervenzermürbenden Furcht vor einem jähen Lebensende. Kurzum, nach einigen Probefahrten, zu denen ihn vor rund zwanzig Jahren seine Frau und ein Autohändler überredet hatten, war er zu dem Entschluss gekommen, dass es für ihn eine Art Schicksalsbestimmung sei, ein für alle Mal auf einen eigenen Wagen zu verzichten.
Diesem Entschluss war Horst Buschinski treu geblieben. Nur ein Zugeständnis an den Zug der Zeit hatte er sich jüngst hin abgerungen: Als Marvin, sein Sohn, als junger Doktor der Rechtswissenschaft von der Universität München heimkehrte, um nun, geistig und charakterlich wohlfundiert, als Juniorchef in die Leitung seines künftigen Erbes einzutreten, da war ihm in der Freude und den Stolz über den ersten Doktorhut, der je in seiner Sippe errungen worden war, die Zusage entschlüpft: „Dafür kriegst du einen Wagen!“
So war denn der frischgebackene Doktor und nunmehrige Juniorchef der Keksfabrik Buschinski in den Besitz eines flotten weinroten Cabriolets gekommen. Und in eben diesem Cabriolet juckelte er in derselben Stunde, in der sein Vater zu der bedeutsamen Ratssitzung marschierte, draußen vor den Toren der Stadt wohlgemut durch die sommerabendstille Landschaft. Das heißt, er juckelte nicht mehr planlos umher. Seit gut fünf Minuten fuhr er vielmehr auf einer schmalen Straße, die nach einem einsamen Dorf hinausführte und dabei einen herrlichen Buchenwald durchquerte, nur noch im Schneckentempo.
Der Grund war eine junge Radfahrerin. Deren Beine waren nämlich so makellos geformt und strahlten einen so bezaubernden Reiz aus, dass es kein junger Mann mit Schönheitssinn fertig gebracht hätte, sich durch einen Druck auf den Gashebel diesen köstlichen Anblick entgehen zu lassen.
Marvin Buschinski aber hatte sogar einen ausgeprägten Schönheitssinn. Außerdem war er im Gegensatz zu seinen cholerischen Herrn Papa immer in jener herzgewinnend frischer Laune, die der gesunden Jugend zusteht und die jederzeit zu einem munteren Jux bereit ist.
Als Marvin die Radlerin überholen wollte und hinter ihr so nahe heran war, dass ihm die klassischen Formen ihrer Beine ins Auge stachen, hatte er jedenfalls sofort die Geschwindigkeit gedrosselt und sich sozusagen an das Katzenauge ihres Fahrrades geheftet.
Seitdem fuhr er also im Schneckentempo und genoss mit strahlenden Blicken die nylonbestrumpften Beinchen der jungen Unbekannten, die sich ihm im rhythmischen Strampeln immerhin bis über die wunderbar gerundeten Knie darboten.
Doch er genoss noch mehr: er genoss auch die sportlich ranke Figur der Radlerin, die in einem hübschen Sommerkleid steckte, ihre goldblonden Locken, die dauergewellt und sichtlich wohlgepflegt bis auf die Schultern herabhingen, und nun auch das überaus anmutige Profil ihres Gesichts, das sie immer öfter sehen ließ.
Die Radlerin hielt sich, seit er, im Begriff zu überholen, ein kurzes Hupensignal ertönen ließ, hart am rechten Straßenrand. Da sie aber vergeblich darauf wartete, dass sie wieder frei weg auf der Straßenmitte fahren konnte, wurde sie augenscheinlich nervös und ungehalten.
Marvin sah, dass sie ihm ärgerlich Zeichen machte, doch endlich vorbeizufahren. Aber das reizte ihn nur noch mehr, seine genießerische Position vorläufig beizubehalten. Spitzbübisch feixend saß er also in seinem offenen Wagen hinter dem Steuer, achtete behutsam darauf, dass er ihr dicht auf den Fersen blieb, und dachte im Übrigen: Wenn sie abspringen sollte, um mich vorbeizulassen, stoppe ich. Mit diesem hübschen Käfer muss ich unbedingt bekannt werden!
Nun sie sprang nicht ab. Aber als sie sich wieder einmal rückblickend umwandte, rutschte plötzlich ihr Rad von Rand des Pflasters in eine tückische Rille. Es schwankte kurz und kippte dann scheppernd zu Boden. Die Fahrerin selbst kam noch rechtzeitig auf die Füße.
Doch ihr Verfolger brachte seinen Wagen nicht in gleichen Augenblick zum Stehen, sondern erst, als das rechter Vorderrad bereits auf das Fahrrad geprellt war. Das Fahrrad wurde kräftig verbeult. Und außerdem landeten ein kleines Dutzend appetitlicher Bockwürste auf dem Pflaster. Sie stammten aus einem geplatzten Karton, den die Radlerin auf dem Vorderrad–Gepäckträger mitgeführt hatte.
„Oh, verdammte Scheiße!“, rief Marvin. Mit einem Satz war er dann aus dem Wagen. „Sind Sie verletzt?“
„Es ist gut gegangen“, entgegnete die Radlerin verwirrt.
Doch gleich darauf starrte sie ihn an, als hätte sie nach diesen Worten die Sprache verloren. Natürlich war sie über ihr Missgeschick bestürzt und voller Zorn auf den Mann, der es durch seine Unverfrorenheit verursachte. Aber, seltsam genug, sie brachte weder eine Klage noch einen Vorwurf heraus. Sie stand nur da und staunte.
Allerdings gab es auch einiges zu bestaunen. Marvin Buschinski war ein gut aussehender und sehr flotter junger Mann. Und er nahm den Zwischenfall auch keineswegs tragisch. Im Gegenteil! Mit einer geradezu diebischen Freude zerrte er das ramponierte Fahrrad unter seinem Wagen hervor, lehnte es ohne ein Wort des Bedauerns an den nächsten Baum und machte sich alsdann an das Aufsammeln der Bockwürste.
„Vier, sechs, neun, zehn!“, zählte er laut. In die elfte biss er herzhaft hinein und ließ es sich gut schmecken.
Fassungslos stand inzwischen die Radlerin dabei. Aber ihr Schock und ihr Zorn schienen sich überraschen schnell gelegt zu haben. Jetzt strahlte ihr Gesicht in einer verblüffenden Heiterkeit.
„Sagen Sie“, rief sie auflachend, „sind Sie immer so dreist und unbeschwert, wenn Sie einen Verkehrsunfall verursacht haben?“
„Je nachdem!“, entgegnete er kauend. „Es gibt Unfälle, die einem willkommen sein können. Im Übrigen ist dies der erste, den ich jemals verschuldete.“
„Donnerwetter,